Lebenserhaltung als Haftungsgrund

von: Petra Baltz

Springer-Verlag, 2010

ISBN: 9783642127311 , 300 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 71,93 EUR

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Lebenserhaltung als Haftungsgrund


 

"D. Die Entscheidung über die Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen (p. 43-44)

Wie bereits ausgeführt wurde, setzt die Rechtmäßigkeit medizinischer Maßnahmen voraus, dass die Behandlung des Patienten nicht eigenmächtig erfolgt.1 Im Folgenden soll dargestellt werden, wer in welcher Situation für die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen zuständig ist, nach welchem Maßstab die Entscheidung getroffen werden muss und welche Auswirkungen auf die Haftung des Handelnden bestehen. Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich zwar vorrangig auf lebenserhaltende Behandlungen, die von Ärzten durchgeführt werden, sie lassen sich aber auf pflegerische Maßnahmen übertragen.

I. Der einwilligungsfähige Patient

Solange der Patient einwilligungs- und äußerungsfähig ist, entscheidet er selbst über die Vornahme oder Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen.2 Willigt der entscheidungsfähige Patient in eine Maßnahme nicht ein oder lehnt er sie durch eine auf den konkreten Eingriff bezogene Erklärung sogar ausdrücklich ab, handelt der Arzt deshalb eigenmächtig, wenn er die Maßnahme gleichwohl vornimmt.

Dies gilt unstreitig auch dann, wenn der Patient ohne die Maßnahme verstirbt, da auch bei vitaler Indikation keine Therapiegewalt des Arztes besteht.3 Ohne Belang ist auch, ob die Gründe für die Ablehnung der Heilbehandlung aus der Sicht anderer unvernünftig erscheinen.4 Das Selbstbestimmungsrecht des aktuell entscheidungsfähigen Patienten umfasst das Recht, jede ärztliche Behandlung abzulehnen, ohne dass es hierzu einer besonderen Begründung des Betroffenen bedarf.

1. Einwilligungsfähigkeit


Die Einwilligungsfähigkeit, verstanden als das rechtliche Können, in eine ärztliche Behandlung einzuwilligen oder die Einwilligung zu verweigern, setzt nicht die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit im Sinne der §§ 104 ff. BGB voraus.Die Einwilligungsfähigkeit ist nach herrschender Meinung vielmehr zu bejahen, wenn der Patient die Bedeutung und die Tragweite der Behandlung einschließlich der Folgen ihres Unterbleibens zu erkennen vermag.

Da es für die Einwilligungsfähigkeit auf die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit nicht ankommt, können auch Minderjährige über die Vornahme oder Nichtvornahme einer Behandlung entscheiden, sofern sie über die nötige Urteilskraft verfügen. Minderjährigen unter vierzehn Jahren fehlt nach herrschender Meinung allerdings generell die erforderliche Einsichtsfähigkeit.

Bei der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen im Alter zwischen vierzehn und achtzehn Jahren ist nach herrschender Ansicht das Alter des Betroffenen sowie die Bedeutung, die Risikoträchtigkeit, die Schwierigkeit und die Dringlichkeit der Entscheidung zu berücksichtigen.8 Die Entscheidung über die Vornahme oder Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen ist die denkbar schwerwiegendste, dennoch erscheint auch diesbezüglich die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger nicht völlig ausgeschlossen.

Wenn beispielsweise ein beinahe 18-Jähriger seit Jahren unter einer unheilbaren Krankheit leidet, über die er sehr gut informiert ist und deren Verlauf er bei anderen miterleben konnte, ist eine wirksame Ablehnung weiterer Maßnahmen vorstellbar. Bisweilen wird auch vertreten, dass eine 17-jährige Zeugin Jehovas eine Bluttransfusion wirksam ablehnen kann."