Dialog als Kunst gemeinsam zu denken

Dialog als Kunst gemeinsam zu denken

von: William Isaacs

Edition Humanistische Psychologie, 2002

ISBN: 9783897970113 , 330 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 24,99 EUR

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Dialog als Kunst gemeinsam zu denken


 

III. Teil Prognostische Intuition (S. 156-157)

Im Nachhinein schien die Katastrophe vorprogrammiert, aber die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright konnte nicht wissen, was auf sie zukam, als sie im Herbst 1997 im Rathaus von Columbus, Ohio, an einem Bürgerforum teilnahm, um die Gründe der Clinton-Adminstration für die Bombardierung Iraks zu erläutern. Aber die amerikanische Außenministerin fand sich vor einem Publikum wieder, das jedes ihrer Worte angriff. Später sagten die Veranstalter, das Weiße Haus hätte sich mehr Gedanken über die Geschichte, die Proteste gegen den Krieg und die Anti-Vietnamkriegs-Demonstration an der Kent State University machen müssen. Andere führten das Desaster auf Organisationsmängel zurück oder glaubten, Präsident Clinton wäre besser selbst gekommen. Er hätte den Professor, der sich angegriffen gefühlt hatte, nicht beleidigt, sondern in die Arme geschlossen, die johlenden Studenten beruhigt, die Zwischenrufer angehört, ohne ihnen Zugeständnisse zu machen. Aber der Zeitpunkt für öffentliche Auftritte Clintons war wegen der Levinsky-Affaire ungünstig, und im Nachhinein spricht einiges dafür, dass die Feindseligkeit des Publikums auch ihn getroffen hätte.Ein Auftritt Clintons in Columbus wäre selbst dann kontraproduktiv gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, das Publikum »unter Kontrolle zu bringen«, denn ein Mann mit seinen Fähigkeiten kann trotz aller guten Absichten und ohne es zu wollen auch verdecken, dass die Menschen im Grunde eben nicht zusammen kommen, sondern nur der Autorität oder dem Charisma gehorchen. Das kann zum Ersatz für die Bewusstheit und die harte Arbeit des gemeinsamen Denkens werden, bei der man die eigenen Positionen suspendieren und dem zuhören muss, was die anderen zu sagen haben. Dass Madeleine Albright niedergebrüllt wurde, als sie die Notwendigkeit weiterer Bombardierungen des Iraks zu erklären versuchte, kam für alle unerwartet. Noch überraschender aber war die Tatsache, dass die Behörde ein »Bürgerforum « als geeignete Bühne akzeptiert hatte, um ihre Botschaft zu erklären und zu »verkaufen«. Dass das Bürgerforum ein Ort des freien Gedankenaustausches ist, an dem man einander zuhört und gemeinsam nachdenkt, wurde anscheinend übersehen.

In New England gibt es diese relativ seltene Form der Demokratie bis heute. In den Kleinstädten, in denen die jährliche Bürgerversammlung immer noch stattfindet, nimmt buchstäblich jeder teil, auch wenn nur die Bürger der Stadt abstimmen können. In Hanover, New Hampshire, wo ich das College besuchte, waren die Bürgerversammlungen für uns faszinierend und erheiternd zugleich, sie erschienen uns so altmodisch. Natürlich waren auch diese Versammlungen sehr gut vorbereitet und die Ergebnisse abgesprochen, aber trotzdem wurden hier Dinge öffentlich gesagt und offen debattiert, die normalerweise unter den Teppich gekehrt worden wären. Die Grundstruktur wahrer demokratischer Partizipation war immer noch vorhanden, auch wenn die Durchführung nicht immer optimal war. Im Großen und Ganzen aber haben wir den Respekt vor solchen öffentlichen Foren verloren – gerade weil sie fast immer einseitig sind oder dazu führen, dass man sich gegenseitig niederbrüllt. Nach Meinung vieler ist das aber nicht unbedingt negativ, denn, so sagen sie, wäre Madeleine Albright nicht niedergeschrieen worden, hätten wir von der Stimmung im Land nichts erfahren. Außerdem seien Konflikte spannend und dazu oft auch unvermeidlich und notwendig. Gegen Unsinn müsse man sich eben wehren. So gesehen, hatte das Bürgerforum seine Aufgabe erfüllt: Die Differenzen traten klar zu Tage, alle hatten etwas gelernt und man hatte die Politik beeinflusst.

Andererseits scheint das menschliche Gesprächsrepertoire aber auch geradezu schockierend begrenzt. Wenn der Druck zu groß ist, haben wir häufig kein anderes Mittel als den Streit zur Verfügung. Der öffentliche Diskurs beschränkt sich fast immer auf Diskussion statt Dialog, und die generelle Haltung ist die des Vorwurfs, nicht des Nachdenkens oder der Verantwortung. Das Ergebnis ist meist, dass die Beteiligten solche Foren ablehnen. Sie lernen nichts über das, was sie hätten anders machen können, was ihr Anteil an den Ergebnissen war oder was sie beim nächsten Mal ändern könnten, sondern werden nur in ihrer Fragmentierung und Getrenntheit bestärkt.