Musikschule im Wandel - Chancen und Herausforderungen für die deutsche Musikschullandschaft im Spiegel des normativen Managements

von: Ralph Schäfer-Lösch

Tectum-Wissenschaftsverlag, 2016

ISBN: 9783828865457 , 125 Seiten

Format: PDF, ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 19,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Musikschule im Wandel - Chancen und Herausforderungen für die deutsche Musikschullandschaft im Spiegel des normativen Managements


 

3Wandel

Sozialer Wandel ist seit der Veröffentlichung des Werkes Social Change von William F. Ogburn (1886 – 1959) ein Grundbegriff in der Soziologie (vgl. Schäfers 2012: 22).

„In der Soziologie stellt ‚sozialer Wandel‘ […] wohl einen der elementarsten Begriffe dar. Im Sinne einer eigenständigen Wissenschaft entwickelte sich die Disziplin ‚Soziologie‘ vornehmlich in der Folge grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen, in deren Verlauf sich die Wahrnehmung der Menschen für die Wandelbarkeit sozialer Ordnungen schärfte.“ (Jäger / Meyer 2003: 15)

Allgemein ist unter sozialem Wandel die strukturelle Veränderung einer Gesellschaft in Beziehung zu ihrer historischen Entwicklung zu verstehen. Im Folgenden sollen zwei Definitionen von sozialem Wandel der Begriffsklärung dienen:

„Unter sozialem Wandel wird die Veränderung der Sozialstruktur einer Gesellschaft oder einzelner Bereiche in einem bestimmten Zeitraum verstanden. Sie ist verknüpft mit Veränderungen im Normen- und Wertesystem, in den Institutionen und Organisationen. Je nachdem, wie schnell sich die Basisstrukturen einer Gesellschaft verändern, spricht man von langsamem oder beschleunigtem Wandel.“ (Schäfers 2012: 22; Hervorh. im Original)

Schäfers spricht in seiner Definition von Veränderungen im Normen- und Wertesystem. Daraus lässt sich schließen, dass gesellschaftlich relevanter Wandel immer auch normativen Charakter hat. Hier noch eine zweite Definition aus einem anderen Blickwinkel:

„Insgesamt betrachtet lässt sich wohl nicht leugnen, dass jener Wirkungs-, Sinn- und Bedeutungszusammenhang, den wir ‚Gesellschaft‘ nennen, in beschleunigte Bewegung gerät. Nun bezeichnet die Soziologie bedeutsame Veränderungen dieses Zusammenhangs allgemein als sozialen Wandel.“ (Jäger / Meyer 2003: 11; Hervorh. im Original)

3.1Theorien des sozialen Wandels

In der Soziologie gibt es unterschiedliche Theorien des sozialen Wandels, die eine Gesellschaft in all ihren Teilbereichen und komplexen Wechselwirkungen zu erklären helfen. Dazu seien fünf ausgewählte Theorien genannt: Erstens die evolutionistische (Herbert Spencer) und die neo-evolutionistische (Niklas Luhmann); zweitens die strukturfunktionalistische und systemfunktionalistische (Talcott Parsons, Niklas Luhmann), drittens die marxistische und neo-marxistische Theorie (Pierre Bourdieu); viertens Theorien der sozialen Mobilisierung, der gesellschaftlichen Transformation und der Modernisierung (Karl W. Deutsch, Daniel Lerner, Wolfgang Zapf) und fünftens und letztens mikrosoziale Theorien der Veränderung von Wert- und Normensystemen (George C. Homans) (vgl. Schäfers 2012: 23).

Alle vorgestellten Theorien haben gemeinsam, dass sie nicht nur empirische Daten sammeln und auswerten, sondern auch nach Ursachen für sozialen Wandel suchen und dessen Wirkungen erforschen. Abhängig von dem zugrundeliegenden theoretischen Fundament und der jeweiligen Zielsetzung der Untersuchung können auch historische Zusammenhänge in die Analyse einfließen (vgl. Schäfers 2012: 23). Die Vielzahl bestehender soziologischer Theorien, mit deren Hilfe der soziale Wandel erhellt wird, zeigt dessen hohen Stellenwert in der Soziologie. Wie man am folgenden Zitat erkennen kann, unterliegen Theorien des sozialen Wandels, die man als Denksysteme interpretieren kann, selbst im Rahmen ihrer Umwelt-System-Beziehung einem ständigen Wandel:

„Es sieht so aus, als könne die soziale Dynamik von keinem Label und wohl auch von keiner Theorie eingeholt werden; eher scheint das Thema des Wandels jede Theorie unverzüglich zu überrollen und die Stabilität ihrer Prämissen und Begriffe in Frage zu stellen.“ (Jäger / Meyer 2003: 11)

3.2Sozialstrukturanalyse

Die Sozialstrukturanalyse bedient sich systematischer Untersuchungsmethoden, um sozialen Wandel umfassend erkennen und erklären zu können. Hierbei wird das gesamte Wandlungsgeschehen in Teilbereiche zergliedert und jeweils analysiert. Danach werden die Teilbereiche auf ihre wechselseitige Beziehung hin untersucht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse helfen Ursachen- / Wirkungszusammenhänge zu verstehen. Aus den Forschungsergebnissen lassen sich in Verbindung mit empirischen Daten Prognosen erstellen und Trends ableiten. Zum Begriff der „Struktur“ schreiben Jäger / Meyer (2003: 16):

Wandel ist eben nur mit Hilfe und vor dem Hintergrund von Stabilität bzw. sozialer Struktur begrifflich aufzunehmen; dabei bezeichnen ‚Strukturen‘ zunächst ganz allgemein relativ stabile Muster des sozialen Handelns und der Interaktion.“ (Hervorh. im Original)

Die Basis für die Analyse der Strukturen liefern soziale Indikatoren wie beispielsweise die Bevölkerungsstruktur, die durch verschiedene Methoden der Datenerhebung quantifiziert werden. Schäfers (2012: 16) beschreibt den Begriff „Strukturanalyse“ wie folgt:

„Die Sozialstrukturanalyse hebt aus der Vielzahl der relevanten Elemente jene hervor, die für ein gesellschaftliches System und seine Integration zentral sind. Die Sozialstrukturanalyse ist zwar eine Momentaufnahme, berücksichtigt aber die Prozesse des sozialen Wandels, die zum gegebenen Zustand geführt haben und Ausgangspunkt weiterer Entwicklungen sind.“ (Hervorh. im Original)

Ein Problemfeld der Sozialstrukturanalyse ist die Komplexität des sozialen Wandels. Man versucht zwar in der Analyse die gegebene Komplexität durch die Bildung untersuchbarer Teilbereiche zu reduzieren; eine völlige Isolation eines Teilbereichs ist aufgrund der Interdependenzen zwischen den Teilbereichen aber nahezu unmöglich. Daher sind Überblendungen in einer systemisch gedachten Strukturanalyse aufgrund der dynamischen Vernetzung der Einzelteile eine unvermeidliche Begleiterscheinung. Parsons (2003: 14) beschreibt diese Wechselbeziehungen als „Phänomen der gegenseitigen Durchdringung“. Nach welchen Kriterien die Teilbereiche abgegrenzt werden, hängt erstens von dem zu untersuchenden Handlungsbereich und zweitens von der Schwerpunktsetzung des Untersuchenden ab. Die nachfolgende Makro-Umwelt-Analyse greift im Beschreibungs- und Erklärungsprozess zum einen auf den quantitativen und qualitativen Output vorausgegangener Strukturanalysen zurück, nutzt aber zum anderen deren theoretische Grundlagen zur eigenen Modellbildung.

3.3Modell 2 – Makro-Umwelt-Analyse für Musikschulen

Der zu untersuchende Gegenstand ist im Rahmen dieser Arbeit die Makro-Umwelt der Musikschulen und der damit verbundene soziale Wandel. Nun stellt sich die Frage nach einer sinnvollen Vorgehensweise bezüglich der Einteilung der zu untersuchenden Makro-Umwelt in adäquate Teilbereiche. Die Einteilung sollte einerseits möglichst wenige Interdependenzen zwischen den Teilbereichen mit sich bringen und andererseits bestehende Fragestellungen passgenau jeweils einem Teilbereich zuordnen. Die Managementlehre nutzt solche Situationsanalysen für ihre Zwecke und hat für die jeweiligen Zielsetzungen der Untersuchung Modelle wie beispielsweise Geschäftsfeld-, Markt- oder Konkurrenzanalysen entwickelt. Ursprünglich sollte das St. Galler Management-Modell mit seiner Segmentierung der Umwelt in vier Sphären zur Analyse genutzt werden.6 Allerdings ist diese Einteilung mit der in der Soziologie üblichen Terminologie nicht kompatibel und in der Aufteilung der Teilbereiche für die Zwecke der vorliegenden Arbeit weniger gut geeignet. Daher wird im folgenden Kapitel eine alternative Aufteilung vorgeschlagen, die auch bei der Umweltanalyse in dieser Arbeit Verwendung finden wird.

3.3.1Sphären der Makro-Umwelt

„Um einen Überblick über komplexe Zusammenhänge oder das Ganze zu gewinnen, aber auch, um nicht offen zutage liegende Zusammenhänge zu verstehen, entwickeln Menschen Modelle, d. h. vereinfachende und stilisierende Verdeutlichungen. Soziologen machen sich reale Gesellschaften meist mit Hilfe eines ‚Systemmodells‘ verständlich, das dann je nach Auslegung Aspekte, Teile, Bereiche, Ereignisse und Elemente der Wirklichkeit ausblendet oder zurückdrängt, beleuchtet oder hervorhebt. Immer werden somit gewisse Bestandteile der Wirklichkeit ignoriert oder als weniger relevant erachtet.“ (Jäger / Meyer 2003: 20)

Dieser Forschungsmeinung folgend soll ein für die Belange der Musikschulen angepasstes Analysemodell entwickelt werden.

In der Sozialstrukturanalyse werden die zu untersuchenden Teilbereiche oftmals Felder genannt. Ihre Abgrenzung richtet sich danach, was der Untersuchende als relevantes Feld definiert, und wird von der jeweiligen Zielsetzung der Analyse geprägt. Für die vorliegende Arbeit verengt sich der Blick auf die Felder, die für das Erfassen des Wandlungsgeschehens für Musikschulen relevant sind. Die in Abbildung 4 aufgezählten Felder sind das Ergebnis dieser Überlegung. In Anlehnung an das St. Galler Management-Modell (vgl. Rüegg-Stürm 2003 / 2005: 24) werden die Felder als Sphären und ihre Gesamtheit als Umweltsphären bezeichnet.7

Abb. 4:Sphären der Makro-Umwelt

3.3.2Gesellschaftliche Ebenen

Die gesellschaftlichen Ebenen teilen sich in Mikro-Ebene, Meso-Ebene und Makro-Ebene.

„Sozialer Wandel ist auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu beobachten, auf der Makroebene der Sozialstruktur und Kultur, auf der Mesoebene der Institutionen,...