Rahmenbedingungen zur Anerkennung informell erworbener Kompetenzen in der Berufsbildung

von: Brigitte Geldermann, Sabine Seidel, Eckart Severing

wbv Media, 2008

ISBN: 9783763946099 , 265 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 24,90 EUR

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Rahmenbedingungen zur Anerkennung informell erworbener Kompetenzen in der Berufsbildung


 

4.2 Zertifikate in der beruflichen Bildung (S. 60-61)

4.2.1 Historie und Charakteristika

Für das deutsche Bildungssystem ist die Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung charakteristisch. Übergänge sind zwar möglich, aber in der Regel mit der Doppelung eines Bildungsabschnitts und entsprechend verlängerter Ausbildungszeit verbunden. Das Berufsbildungssystem mit der rechtlichen Trennung von Handwerk und Industrie blieb bis in die 1960er-Jahre weitgehend unverändert. Erst zu dieser Zeit wurden Forderungen nach einer stärkeren öffentlichen Kontrolle und Stärkung der schulischen Ausbildungsanteile laut. 1969 wurde das Berufsbildungsgesetz (BBiG) verabschiedet, das durch das Berufsbildungsreformgesetz vom 1. April 2005 umfassend novelliert und mit dem Berufsbildungsförderungsgesetz von 1981 zusammengeführt worden ist.

Seit den 1980er-Jahren werden die Ausbildungsberufe neu geordnet und modernisiert. Neben dem dualen System hat sich ein vollzeitschulisches Berufsbildungssystem von Fachschulen, Berufsfachschulen und Schulen des Gesundheitswesens herausgebildet, das in den letzten Jahrzehnten auch infolge der nachlassenden Absorptionsfähigkeit des dualen Systems an Bedeutung gewonnen hat. Die berufliche Ausbildung ist durch eine weitgehende Standardisierung von Curricula und Prüfungen gekennzeichnet. Die Abschlussprüfungen werden von den zuständigen Stellen abgehalten. In der Regel sind dies Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern.

Die Zertifizierung findet auf Ebene des Einzelberufs statt. In einem gewissen Spannungsverhältnis zum Berufsprinzip und zur öffentlichen Regelung der Ausbildung steht die betriebliche Trägerschaft bei den dualen Ausbildungsgängen. Der Zugang zum dualen System wird über betriebliche Rekrutierungsstrategien vermittelt und privatrechtlich fixiert. Damit unterscheidet er sich grundlegend von den Zugangsregelungen, die für schulische Ausbildungsformen gelten.

Eine formale Zulassungsbeschränkung besteht nicht. Auch Jugendliche ohne Schulabschluss können eine Ausbildung aufnehmen, sofern die Vollzeitschulpflicht erfüllt ist. Der Erwerb eines Abschlusses in einem anerkannten Ausbildungsberuf ist auch über den Weg einer Umschulung möglich. Dafür wird allerdings regelmäßig bereits ein Berufsabschluss vorausgesetzt (§ 61 BBiG). Umschulungen unterliegen dem SGB III und werden für Personen angeboten, die aus gesundheitlichen oder arbeitsmarktlichen Gründen nicht mehr in ihrem erlernten Beruf bleiben können. Die Finanzierung erfolgt seit 2003 über Bildungsgutscheine. Die Teilnehmerzahlen sind infolge der veränderten Arbeitsmarktpolitik stark zurückgegangen.

4.2.2 Die Bedeutung von Zertifikaten der Erstausbildung für Erwerbschancen

Während einerseits der Zugang zu einer Ausbildung im dualen System aufgrund seiner Abhängigkeit von einzelbetrieblichen Kalkülen potenziell begrenzt ist, sind andererseits die Arbeitsmarktchancen der Absolventen des dualen Systems hoch. Die Auszubildenden erwerben beruflich spezialisierte Qualifikationen, werden für das Arbeitsleben sozialisiert und mit der Organisationskultur ihres Betriebs vertraut gemacht, sodass sie nach der Ausbildung meist gute Übernahmechancen in Beschäftigung haben.

Wegen der überbetrieblichen Standardisierung der Ausbildung ist diese auch auf dem externen Arbeitsmarkt verwertbar. Die formellen Abschlüsse des Ausbildungssystems sind nach wie vor in Deutschland für die künftigen Erwerbschancen von zentraler Bedeutung. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen von Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung liegt um etwa 25 % höher als das von Personen ohne Ausbildung (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 97). Dieser vergleichsweise hohe soziale und wirtschaftliche Status ruht allerdings auf dem schmalen Fundament einer ausgeprägten fachlichen Spezialisierung. Für den beruflichen Aufstieg sind den Absolventen des dualen Systems zudem Grenzen gesetzt (Konietzka 2007, 279). Sie verbleiben typischerweise auf mittleren Positionen.