Handbuch der Wirtschaftssoziologie

von: Andrea Maurer

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531909059 , 454 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 29,99 EUR

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Handbuch der Wirtschaftssoziologie


 

Perspektiven der Wirtschaftssoziologie. (S. 11)

Von versunkenen Schätzen, Entdeckern und neuen Kontinenten

Andrea Maurer

In der Soziologie waren wirtschaftliches Handeln ebenso wie Wirtschaftsinstitutionen und -strukturen über lange Zeit kein Thema. Eine Wirtschaftssoziologie war kaum oder doch nur schemenhaft zu erkennen und führte trotz einiger wichtiger Einzelarbeiten ein Schattendasein. Und das, obwohl die Begründer der modernen Soziologie Emile Durkheim und Max Weber das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft von Anfang an thematisiert und problematisiert haben.

Sie waren als Zeitzeugen des Siegeszugs des modernen Kapitalismus und in der Nachfolge der Gesellschaftslehren des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, in denen noch nicht systematisch zwischen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Handlungsfeldern unterschieden worden war, offen für den Zusammenhang von Wirtschaft und Gesellschaft. Den Arbeiten von Adam Smith und Karl Marx kommt dafür eine besondere Bedeutung zu, sie dürfen nach wie vor als wichtige Grundlage einer Soziologie gelten, die sich mit Wirtschaft auseinandersetzt.

Max Weber, von vielen rezipiert als der Klassiker der Wirtschaftssoziologie, hat in kritischer Abgrenzung von Marx und der nach-klassischen Ökonomie für eine Sozial-Ökonomik plädiert, die soziale und ökonomische Faktoren zusammenführt. Dafür steht in erster Linie seine bahnbrechende Rekonstruktion der sozial-kulturellen wie sozial-strukturellen Grundlagen des modernen rationalen Unternehmens-Kapitalismus. Zusehends gerät aber auch die von ihm vertretene handlungsorientierte Erklärungsweise ins Blickfeld der Forschung. Diese Perspektive schlägt vor, auch wirtschaftliche Strukturen wie den modernen rationalen Kapitalismus, rational organisierte Unternehmen oder Massengütermärkte ausgehend vom intentionalen Handeln der Akteure zu erklären und dafür auf soziale, politische und wirtschaftliche Institutionen und Ordnungen zu rekurrieren.

Emile Durkheim indes hat die schon von Adam Smith diskutierte Arbeitsteilung in den soziologischen Blick genommen, wobei er gerade nicht deren effizienzförderliche Wirkung, sondern ihre sozial-integrativen Folgen in modernen Gesellschaften und deren soziale Basis hervorgehoben hat. Ebenso haben Georg Simmel, der in seiner Philosophie des Geldes den Konsum- und Lebensstil moderner Gesellschaften behandelt hat, Talcott Parsons, der Wirtschaft als funktionales Teilsystem der Gesellschaft definiert hat, oder Norbert Elias, der die Entwicklung der Haushaltsführung im französischen Absolutismus als Teil des Zivilisationsprozesses herausgestellt hat, wichtige Grundlagen für die Bearbeitung wirtschaftlichen Handelns und wirtschaftlicher Strukturen gelegt.

Dieser versunkene Schatz birgt ein großes Theorie- und Analysepotenzial, das sich für die neu etablierende Wirtschaftssoziologie zu heben und zu entwickeln lohnt. Die Soziologie hat sich in Deutschland Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als eigenständige Disziplin institutionalisiert und in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (nicht zuletzt in Abgrenzung zum Verein für Socialpolitik, der wissenschaftlichen Organisation der Nationalökonomie) organisiert.

Ihre weitere Entwicklung wurde allgemein gehemmt durch die großen welthistorischen Erschütterungen des zwanzigsten Jahrhunderts, insbesondere durch den Aderlass im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg. In der Nachkriegssoziologie dominierten normative Ordnungskonzeptionen, die empirische Sozialforschung aus den USA trat ihren Siegeszug an, und es ergab sich die nach wie vor bestehende Ausdifferenzierung in die vielen sogenannten Bindestrich-Soziologien.

In Deutschland fiel der Gegenstand ‚Wirtschaft’ vor allem in das Tätigkeitsfeld der an neo-marxistischen Ansätzen orientierten Arbeits-, Betriebs- und Industriesoziologie (die hierzulande, im Unterschied zu den USA, nach wie vor Gewicht hat) und späterhin auch in die Organisationssoziologie (die über den Umweg USA zurückkam als kritische Rezeption von Rationalitätskonzepten à la Weber).