Nimue Alban: Der Kriegermönch - Bd. 12

von: David Weber

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783838746159 , 605 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Nimue Alban: Der Kriegermönch - Bd. 12


 

.I.


Palast des Reichsverwesers
und
Charisianische Botschaft,
Siddar-Stadt,
Republik Siddarmark


Der Donnerhall von Salutschüssen, die oben auf den Festungszinnen abgegeben wurden, verschluckte die Fanfarenstöße. Sie waren das Willkommen für den hochgewachsenen jungen Mann, der die Gangway betrat. Der Jubelschrei der Menschenmenge kam wie aus einer Kehle, und ganze Schwärme von Seevögeln und Wyvern störte der plötzliche Lärm auf. Sie kreisten über dem Hafenbecken, in dem dicht an dicht Schiffe vor Anker lagen. Manche der Seevögel stürzten sich zwischen Masten und Takelage hindurch den Wellen entgegen, nur um gleich wieder Höhe zu gewinnen.

Der Jubel an Land schien kein Ende nehmen zu wollen. Die Menschen, die sich am Hafen von Siddar-Stadt versammelt hatten, drängten sich der Absperrkette siddarmarkianischer Pikeniere entgegen. Deren Aufgabe war es, die Fläche am Fuß der Gangway freizuhalten. Zu behaupten, jeden Einwohner der Hauptstadt reiße Cayleb Ahrmahks Ankunft in diesen Freudentaumel, wäre albern gewesen. Aber Buhrufe oder Abschätziges war nur äußerst selten zu hören, was durchaus verständlich war. Obwohl der harte Winter vorbei war, gab es viele ausgezehrte Gesichter in der Menge. Die eisige Luft an diesem Tag war als Echo der beißenden Winterkälte Erinnerung genug an die Schrecken des vergangenen Winters. Was hatten die Siddarmarkianer in den letzten Monaten nicht alles erdulden müssen! Hinter HMS Kaiserin von Charis konnte man charisianische Handelsgaleonen vor Anker liegen sehen. Wer am Kai stand und jubelte, wusste eines sehr genau: Diese Galeonen und all ihre Vorgänger hatten die durchlittenen Schrecken gemildert und für so manchen den Unterschied zwischen Leben und Tod ausgemacht.

Reichsverweser Greyghor ging Cayleb entgegen, kaum dass dieser den Fuß auf das Pflaster des Piers setzte. Stohnar wollte sich verneigen. Cayleb aber legte ihm die Hand auf die Schulter und ließ ihn so mitten in der Bewegung innehalten. Der Jubel wurde noch lauter, so laut, dass keiner der beiden Männer sein eigenes Wort hätte verstehen können, geschweige denn den Gruß des Gegenübers. Doch dann schüttelte der Kaiser lächelnd den Kopf, und noch einmal schwoll der Jubel an. Immer schon war es Tradition in der Republik gewesen, dass der Reichsverweser vor keinem weltlichen Herrscher das Haupt neigte. Jeder hier am Hafen aber verstand sofort, was Greyghor Stohnar dazu bewogen hatte, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen: Charis’ Galeonen, beladen mit Lebensmitteln, waren Erklärung genug. Caylebs Reaktion nahm die Menge nun noch mehr für ihn ein.

Ein Händeschütteln und ein Nicken war die wechselseitige Begrüßung von Kaiser und Reichsverweser. Dann trat Stohnar neben seinen Gast und deutete auf die Kutschen, die bereitstanden. Ein kurzer Blickwechsel mit dem hochgewachsenen Offizier der Kaiserlichen Garde, der dicht neben dem Kaiser stand, genügte. Der Mann mit den bemerkenswerten Saphiraugen hatte die unauffällige Überprüfung der Kutschen durch ein Dutzend Kaiserlicher Leibgardisten überwacht und nickte nun zustimmend. Zhaspahr Clyntahns Welle von ›Rakurai‹-Attentaten war zwar mittlerweile abgeklungen, aber hatte viele Opfer gefordert. Deswegen blieben Sicherheitsmaßnahmen angezeigt, die bis dato undenkbar gewesen wären: Man überprüfte mit handverlesenen Leuten lieber alles doppelt und dreifach und suchte selbst an den unmöglichsten Stellen nach versteckten Sprengladungen. Sogar unter jede der Kutschen war einer der Gardisten gekrochen, um sich zu vergewissern, dass den wachsamen Augen der siddarmarkianischen Soldaten nichts entgangen war. Der blauäugige Kaiserliche Gardist legte zum Salut die Faust an seinen geschwärzten Brustpanzer und ließ seinen Kaiser, dessen Gastgeber und beider Gefolge einsteigen. Die Kutschen brachten ihre Passagiere zum Regierungssitz. Die Straßen, durch die sie fuhren, waren von wachsamen Pikenieren und unablässig jubelnden Bürgern gesäumt.

»Ein wahrhaft beeindruckender Empfang, Mein Lord«, sagte Cayleb Ahrmahk, während er Seite an Seite mit Greyghor Stohnar den gefliesten Gang entlangschritt.

»Ein Empfang, wie Ihr ihn Euch verdient habt, Euer Majestät. Ohne Charis’ Hilfe wären viele der jubelnden Menschen dort draußen längst tot oder so entkräftet, dass ihr Tod nur noch eine Frage der Zeit wäre. Ich werde uns beiden die Peinlichkeit ersparen, mich erneut bei Euch zu bedanken. Ihr habt ja in Euren Schreiben bereits zum Ausdruck gebracht, wie Ihr darüber denkt. Aber die Einwohner dieser Stadt sind sich wie ich der Tatsache bewusst, dass wir in Eurer Schuld stehen.«

»Das aber kann man auf vielerlei Weise, Mein Lord«, erwiderte Cayleb. »Ihre Majestät und ich haben die Hilfeleistungen für die Siddarmark als unsere Pflicht angesehen. Gut, wir hätten auch geholfen, wenn Zhaspahr Clyntahns Gräueltaten in der Republik nichts mit dem Krieg Zions gegen Charis zu tun gehabt hätten. Aber die Wahrheit ist nun einmal, dass ohne uns nichts von alledem«, mit einer Handbewegung schien er die ganze Stadt einzuschließen, »je geschehen wäre.«

»Vielleicht nicht jetzt, Euer Majestät, aber irgendwann in jedem Fall! Clyntahn hätte uns das nicht erspart.« Stohnars Miene wirkte wie versteinert. »Um darüber nicht nachdenken zu müssen, habe ich mich jahrelang selbst belogen. Ich tat, als gebe es Hoffnung, der Großinquisitor könnte Vernunft annehmen … zumindest was die Siddarmark betrifft. Die letzten zwei Jahre haben mir die Augen geöffnet. Denn leider ist es nicht Clyntahn allein, sondern das ganze Vikariat, dass die Siddarmark unter seiner Knute sehen will. Wir haben, politisch gesehen, unverzeihliche Fehler gemacht: Wir sind zu groß geworden, zu mächtig … und zu tolerant. Aber …«, ein dünnes Lächeln umspielte Stohnars Lippen, »an dieser Toleranz ist Charis nicht ganz unschuldig. Wie hat Clyntahn es doch gleich so schön bildhaft ausgedrückt? Es ist schon eine Weile her … Wartet … Ah, ja, jetzt! Er sagte, wir seien noch willfähriger mit Euch ins Bett gestiegen als jedes andere größere Reich auf dem Festland. Also hat damals schon der verderbliche Einfluss der Charisianer als Begründung für die Gefährlichkeit unserer Denkweise herhalten müssen. Doch, stellt Euch vor, wir Siddarmarkianer brauchen gar kein Charis, um widerspenstig zu sein.« Er schüttelte den Kopf. »Verachten konnten wir die ›Vierer-Gruppe‹ immer schon. Nur etwas gegen sie zu unternehmen – dazu fehlte uns bisher der Mumm oder auch die Willensstärke.«

»Glauben Sie mir, Mein Lord«, erwiderte Cayleb trocken. »Charis’ Mumm und Willensstärke haben durchaus etwas damit zu tun, dass unsere Heimat einige tausend Meilen von Zion entfernt liegt und uns diese Idioten ohnehin keine andere Wahl gelassen haben. Mein Vater hat das zwar alles schon vor Jahren kommen sehen, aber vermieden hätten wir den ganzen Schlamassel dann doch gern!«

»Tja, manches lässt sich trotz aller Anstrengung eben nicht vermeiden, Euer Majestät«, gab Stohnar zurück. Sie näherten sich dem Konferenzsaal, und ein Gardist öffnete ihnen die schwere Flügeltür. Das hochglanzpolierte Holz schimmerte im Licht. »Mit Unvermeidlichem habe ich in den letzten Monaten so manche Erfahrung sammeln dürfen.«

»Zweifellos«, meinte Cayleb und trat gleichzeitig mit dem Reichsverweser ein, dicht gefolgt von Merlin Athrawes. Stohnars engste Ratgeber verneigten sich tief.

»Aber offenkundig ist die Zeit des Lernens noch nicht vorbei, Euer Majestät«, fuhr Stohnar mit bebenden Nasenflügeln fort. »Armeen lassen sich nur schwer durch unsere Gebirge schaffen. Aber einzelne Kuriere und Boten finden ihren Weg. Informationen aus den besetzten Provinzen haben wir reichlich … und was wir erfahren, lässt wenig Raum für Hoffnung.«

»Das war zu erwarten.« Dieses Mal wechselte Cayleb keinen Blick mit seinem persönlichen Waffenträger. »Auch wir haben unsere Spione und Informanten; die berichten uns Ähnliches. Deswegen habe ich Graf Hanth und Marineinfanterie in die Eralth Bay entsandt. Uns kam Ihre Südflanke derzeit am wenigsten geschützt vor, Mein Lord. Daher sollen Ihre Truppen dort ein wenig Unterstützung bekommen, während wir darauf warten, dass Herzog Eastshare in Siddar-Stadt eintrifft … und darauf, wohin die Armee Gottes im Norden zieht. Aber was auch immer wir tun, wahrscheinlich verlieren wir erst noch viel Terrain, ehe wir darauf hoffen können, den Feind zurückzutreiben.«

»Aber wir werden ihn zurücktreiben, Euer Majestät!«, warf ein stämmiger Mann ein. Er hatte beachtlich breite Schultern; den braunen Bart durchzogen zahlreiche weiße Strähnen, und Unerschütterlichkeit umgab ihn wie ein schützender Mantel.

»Lord Daryus Parkair, der Seneschall der Republik, Euer Majestät«, erklärte Stohnar. »Daryus neigt gelegentlich zu … unverblümter Offenheit.«

»Dann werden wir wohl bestens miteinander auskommen, Mein Lord.« Caylebs Mundwinkel zuckten. »Gelegentlich behauptet man dergleichen auch über mich. Und Ihre Majestät die Kaiserin würde vermutlich noch hinzufügen, ich wäre obendrein stur.«

»Ach, tatsächlich?« Stohnar schnaubte belustigt. »Meine selige Frau beliebte mich auch stur zu nennen. Meine älteste Tochter lässt es sich seitdem nicht nehmen, diesem Amt ihrer Mutter selig neuen Glanz zu verleihen.«

»Bei allem schuldigen Respekt, Euer Majestät«, ergriff nun ein anderer Siddarmarkianer das Wort, »mir scheint, da wirft jemand mit Steinen, der im Glashaus sitzt – wenn ich so vermessen sein darf, das offen auszusprechen. Die ganze Welt weiß doch, wie … entschlossen Sharleyan von Chisholm sein kann.«

»Lord Henrai Maidyn«, stellte Stohnar den Mann vor. Cayleb nickte...