Vampire Earth - Wolfsdämmerung - Roman

von: E. E. Knight

Heyne, 2010

ISBN: 9783641043124 , 478 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Vampire Earth - Wolfsdämmerung - Roman


 

1
Der Great Plains Gulag im März des fünfundvierzigsten Jahres der kurischen Herrschaft: Nur die Gebeine einer Zivilisation sind geblieben, Monumente menschlicher Glanzzeiten. Alles Übrige verzehren Natur und Zeit. Bohrtürme stehen noch immer in dieser Ecke des Öllandes, blicken wie gigantische eiserne Insekten über das Land hinaus. Unter ihnen rosten die Pumpen, stehen verstreut in dem langen, gelblichen Gras wie metallene Pflanzenfresser, die Schnauzen in die Erde gebohrt. Die ehemaligen Weizenfelder liegen seit Generationen brach und haben sich wieder zu urtümlichen Wäldern oder Prärielandschaften entwickelt, die Longhornrinder, Hirsche und schlaue Wildschweine mit Nahrung versorgen. Es ist ein Land schwindender Horizonte, eine Uhr, die nicht mehr tickt, zeitlos.
Die Erde der bewirtschafteten Felder ist nach dem Pflügen umgewälzt und zertrampelt. Ein Bewohner des zwanzigsten Jahrhunderts hätte angesichts der Werkzeuge und Methoden, die in den Agrargebieten zum Einsatz kommen, entweder staunend die Augen aufgerissen oder angewidert ausgespuckt. Pflüge mit nur einer Schar, von Pferden gezogen, stehen an den Feldrainen, wo sie zu Feierabend zurückgelassen wurden, und der einzige Dünger, der auf den Feldern ausgebracht wird, ist das, was aus dem Hinterteil eines Tieres kommt.
Die bäuerlichen Siedlungen im Zentrum der verbliebenen landwirtschaftlichen Gebiete, die stets in der Nähe einer Straße oder einer Eisenbahnlinie liegen, sehen eher nach Strafgefangenenlagern als nach Gehöften in Familienbesitz aus. Umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen schreien die mit Schindeln verkleideten Baracken der Landarbeiter und ihrer Familien nach frischer Farbe und einem neuen Dach, das die flatternden Plastikplanen über den unzähligen Löchern ersetzen kann. Müllhaufen und Plumpsklos schmücken das Gelände zwischen den jämmerlichen Gemüsegärten. Die Kinder, die zwischen den dicht gedrängt stehenden Gebäuden spielen, zeigen viel nackte Haut, so verschlissen sind ihre Kleider.
Ein massiveres Bauwerk steht üblicherweise in der Nähe der Lagertore in respektvoller Distanz zu den Baracken, meidet jeglichen Kontakt wie ein Gesunder in einer Leprakolonie. Meist handelt es sich um ein gemauertes Bauwerk aus der Zeit vor dem Jahr’22; die Fenster hinter den Gittern oder Läden sind verglast, und hinter dem Glas finden sich Vorhänge.
Wenige Meilen nördlich des Oologah Lake an der alten State Route 60 schmiegt sich eine dieser Kollektivfarmen, von ihren Bewohnern Rigyard genannt, in eine von sanften Hügeln beherrschte Landschaft. Zwei hohe Stacheldrahtzäune umgeben das Lager. Im Viereck angeordnete Baracken kauern im Schatten zweier Wachtürme, die ihrerseits winzig wirken vor den beiden gewaltigen Garagen, welche an riesige Wellblechhütten erinnern. Die Garagen bestehen aus einem Flickwerk aus Lehmwänden, Eisenträgern und geriffelten Aluminiumplatten. Hinter ihnen steht in beherrschender Position in der Nähe des Tores ein L-förmiger Betonbau aus den 1950er-Jahren und umgibt beschützerisch eine Reihe von Zapfsäulen. Ein Wasserturm – eine Ergänzung jüngeren Datums, wie der glänzende Stahl verrät – ragt ein wenig schief über den Gebäuden auf und thront wie ein kecker Hut über der Wachstube. Jenseits des Betongebäudes steht in prachtvoller Isolation ein zweistöckiges Haus, windwärts so weit wie nur möglich von den Baracken entfernt und umgeben zunächst von einer Veranda und dann von einem Stacheldrahtzaun, dessen Tor mit einem Vorhängeschloss versehen ist.
Jeder Wachturm ist bemannt mit einem einzelnen Wachposten in grün-braun geflecktem Tarnanzug und einer schwarzen Jägermütze aus Leder. Der Posten im Süden ist wachsamer; er durchquert von Zeit zu Zeit sein kleines Krähennest, um den Highway in beide Richtungen zu überblicken, der auf der Südseite des Lagers am Zaun entlangführt. Der Posten im Norden zernagt zwischen seinen Schneidezähnen, die beinahe von einem Biber hätten stammen können, reihenweise Zahnstocher, während er drei Frauen in Arbeitskitteln beobachtet, die im Gemeinschaftsspülstein zwischen den Baracken Kleidung waschen.
Wäre der andere Wachmann mit einem hervorragenden Fernglas ausgestattet (unwahrscheinlich, aber möglich), würden seine Augen scharf sehen (noch unwahrscheinlicher, da die Bewachung von Bauern und Handwerkern den älteren Angehörigen der Territorialen vorbehalten ist) und übte er motiviert seinen Dienst aus (eher gibt es einen kalten Tag in der Hölle), so hätte er auf die Wasserrinne geachtet, die sich von dem Hügel herabschlängelt, der Rigyard vor dem vorherrschenden Wind schützt. Der bewaldete Einschnitt in den Bergen bietet neben einer hinreichenden Tarnung auch eine imposante Aussicht, sei es zur bloßen Beobachtung oder zur Vorbereitung eines organisierten Angriffs.
Eine Gestalt, die all die genannten Qualitäten auf sich vereint, liegt auf diesem Hügel, umgeben von den weißen und gelben und roten Wildblumen des Frühlings in Oklahoma. Der junge Mann ist muskulös und langgliedrig, hat eine kupferbraune Haut und wachsame braune Augen. Nicht viel anders gekleidet als seine Vorfahren von der Siouxseite seiner Familie, trägt er eine Uniform aus Hirschleder nebst einem Waffengurt und Stiefeln aus dickerem Rindsleder. Sein üppiges schwarzes Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden, so dass der Eindruck kurz geschorener Haare entsteht, wenn man ihn nicht von hinten betrachtet, wo der Pferdeschwanz auf seine Schultern herabbaumelt. Aufmerksamkeit spiegelt sich in seinen Zügen, während er das Lager mustert. Ein junger Gepard bei der Beobachtung eines Wasserlochs, der nicht wissen kann, ob im umgebenden Gestrüpp Beute wartet oder ein Löwe zum Angriff ansetzt, mag ähnlich wachsam erscheinen. Seine Augen wandern von einem Punkt zum nächsten, beobachten das Lager mithilfe eines schwarzen Fernglases, verweilen hier und dort, während sein Unterarm das Stativ ersetzt. Wie bei dem Posten mit den vorstehenden Zähnen im Südturm ist auch sein Mund ständig in Bewegung, knabbert nachdenklich an dem zarten Ende eines jungen Grashalms.
Sein Blick kehrt zu dem stacheldrahtumschlossenen Hof des zweigeschossigen Hauses zurück. Auf dem zugehörigen Rasen stehen sich zwei Metallpfosten gegenüber. Die Wäscheleine, die einst zwischen ihnen gespannt war, ist nicht mehr da. Statt Wäsche, die in der Nachmittagssonne trocknet, hängen drei Männer und eine Frau an dem provisorischen Galgen. Ihre Handgelenke sind hinter ihrem Rücken gefesselt und an die metallene Querstange am oberen Ende der Pfosten gebunden, so stramm, dass sie sich die Schultern ausrenken würden, sollten sie in ihren Fesseln zusammenbrechen.
Er weiß, dass der Tod auf die vier Personen wartet – nicht durch Erschöpfung oder ein Übermaß an Sonnenlicht, sondern durch etwas, das schneller ist, das entsetzlicher ist und so sicher wie der Sonnenuntergang.
 
 
Der Senior Lieutenant der Foxtrott-Kompanie ließ das Fernglas sinken und richtete seinen Blick auf einen wenige Meter entfernten Korallenbaum, dessen zarte rote Blütenblätter sich der Sonne entgegenreckten. Das Manöver war fehlgeschlagen. Obwohl sie einen guten Kilometer entfernt waren, konnte er die gequälten Gestalten im Hof sehen. Seine Schultern pulsierten unter einem mitfühlenden Schmerz. Nach vierjährigem Dienst für die Sache hatte sich seine Empfindsamkeit gegenüber dem Leiden verstärkt, nicht abgeschwächt.
Lt. David Valentine blickte die Wasserrinne hinab. Sein Zug, alles in allem fünfunddreißig Mann, rastete. Mit dem Rücken bequem an belaubte Bäume gelehnt, nutzten seine Leute ihre Rucksäcke, um ihr Hinterteil vor dem nassen Boden zu schützen. Seit sie am Morgen die Nordseite des Lake Oologah umrundet hatten, hatten sie in konstant hohem Tempo Kilometer um Kilometer zurückgelegt. Ihre Gewehre ruhten einsatzbereit auf ihren Oberschenkeln. Sie trugen lederne Uniformen, die sich, je nach Geschmack, durch verschiedenartiges schmückendes Beiwerk auszeichneten. Einige trugen noch die winterlichen Bärte, und keine zwei Hüte glichen einander. Die einzige Staffage, die seinen drei Trupps gemeinsam war, waren die kurzen Macheten mit der breiten Klinge, die Parangs, auch wenn manche sie am Gürtel trugen, andere vor der Brust und wieder andere in einer Scheide an ihren Gamaschen aus Mokassinleder.
Sie sahen nicht aus wie eine Mischung aus Fabelwesen und Alien, so wie sich viele die Angehörigen der Elite, die unter dem Namen »die Jäger« bekannt war, vorstellten.
Valentine gab den Männern, die in der Rinne warteten, mit zwei Fingern ein Signal, und Sergeant Stafford kletterte aus dem Graben heraus, um sich in dem feuchten Farn zu ihm zu gesellen. Der Sergeant des Zuges, der wegen seiner ledrigen Haut und dem zahnreichen Grinsen außer Dienst auch Gator genannt wurde, arbeitete sich langsam zu Valentines Aussichtspunkt vor. Wortlos reichte der Lieutenant Stafford das Fernglas. Stafford studierte das Gelände, während Valentine noch ein paar Zentimeter des Grashalms zwischen seinen Zähnen zerkaute.
»Sieht aus, als hätten wir den letzten Spurt umsonst gemacht«, sagte Valentine. »Der Lastzug ist bereits hier. Wir hätten ihn so oder so nicht abfangen können – muss ein ziemlich guter Straßenabschnitt sein.«
»Wie haben Sie das festgestellt, Sir?«, fragte Stafford, während er das Gelände vergeblich nach dem Tankwagen absuchte, den sie am Vormittag durch den Regen hatten kriechen sehen. Der Zug war querfeldein vorangeprescht in der Absicht, dieses verlockende Zielobjekt in eine Falle zu locken. Dank des Zustands der Straßen in diesem Teil der...