Gott'sacker - Kriminalroman

von: Michael Boenke

Gmeiner-Verlag, 2010

ISBN: 9783839234648 , 275 Seiten

8. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Gott'sacker - Kriminalroman


 

3


Gegen 9 Uhr wachte ich auf. Meine Dicke hatte mich gut nach Hause gebracht, am Lenker hatte ich mich festgehalten, als ich das mitternachtsschwarze Ungetüm durchs ganze Dorf nach Hause geschoben hatte. Sicherheitshalber schaute ich in den Hof – die Erinnerung war getrübt. Immer noch war sie schwarz und stark.

Gott sei Dank, aber auch!

Mein Kopf war klar, nur ein schlechter Geschmack im Mund verriet mir, dass ich das Zähneputzen vergessen hatte. Nach einer Dusche machte ich mich ans Frühstück. Der Kühlschrank war gut bestückt.

An und für sich bin ich ja kein altmodischer Mensch. Aber ich hasse Wellness-Frühstücke. Ich mag keinen frisch zentrifugierten Karottensaft mit Magermilchjoghurt und Kleiesprengseln. In meinem Kühlschrank fand sich dunkel gerauchter Speck, die Zwiebel war flugs geschält. Während der Speck in der Eisenpfanne langsam sein duftendes Fett vom festen in den flüssigen Zustand brachte, holte ich aus meinem Kräutergärtlein frischen Schnittlauch. Die fein gewürfelten Zwiebeln dann zum Speck, Hitze hochfahren. Drei Landeier aus Freilandhaltung in die große Tasse, kurz verquirlen, in die heiße Pfanne, Schnittlauch darüber. Pfeffer, Salz. Da kommt kein Wellness-Joghurt an Cocktailtomätchen mit!

Da ich zum Frühstück die leiseren Töne liebe, legte ich eine CD von Deep Purple auf, Machine Head.

Ian Gillan kreischte: ›Nobody gonna take my car, I’m gonna race it to the ground, nobody gonna beat my car, it’s gonna break the speed of sound, Oooh it’s a killing machine, it’s got everything, like a driving power big fat tyres and everything.‹

Ja, die guten alten Zeiten …

Das Telefon riss mich mit seinem Geklingele aus meinen Gedanken. Es war die Gemeinde. Frau Kätherle klang aufgeregt: »Wo bleiben Sie denn, Herr Bönle? Sie haben keine Ferien. Die warten schon seit neun am Gemeindezentrum auf Sie!«

Mit dieser Frage fiel es mir auch wieder ein. Die Psycho-Tanten. Der Kurs, der extra auf Wunsch zweier Bäuerinnen in die großen Ferien gelegt wurde.

»Bin schon unterwegs.«

Im Dorf war ich zuerst einmal der Gammelstudent, dann der ewige Student gewesen. Nach dem Tod meiner Eltern hatte ich ohne Zögern das Elternhaus als mein Haus und das Dorf meiner Kindheit als Heimat angenommen. Nachdem es nach meinem zweiten Staatsexamen mit einer Stelle im Lehramt an Gymnasien nicht geklappt hatte, war ich in der Gemeinde so etwas wie ein Mädchen für alles. Mit den Fächern Geografie und Katholische Theologie, in denen ich letztendlich einen mäßigen Abschluss gemacht hatte, waren meine Kompetenzen derzeit auf dem Bildungsmarkt nicht gefragt. Hätte ich nicht die Erbschaft vor zwei Jahren gemacht – das Häuschen und noch ein ordentliches Taschengeld dazu, wer weiß, vielleicht wäre ich jetzt der Obdachlose, der in alten Kapellen nächtigen müsste …

In der 800-Seelen-Gemeinde war ich nun im kirchlichen Sektor der Mann für alle Fälle. Durch mein abgebrochenes Psychologie-Studium und meinen Abschluss in Theologie war ich irgendwie in die kirchliche Hilfsschiene reingerutscht und machte nun alles, was gerade so in einer kleinen Kirchengemeinde anfiel.

Mal eine Rede bei Beerdigungen – ich hatte auch drei Semester Germanistik in Münster studiert – mal ein VHS-Kurs ›Die Schwäbische Barockstraße und die Kirchen, die sie säumen‹ oder wie jetzt eben den Selbstfindungskurs für Hausfrauen ›Wer bin ich? Versuch einer Definition des Ichs zwischen Küche, Beruf und Kindern‹. Der Kurs war achtstündig, vier mal zwei Stunden in den großen Ferien – Freitag vormittags. Und jetzt war Vormittag, auch Freitag.

Ich stieg auf meine Maschine und fuhr die 200 Meter zum neuen Gemeindezentrum. Die Kurs-Damen waren völlig aufgeregt, auch der Herr. Mit ernsten Gesichtern standen sie vor der gläsernen Eingangstür des Franziskus-Hauses. Schnell entschuldigte ich mich, die Stimmung gefiel mir nicht.

»Sie müssen’s ja auch schon wissen?«

Alle schauten mich neugierig an, als hofften sie, etwas Ungeheuerliches von mir zu erfahren.

»Das mit dem Toten in der Kapelle … Weiß man schon, wer der Tote ist?«, fragte ich.

»Auch Frauen können tot sein!«

Hildegard, die attraktive Grundschullehrerin, die ihre Ferienpläne extra für diesen Kurs geändert hatte, schaute mich vorwurfsvoll an. Ich wusste nicht, warum, und machte mir nicht die Mühe, ihre eigenartige Aussage zu interpretieren. Herr Philipp Maiser, der einzige Mann des Kurses, der sich für diesen Termin extra freinahm und unser Riedhagener Kirchen-Organist ist, fuhr sich nervös durch sein ungepflegtes langes Haar und meinte: »Nein, nicht die Leiche in der Kapelle, der Hund von deinem Nachbarn, dem Müller.«

»Was ist mit dem?«

»Tierschänder wahrscheinlich, irgendwie totgeschlagen und dann komisch hergerichtet, aber mehr weiß ich auch nicht.«

Nach wildesten Mutmaßungen über die Leiche im Ried – ich musste wieder meine Geschichte des Auffindens zum Besten geben – und den toten Hund bat ich um Ruhe und begann die Sitzung mit meiner fünfköpfigen Gruppe: ›Wer bin ich? Versuch einer Definition des Ichs zwischen Küche, Beruf und Kindern.‹

Für diesen Tag hatte ich meiner Psycho-Gruppe in meinem Rucksack Dinge mitgebracht. Dinge kamen immer sehr gut an.

Ich legte die Sachen – einen Stein, eine mittlerweile welke Blume, ein unbenutztes Tempotaschentuch, eine weiße Feder und eine Zahnbürste – in die Mitte unseres schwingenden Kreises. Wir saßen alle auf gemeindeeigenen Pezi-Bällen in schreienden Farben und spielten das Spiel ›Ich fühle mich wie …‹

Reihum suchten sich die vier Frauen und der Mann eines der Dinge aus, um dann im meditativen Sprechgesang ihre Befindlichkeit für diesen Morgen auszudrücken. Das lief immer sehr gut und ich konnte dann ein bisschen meinen eigenen Gedanken nachgehen.

Hildegard, die Lehrerin mit der sportlichen Kurzhaarfrisur, nahm als Erste die welke Blume, drückte sie an die Brust und hauchte mit einem ätherischen Sprechgesang: »Ich habe Mitleid mit dem armen Hund.«

Die anderen nickten betroffen. Ich dachte mit Schaudern an die Leiche in der Kapelle.

War es ein schlimmer Tod? Hatte sie oder er Kinder? Wird sie oder er von jemandem vermisst? War der Mensch jung oder alt?

»Er hatte so ein herrlich braunes Fell, er ist immer an mir hochgesprungen, wenn ich ins Krautland gegangen bin.«

Dermaßen sensibilisiert für die unergründlichen Dinge des Lebens fuhr ich nach dem Kurs nach Hause. Beim Nachbarn Herrn Müller stand ein Polizeiauto. In meinem Hof stand schon der apfelshampoogrüne Beetle des blonden Kriminalfräuleins.

»Schön wohnen Sie hier.«

»Bei uns auf dem Land ist alles schön.«

»Darf ich mit hineinkommen?«

»Sie begleiten mich ja schon.«

Ich ging zur Tür, entledigte mich meines schwarzen Helmes und das Fräulein folgte mir.

»Wohnen Sie schon lange hier?«

In der Küche setzte sich das Polizistenfräulein unaufgefordert auf einen der vier Küchenstühle, legte ihre Ellbogen auf die grau gesprenkelte Resopalplatte meines Küchentisches mit Schublade und schaute mich auffordernd an.

Ich signalisierte ihr, indem ich Daumen und Zeigefinger meiner erhobenen rechten Hand abwechselnd zeigte, anderthalb Jahre.

»Wieder sehr gesprächig. Kann ich Ihrem Gefuchtele entnehmen, dass Sie nicht wissen, ob Sie seit ein oder zwei Jahren hier wohnen?«

»Nein, ich wohne seit anderthalb Jahren hier. Ich habe das Haus von meinen Eltern geerbt … ähm, nach ihrem Unfall.«

»Wissen Sie schon, was bei Ihrem Nachbarn vorgefallen ist?«

Sie sagte nichts von einem Hund und dass da irgendetwas Unheimliches passiert sein musste. Raffiniert, das Fräulein. Ich könnte ja der Täter sein und sogenanntes Täterwissen in meiner Einfalt preisgeben.

»Nein.«

»Na, dann kommen Sie mal mit.«

Keine zwei Minuten im Haus und schon wieder ein Ortswechsel. Sie ging voran und ich erkannte, dass ihre Figur seit gestern nicht schlechter geworden war. Beim Nachbarn Müller, der als begeisterter Frührentner sonst eher durch Ruhe auffiel, war einiges los im Garten. Er gestikulierte wild mit den Händen und erzählte vieles: »… bester Freund … treu … deutscher Schäfer… eins-a-Zucht, exzellenter Stammbaum … hatte mir nichts dabei gedacht, als er heute Nacht angeschlagen hat, das macht er öfters … vielleicht ein Igel, hatte ich gedacht … wenn ich den erwische … Waldemar hätte keinem was zu Leide getan … so grausam können nur Menschen sein …«, waren einige der Wortfetzen, die ich vernahm.

Die beiden Polizisten machten sich Notizen.

Das Fräulein Gesetzeshüterin führte mich an den Rand des Müller’schen Grundstückes, wo zwei hohe Tannen und dichte Hecken die Grenze zum Grundstück des alten Pfarrers markierten.

»Schauen Sie sich das an!« Bei der Aufforderung beobachtete sie mich genau mit ihren nussbraunen Augen.

Die Aufforderung wäre nicht nötig gewesen. So einem Anblick konnte man sich nicht entziehen.

Müllers ›deutscher Schäfer‹ steckte bis zur Mitte seines Körpers in der Erde, die wie ein kleines Grab um ihn herum unförmig angehäufelt war. Der Kopf lag auf den...