Das Bourne Duell

von: Robert Ludlum, Eric Van Lustbader

Heyne, 2012

ISBN: 9783641093730 , 608 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Das Bourne Duell


 

PROLOG


BANGALORE, INDIEN

 

Die Nacht senkte sich herab wie ein riesiger Schwarm Insekten, die mit dem Sonnenuntergang zum Leben erwachten. Der Lärm war genauso fürchterlich wie der Gestank von ungewaschenen Körpern, menschlichen Exkrementen, faulendem Essen und verwesenden Leichen. Der Müll von Bangalore war wie eine Flutwelle, die sich durch nichts eindämmen ließ.

Leonid Danilowitsch Arkadin saß in einem abgedunkelten Zimmer, in dem es nach heiß gelaufenen elektronischen Geräten, abgestandenem Rauch und Dosa-Pfannkuchen roch. Er zündete sich mit seinem Chromfeuerzeug eine Zigarette an und sah auf das Gerippe von Phase 3 hinunter, einem Teil der ständig expandierenden Electronic City, die aus den Slums von Bangalore emporwuchs. Viele große Computer- und Hightech-Firmen hatten sich hier angesiedelt oder die Entwicklung von Software an indische Firmen in Bangalore ausgelagert, sodass die Stadt heute das Zentrum der indischen Softwareindustrie war.

Gold aus Beton, dachte Arkadin staunend. Er hatte einiges über die Geschichte der Alchemie gelesen, die ihn wegen ihres Anspruchs der Verwandlung immer schon fasziniert hatte. Zu dieser frühen Abendstunde – früh allerdings nur für das IT-Personal, dessen Büros die Gebäude ausfüllten – war es auf den Gängen so ruhig wie in New York City um drei Uhr nachts. Die Leute hier richteten sich nach den Arbeitszeiten in den Vereinigten Staaten, sodass sie wie Geister an ihren Konsolen saßen.

Nach dem Fiasko im Iran, wo er Maslow gründlich die Tour vermasselt hatte, war er hierhergekommen, weit weg von denen, die er eigentlich jagen wollte, die aber mittlerweile ihn jagten: Dimitri Iljitsch Maslow und Jason Bourne.

Von seinen Büros hatte er einen perfekten Überblick über die quadratische Baustelle, eine Grube, in der das Fundament für einen weiteren Büroturm gelegt wurde. Normalerweise war die Baustelle von grellen Scheinwerfern beleuchtet, damit die ganze Nacht durchgearbeitet werden konnte, doch die Arbeiten waren vor zwei Wochen unerwartet zum Stillstand gekommen und noch nicht wiederaufgenommen worden. Seither waren Bettler, Huren und Jugendbanden hier eingezogen, die jedem, der vorbeikam, Geld abzuknöpfen versuchten.

Hin und wieder hörte er draußen auf dem Gang einen seiner Männer wie auf Samtpfoten vorbeihuschen, doch hier in diesem Büro war er allein mit Hassan, einem stämmigen Software-Zauberer, der immer ein wenig nach elektronischen Bauteilen und Kreuzkümmel roch. Arkadin hatte seine eigenen Männer mitgebracht, alles treue Muslime, was insofern ein Problem war, als die einheimischen Hindus Muslime hassten. Er hatte überlegt, ob er nicht eine Söldnertruppe aus Sikhs zusammenstellen sollte, doch er hätte ihnen nie so vertrauen können wie seinen Leuten.

Hassan hatte sich als außerordentlich wertvoll erwiesen. Er hatte als Programmierer für Nikolaj Jewsen gearbeitet, den toten und unbeweinten Waffenhändler, dessen Geschäft sich Arkadin unter den Nagel gerissen hatte, bevor Dimitri Maslow es an sich bringen konnte. Hassan hatte alle wichtigen Daten von Jewsens Großrechner kopiert, bevor er sie löschte – die Listen mit den Kunden, den Zulieferern und den Kontakten. Anhand dieser Liste übernahm Arkadin nun nach und nach Jewsens Geschäft und verdiente Unsummen damit, Kriegsgerät an alle möglichen Warlords, Diktatoren und Terrororganisationen auf der ganzen Welt zu liefern.

Hassan saß über seinen Computer gebeugt und arbeitete mit einer verschlüsselten Software, über die er mit dem Server verbunden war, den Arkadin an einem sicheren Ort installiert hatte. Er war ein Mann, der ganz für die Arbeit lebte. In den Wochen, seit Hassan zu ihm übergelaufen war und Jewsen in Khartum gestorben war, hatte Arkadin noch nicht ein Mal gesehen, dass er die Büroräume verlassen hätte. Nach einer kleinen Mahlzeit schlief er von eins bis halb vier, dann ging es zurück an den Computer.

Arkadins Aufmerksamkeit richtete sich nur teilweise auf Hassan. Auf einem Sideboard stand ein Laptop mit mehreren Hot-Swap-Schächten – einer davon mit der Festplatte des Laptops, den einer seiner Männer von Gustavo Moreno gestohlen hatte, bevor der kolumbianische Drogenbaron in seinem mexikanischen Hauptquartier erschossen wurde. Arkadin wandte sich dem Computer zu und spürte, wie sein Gesicht in ein gespenstisches blaues Licht getaucht wurde, das so hart war wie Marmor, wie die schwielige Faust seines Vaters.

Er drückte seine Zigarette aus und scrollte durch die Dateien, die er schon so oft durchgegangen war. Er hatte eine ganze Schar von Computerexperten auf seiner Gehaltsliste, aber er hatte keinem von ihnen – nicht einmal Hassan – erlaubt, sich diese Festplatte anzusehen. Was ihn vor allem interessierte, war diese eine mysteriöse Datei, deren Verschlüsselung er noch immer nicht hatte knacken können, obwohl er sie über vierundzwanzig Stunden mit seiner Entschlüsselungssoftware bearbeitet hatte.

Morenos Laptop, den er an einem sicheren Ort versteckt hatte, war genauso mysteriös wie diese rätselhafte Datei. Er hatte an der Seite einen Schlitz, wie ihn Arkadin in dieser Form und Größe noch nie gesehen hatte und der offenbar speziell eingebaut worden war – die Frage war nur, wofür.

Was zum Teufel war überhaupt in dieser Datei? Und woher hatte ein Drogenbaron eine Verschlüsselung, die nicht zu knacken war? Jedenfalls nicht vom Hacker-Markt in Cali oder Mexiko City, das stand fest.

Obwohl er tief in Gedanken versunken war, hob Arkadin plötzlich den Kopf, so als hätte er das Geräusch mehr gewittert als gehört, und trat zurück in die Dunkelheit des Raumes. »Hassan«, fragte er, »was ist denn das für ein Licht dort unten auf der Baustelle?«

Hassan blickte auf. »Welches meinen Sie? Da sind so viele Lagerfeuer …«

»Da.« Arkadin zeigte hin. »Nein, weiter vorne, steh auf, dann siehst du es deutlich.«

In dem Moment, als Hassan aufstand und sich vorbeugte, zertrümmerte ein Kugelhagel aus halbautomatischen Gewehren die Fenster, und die Glassplitter prasselten auf Hassan, den Schreibtisch und den Teppich nieder. Im nächsten Augenblick lag Hassan am Boden und rang nach Luft, während ihm das Blut aus dem Mund lief.

Arkadin nahm die Festplatte aus dem Laptop, bevor der nächste Kugelhagel durch die zertrümmerten Fenster hereinbrach. Er duckte sich unter den Schreibtisch, nahm eine Skorpion-Maschinenpistole zur Hand und zerschoss den Computer, an dem Hassan gearbeitet hatte. Mittlerweile kam das stakkatoartige Gewehrfeuer auch aus den umliegenden Büroräumen. Dazwischen hörte man Stimmen, die Befehle riefen, und die Schreie von Verletzten und Sterbenden. Von seinen Männern konnte er keine Hilfe erwarten, so viel stand fest. Doch er erkannte die Sprache, in der die lakonischen Kommandos gegeben wurden – es war Russisch. Genauer gesagt, Moskauer Russisch.

Arkadin glaubte Hassan sprechen zu hören, zumindest gab er irgendwelche Laute von sich – doch was immer er sagte, ging im Lärm des Gewehrfeuers unter. Die Angreifer waren also Russen, deshalb bestand für Arkadin kein Zweifel daran, dass sie es auf Jewsens unbezahlbare Informationen abgesehen hatten. Der Angriff kam zangenartig aus dem Inneren des Gebäudes und von draußen, und er hatte nur wenige Sekunden, um zu handeln. Er stand auf und eilte zu Hassan hinüber, der ihn aus blutunterlaufenen Augen anstarrte.

»Hilf … mir«, stieß Hassan mit heiserer Stimme hervor.

»Sicher, mein Freund«, sagte Arkadin freundlich, »sicher.«

Mit etwas Glück würden seine Feinde Hassan für ihn halten, was ihm wertvolle Zeit verschaffen würde. Aber das ging nur, wenn Hassan still war. Arkadin steckte die Festplatte ein und drückte seinen Schuh auf Hassans Kehle, bis sich der Mann krümmte und seine Augen fast aus dem Kopf quollen. Mit eingedrücktem Kehlkopf konnte er keinen Laut mehr von sich geben. Hinter sich hörte Arkadin ein aufgeregtes Stimmengewirr draußen am Gang. Seine Männer würden ihn mit ihrem Leben verteidigen, das wusste er, aber in diesem Fall waren sie überrumpelt worden und wahrscheinlich auch zahlenmäßig unterlegen. Ihm blieben nur wenige Sekunden, um zu entkommen.

Wie in allen modernen Bürogebäuden ließen sich die großen Fenster nicht öffnen, möglicherweise als Vorsichtsmaßnahme gegen Selbstmordversuche, wie sie trotzdem immer wieder vorkamen. Arkadin riss ein Seitenfenster auf und stieg in die gar nicht so stille Nacht hinaus. Sechs Stockwerke unter ihm lag die Baugrube, aus der sich das neue Gebäude erheben würde. Zwischen den armseligen Hütten aus Karton und den Lagerfeuern standen riesige Erdbewegungsmaschinen, wie Drachen mit langen Hälsen, die im Halbdunkel schlummerten.

Das glatte postmoderne Gebäude hatte keine horizontalen Fenstersimse, aber zwischen den Fenstern verliefen dekorative senkrechte Vorsprünge aus Beton und Stahl. Arkadin schwang sich hinaus, als auch schon die ersten Kugeln in die Bürotür einschlugen – seine Männer hatten ihren tapferen Kampf gegen die Eindringlinge verloren.

Draußen stiegen die Gerüche von Butterfett, Dosa-Pfannkuchen, Betelsaft und menschlichen Ausscheidungen zu ihm herauf, als er an der Säule aus Beton und Stahl hinabkletterte. Nach wenigen Augenblicken bemerkte er Scheinwerferlicht unter sich; offenbar war ihnen klar geworden, dass sie ihn oben im Büro nicht erwischt hatten, und jetzt begannen sie ihn hier draußen zu suchen. Ihm war bewusst, wie wehrlos er hier an der Fassade war, und so hielt er auf der Höhe des dritten Stockwerks inne. Die Fenster waren hier kleiner und gleichmäßiger verteilt, weil sich in dieser Etage die Klimaanlage sowie die Wasser- und Stromversorgungssysteme befanden. Er trat mit der Schuhspitze...