Das Echo aller Furcht - Thriller

von: Tom Clancy

Heyne, 2012

ISBN: 9783641089924 , 784 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Das Echo aller Furcht - Thriller


 

Prolog:


Der zerbrochene Pfeil


»Wie der Wolf im Pferch.« Diese Zeile von Lord Byron zitierten automatisch die meisten Kommentatoren, wenn sie den syrischen Angriff auf die von Israel besetzten Golanhöhen am Samstag, den 6. Oktober 1973 um 14 Uhr Ortszeit schilderten. Wahrscheinlich hatten die literarisch gebildeten unter den syrischen Offizieren genau das im Sinn, als sie letzte Hand an ihre Pläne für eine Operation legten, die den Israelis mehr Panzer und Artillerie entgegenschleudern sollte, als sich Hitlers Panzergeneräle jemals träumen ließen.

Die Schafe jedoch, die die syrische Armee an diesem grausigen Tag im Oktober vorfand, glichen eher angriffslustigen Widdern als den sanftmütigen Tieren der Pastorale. Obwohl im Verhältnis eins zu neun unterlegen, waren die beiden israelischen Brigaden auf dem Golan Elite-Einheiten. Den Norden der Höhen hielt die 7. Brigade, deren Linien, eine raffinierte, in Starrheit und Flexibilität fein ausgewogene Verteidigungsanlage, kaum nachgaben. Einzelne starke Stellungen wurden hartnäckig gehalten und lenkten die syrischen Vorstöße in felsige Hohlwege, wo sie von Panzerreserven, die hinter der Demarkationslinie lauerten, abgeschnitten und zerschlagen werden konnten. Als am zweiten Tag Verstärkung nachrückte, war die Lage noch unter Kontrolle – wenn auch nur knapp. Am Ende des vierten Tages lag die syrische Panzerarmee, die über die 7. Brigade hergefallen war, in rauchenden Trümmern.

Die Barak-(»Blitz«-)Brigade hielt den südlichen Abschnitt der Höhen und hatte weniger Glück. Hier begünstigte das Terrain die Verteidiger nicht so sehr, und hier schienen die syrischen Verbände auch fähiger geführt worden zu sein. Binnen Stunden war die Barak-Brigade in mehrere Teile zersprengt worden. Zwar sollte sich später erweisen, daß jedes Bruchstück gefährlicher als ein Vipernnest war, doch für den Moment nutzten die syrischen Panzerspitzen die Lücken rasch aus und jagten auf ihr strategisches Ziel, den See Genezareth, zu. Was im Lauf der nächsten 36 Stunden passierte, sollte das israelische Militär auf die schwerste Probe seit 1948 stellen.

Am zweiten Tag traf Verstärkung ein. Sie mußte praktisch Mann für Mann aufs Gefechtsfeld verteilt werden, um Lücken zu schließen oder versprengte Einheiten zu sammeln, die unter der Gefechtsbelastung auseinandergebrochen und, was es noch nie zuvor in der Geschichte des Staates Israel gegeben hatte, vor den angreifenden Arabern geflohen waren. Erst am dritten Tag gelang es den Israelis, ihre Panzerkräfte zu konzentrieren und die drei syrischen Stoßkeile zu umzingeln und dann zu zerschlagen. Die Syrer wurden von einem wütenden Gegenangriff auf ihre eigene Hauptstadt zurückgeworfen und hinterließen ein entsetzliches Schlachtfeld, übersät mit Leichen und ausgebrannten Panzern. Am Ende dieses Tages empfingen die Soldaten der Barak und der 7. Brigade einen Funkspruch des israelischen Oberkommandos:

IHR HABT DAS VOLK ISRAEL GERETTET.

Was keine Übertreibung war. Dennoch erinnerte man sich außerhalb Israels, von Militärakademien einmal abgesehen, seltsamerweise kaum an die heroische Schlacht. Wie beim Sechs-Tage-Krieg erregte der Bewegungskrieg im Sinai die Bewunderung der Welt: die Überquerung des Suezkanals, die Schlacht um die »chinesische« Farm, die Einkesselung der ägyptischen 3. Armee – und dies, obwohl die Kämpfe auf den Golan-Höhen weitaus furchterregender waren und zudem noch näher der Heimat stattfanden. Die Überlebenden dieser beiden Brigaden wußten, was sie geleistet hatten, und ihre Offiziere konnten sicher sein, daß diese Schlacht bei Berufssoldaten, die verstanden, welches Können und welchen Mut eine solche Abwehr erforderte, zusammen mit den Thermopylen, Bastogne und Gloucester Hill in Erinnerung bleiben würde.

Jeder Krieg hat seine ironischen Aspekte, und der Jom-Kippur-Krieg stellte da keine Ausnahme dar. Wie die meisten ruhmreichen Abwehrschlachten war auch diese Aktion im Grunde überflüssig. Die Israelis hatten Nachrichtendienstmeldungen falsch interpretiert, die, hätte man nur zwölf Stunden früher darauf reagiert, sie in die Lage versetzt hätten, existierende Pläne umzusetzen und vor Beginn der Offensive die Truppen auf den Golanhöhen zu verstärken. Zu dem heroischen Abwehrkampf hätte es gar nicht zu kommen brauchen. Unnötig die Verluste, die so hoch waren, daß man sie erst nach Wochen einer stolzen, aber schwergetroffenen Nation bekanntgab. Hätte man den Informationen entsprechend gehandelt, wären die Syrer trotz ihrer starken Ausrüstung mit Panzern und Geschützen noch vor der Demarkationslinie massakriert worden. Doch bekanntlich bringen Massaker wenig Ruhm. Warum die Aufklärung versagte, wurde nie richtig geklärt. Gelang es dem berühmten Mossad nicht, die Pläne der Araber zu erkennen? Oder schlug die politische Führung Israels die Warnungen, die sie erhielt, in den Wind? Diese Fragen erregten natürlich sofort die Aufmerksamkeit der Weltpresse, insbesondere was den ägyptischen Vorstoß über den Suezkanal und den Durchbruch der vielgerühmten Bar-Lev-Linie anging.

Ebenso ernst, aber weniger beachtet war ein grundlegender Fehler, den der sonst so weitsichtige israelische Generalstab Jahre zuvor gemacht hatte. Trotz ihrer Feuerkraft war die israelische Armee mit Artillerie unterversorgt, dies ganz besonders, wenn man sowjetische Maßstäbe anlegte. Anstatt sich auf starke Konzentrationen mobiler Kanonen zu verlassen, stützten sich die Israelis auf große Zahlen von Mörsern mit geringer Reichweite und auf Kampfflugzeuge. Dies führte dazu, daß die israelischen Artilleristen auf dem Golan im Verhältnis eins zu zwölf unterlegen und einem mörderischen Gegenfeuer ausgesetzt waren, ganz zu schweigen von ihrer Unfähigkeit, die belagerten Verteidiger adäquat zu unterstützen. Dieser Irrtum kostete viele Menschenleben.

Wie so oft wurde dieser schwere Fehler von intelligenten Männern und aus guten Gründen begangen. Ein Kampfflugzeug, das die Syrer auf dem Golan angegriffen hatte, konnte schon eine Stunde später seine tödliche Ladung auf die Ägypter am Suczkanal herabregnen lassen. Als erste moderne Luftwaffe hatte die IAF systematisch die Umlaufzeiten ihrer Flugzeuge verkürzt. Das Bodenpersonal wurde ähnlich gedrillt wie die Mechaniker an den Boxen beim Autorennen, und sein Geschick und seine Schnelligkeit verdoppelten praktisch die Schlagkraft jeder Maschine. Das machte die IAF zu einem hochflexiblen und gewichtigen Instrument. Unter diesem Aspekt erschien eine Phantom oder eine Skyhawk natürlich wertvoller als ein Dutzend Geschütze auf Selbstfahrlafetten.

Was die israelischen Planer nicht in Erwägung gezogen hatten, war die Tatsache, daß die Araber von den Sowjets aufgerüstet wurden und daher auch die sowjetische taktische Doktrin eingeimpft bekamen. Die sowjetischen Konstrukteure der SAM-Luftabwehrraketen, deren größte Herausforderung die als überlegen geltenden NATO-Luftwaffen waren, gehörten schon immer zur Weltspitze. Russische Planer sahen in dem kommenden Oktoberkrieg eine hervorragende Gelegenheit, ihre neuesten taktischen Waffen und Methoden zu testen. Und sie versäumten sie nicht. Die Sowjets lieferten ihren arabischen Kunden ein SAM-Netz, von dem die Nordvietnamesen oder die Streitkräfte des Warschauer Paktes damals nicht zu träumen wagten: eine massive Phalanx von tief gestaffelten Raketenbatterien und Radarsystemen, und dazu die neuen mobilen SAM-Abschußgeräte, die zusammen mit den Panzerspitzen vorrükken und den Schutzschirm für die Bodenverbände vergrößern konnten. Die Mannschaften, die diese Systeme bedienen sollten, waren gründlichst ausgebildet worden; viele in der Sowjetunion, wo sie von allem, was Sowjets und Vietnamesen über amerikanische Taktiken und Technologien gelernt hatten, profitierten. Immerhin stand zu erwarten, daß die Israelis die Methoden imitierten. Von allen arabischen Soldaten sollten nur die in der Sowjetunion ausgebildeten Männer den Vorkriegserwartungen gerecht werden, denn sie neutralisierten praktisch zwei Tage lang die israelische Luftwaffe. Wären die Bodenoperationen nach Plan verlaufen, hätte das gereicht.

Hier nimmt die Geschichte ihren eigentlichen Anfang. Die Lage auf dem Golan wurde sofort als sehr ernst eingeschätzt. Die kargen und konfusen Informationen, die von den fassungslosen Stäben der beiden Brigaden eingingen, verführten das israelische Oberkommando zu der Annahme, daß man auf dem Golan die taktische Kontrolle verloren hatte. Der schlimmste Alptraum schien Wirklichkeit geworden zu sein: Unvorbereitet war man überrascht worden. Die Kibbuzim im Norden waren gefährdet. Israelische Zivilisten und Kinder bewegten sich in der Bahn syrischer Panzerverbände, die nach Belieben und praktisch ohne Warnung von den Höhen hinunter nach Galiläa rollen konnten. Die erste Reaktion der Stabsoffiziere war fast panisch.

Ein guter Stabsoffizier jedoch plant auch Panik ein.

In einem Land, für das seine Gegner die physische Vernichtung zum Kriegsziel erklärt haben, kann keine Verteidigttngsmaßnahme als zu extrem gelten. Schon 1968 hatten die Israelis die nukleare Option in ihren Kriegsplan aufgenommen. Am 7. Oktober ging um 3.55 Uhr Ortszeit und gerade 14 Stunden nach Beginn der Kampfhandlungen der Befehl für die OPERATION JOSUA per Telex an den Fliegerhorst bei Beer Scheba.

Israel verfügte damals nur über wenige Kernwaffen – und streitet bis heute ihren Besitz ab. Eine große Anzahl wäre auch im Notfall nicht gebraucht worden. In einem der zahllosen unterirdischen Bombenbunker bei Beerscheba lagen 12 recht gewöhnlich aussehende Objekte, die sich von anderen, zur Montierung unter Tragflächen taktischer...