Todesrache - Thriller

Todesrache - Thriller

von: Andreas Gruber

Goldmann, 2022

ISBN: 9783641261351 , 592 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 10,99 EUR

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Todesrache - Thriller


 

1. Kapitel


Maarten S. Sneijder stand im Badezimmer seines Hauses und ließ den Arm mit dem Handy sinken. Er hatte gerade das aufwühlendste Telefonat seines Lebens geführt. Sein Puls hämmerte immer noch in der Halsschlagader und hinter den Schläfen. Seine Hand zitterte.

Das ist doch Sabine gewesen!

Er setzte sich auf den Rand der Badewanne, lockerte den Krawattenknoten und starrte die Waffe an, die auf einem Tischchen neben der Wanne lag. Verdomme! Er hatte den Lauf bereits im Mund gehabt. Und um ein Haar abgedrückt. Jetzt blickte er zur Tür. Dahinter jaulte Vincent immer noch ganz erbärmlich und kratzte verzweifelt mit den Pfoten am Holz. Vermutlich ahnte das Tier, was er vorgehabt hatte.

Sneijder ging mit wackeligen Beinen zur Badezimmertür und öffnete sie. Der Basset hockte davor und schmiegte nun seine Schnauze an Sneijders Bein. »Ja, alter Junge, alles in Ordnung, ich geh nicht weg.« Er kraulte den Kopf des Tieres und spürte dabei, wie eiskalt seine Finger waren.

Dann humpelte er ins Wohnzimmer. Merkwürdigerweise waren seine Sinne übermäßig geschärft, als würde er alles in Zeitlupe wahrnehmen, plötzlich alles intensiver riechen, hören und schmecken. So ein Gefühl hatte er noch nie gehabt, nicht einmal in jenen Situationen, in denen er knapp dem Tod entronnen war. Vielleicht lag es daran, dass er diesmal beinahe selbst den Abzug gedrückt hatte. Es war seine Entscheidung gewesen, aus dem Leben zu scheiden, aber dieser eine Telefonanruf hatte alles von Grund auf geändert.

Vincent war ihm ins Wohnzimmer gefolgt. Der Hund hatte weder die Ration Nass- noch sein Trockenfutter angerührt, die Sneijder ihm hingestellt hatte, sondern gespürt, dass etwas nicht stimmte. Nun saß er wie ein treuer Wachhund neben ihm und spitzte die Ohren. Auch Sneijder hatte das Auto und die Schritte im Kies gehört. Im nächsten Moment läutete es an der Tür.

Er spähte hinter dem Vorhang nach draußen und sah den blonden Haarschopf von Dr. Karin Ross. Auch das noch! Die Psychologin des BKA hatte ihm gerade noch gefehlt. Super Timing! »Einen Moment«, rief er, da sie sich bestimmt nicht abwimmeln lassen würde.

Während sie draußen wartete, hinkte er zurück zum Bad und entfernte das Blatt Papier, das er außen an die Tür geklebt hatte.

Vorsicht beim Öffnen.

Er knüllte den Zettel zusammen und ließ ihn in der Hosentasche verschwinden. Dann humpelte er zurück ins Wohnzimmer. Eigentlich hätte er immer noch einen Stock benützen müssen. Die Operation an der Hüfte im Rajonskrankenhaus in Kaliningrad war erst sechs Tage her, aber je früher er es schaffte, normal zu gehen, desto besser. Mit ein paar Schmerzmitteln würde es schon irgendwie funktionieren.

Dr. Karin Ross hatte inzwischen die Tür geöffnet und stand im Eingangsbereich, im schicken dunkelblauen Hosenanzug und mit einer Mappe unter dem Arm. »Nicht schießen! Ich bin es«, rief sie ins Haus. »Es war nicht abgesperrt. Darf ich hereinkommen?«

»Sie sind ja schon drin«, knurrte er.

»Steht Ihr Haus abends immer offen?«

Er neigte den Kopf. »Warum?«

»Ich meine nur, so einsam und weit draußen, direkt am Waldrand … Und gerade jemand wie Sie, der ständig mit Mördern zu tun hat, lässt sein Haus unversperrt?«

Nur wenn ich möchte, dass jemand hereinkann, ohne die Tür aufbrechen zu müssen, dachte er.

Sie ging weiter und blieb neben dem wuchtigen Esstisch aus Eichenholz stehen. »Schön haben Sie es hier.« Sie betrachtete die rustikale Einrichtung. »Altes Bauernhaus?«

»Ehemalige Mühle, der Bach fließt durchs Haus, unten ist noch der originale Mühlstein erhalten. Aber Sie sind zu spät, die letzte Besichtigungstour war vergangenes Wochenende.«

Sie lächelte. »Ich wusste gar nicht, dass Sie auch witzig sein können.«

»Jetzt wissen Sie es. Schluss mit dem Smalltalk. Warum sind Sie hier?«

Sie sah zum Basset, der wie zum Schutz zwischen ihr und Sneijder saß und sie neugierig anblickte. »Beißt der Hund?«

»Nur wenn jemand in der dritten Person über ihn spricht.«

Dr. Ross versuchte zu lächeln, dann zog sie einen Brief aus ihrer Mappe. »Ihr Kündigungsschreiben«, erklärte sie.

Erstaunt zog er eine Augenbraue hoch. »Das habe ich erst vor einer Stunde im BKA abgegeben.«

»Ich weiß«, sagte Dr. Ross. »Das Personalbüro war wegen irgendeiner EDV-Sache ausnahmsweise besetzt und hat mich sofort verständigt.«

»Am Sonntagabend?«

»Die haben sich Sorgen gemacht und wollten wissen, ob ich davon wusste. Habe ich natürlich nicht. Also bin ich hergefahren. Sicherheitshalber hat mich ein BKA-Beamter begleitet. Man weiß ja nie, ob Sie nicht vielleicht in Schwierigkeiten stecken …«

Sneijder spähte aus dem Fenster und sah den Wagen, der einige Meter vor dem Haus parkte. Hinter dem Steuer saß tatsächlich ein uniformierter Mann. So finster, wie der dreinsah, war er bestimmt vom Haussicherungsdienst. »Verschwinden Sie – ich habe zu tun.«

»Ach? Was denn?« Sie betrachtete den Brief, dann las sie ihn vor. »Nehmen Sie meine Kündigung mit sofortiger Wirkung zur Kenntnis. Die derzeitigen Umstände machen mir eine Weiterarbeit unmöglich. Mein ausständiges Gehalt leiten Sie an Familie Nemez in München weiter.« Sie sah auf. »Drei knappe und präzise Sätze«, stellte sie fest.

»Haben Sie etwas anderes von mir erwartet?«

»Nein, aber die Formulierung hat mir Sorgen bereitet.« Sie ließ das Schreiben in ihrer Mappe verschwinden. »Mehr als diese drei Sätze waren Ihnen die vielen Dienstjahre beim BKA nicht wert?«

»Wozu unnötige Worte verlieren?«

»Es scheint so, als hätten Sie nach dem, was kürzlich passiert ist, mit allem abgeschlossen. Haben Sie Ihren Antrieb verloren?«

»Wie scharfsinnig.« Er stemmte die Arme in die Hüften und starrte sie an. Die ist hartnäckig und wird nicht so leicht abhauen. »Drei meiner engsten Kollegen sind tot«, lenkte er ein, »und die langjährige Freundschaft zu meinem Vorgesetzten ist auf grausame Art und Weise zerbrochen.«

Sie nickte verständnisvoll. »Wenn zu viele Pfeiler, die das Leben stützen, gleichzeitig wegbrechen, ist es selbst für die stärkste Psyche zu viel.«

»Hören Sie auf, zweitklassige Fachliteratur zu zitieren.«

»Ich weiß, tut mir leid, Sie haben selbst Psychologie studiert und bestimmt mehr Erfahrung als ich, aber sogar Leute wie Sie … oder gerade Leute wie Sie sollten manchmal fremde Hilfe annehmen.«

»Deshalb sind Sie hier?«

Nickend sah sie zu den drei Kuverts, die auf dem Tisch zwischen Kerzenständer und Aschenbecher standen. Bevor sie erkennen konnte, an wen die Briefe adressiert waren, griff er nach ihnen und ließ sie in der Hosentasche verschwinden.

»Sind das Abschiedsbriefe?«, fragte sie frei heraus.

»Wie kommen Sie darauf?«

Sie kniff die Brauen zusammen und blickte an ihm vorbei zum Badezimmer. Die dämliche Tür stand offen und bot ihr einen guten Blick auf das Tischchen mit der Waffe direkt neben der Wanne. Vervloekt! Sie wandte sich ihm wieder zu, sah ihn direkt an. »Sie wollten sich gerade das Leben nehmen, richtig?«

»Quatsch!« Er verzog das Gesicht.

»Mir können Sie nichts vormachen.«

Das habe ich gerade gemerkt.

»Außerdem unterliegt alles, was wir hier besprechen, der Schweigepflicht.«

»Wie rührend.« Er atmete tief durch. »Aber es gibt nichts zu besprechen.«

»Das sehe ich anders. Darf ich mich setzen?«

»Nein.«

»Gut, dann eben im Stehen.« Ihre Stimme zitterte. »Wir beide wissen, dass Sie gerade im Begriff waren, sich das Leben zu nehmen. Anscheinend bin ich genau im richtigen Moment gekommen.«

»Bilden Sie sich nicht zu viel auf Ihre Beobachtungsgabe ein.«

»Nein, keine Sorge, das tue ich nicht. Allerdings frage ich mich, warum Sie auf mein Läuten reagiert und mich stattdessen nicht ignoriert und Ihren Plan durchgeführt haben.«

Er kaute an der Unterlippe. »Dann setzen Sie sich eben«, seufzte er nun doch und ließ sich auf einen Stuhl beim Tisch sinken. Sie nahm ihm gegenüber Platz. »Ich habe soeben mit Sabine Nemez telefoniert.«

Sie starrte ihn entgeistert an. »Sie meinen, in Gedanken … in Ihrer Fantasie?« Sie hob leicht den Kopf, als wollte sie den Duft eines Marihuanajoints erschnüffeln. Aber da war nichts.

»Nein, in echt, das heißt, ich glaube, dass sie es war …« Nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher.

»Ich dachte, sie sei …«

»Das dachte ich auch, aber anscheinend ist sie in der Bucht von Kaliningrad nicht mit dem Schiff untergegangen. Sie muss es irgendwie aus dem brennenden Wrack rausgeschafft haben.«

»Und warum ruft sie erst jetzt, eine Woche später, bei Ihnen an?«

»Wenn ich das wüsste.« Er ballte die Faust. »Sie hat nicht viel gesagt, nur, dass sie nicht wisse, wo sie sei und nur Gelegenheit für diesen einen Anruf habe. Danach war die Verbindung tot.«

»Und Sie sind sicher, dass Sie …?«

»Ja, vervloekt noch mal, ich bin sicher, dass ich mir dieses Telefonat nicht eingebildet habe.«

»Ja, okay, beruhigen Sie sich wieder«, sagte sie sanft. »Haben Sie schon zurückgerufen?«

»Unterdrückte Nummer.«

»Könnte sich jemand einen Scherz mit Ihnen erlaubt haben?«

»Das wäre ein verdammt geschmackloser...