Elftes Zürcher Präventionsforum - Neue Technologien im Dienste der Prävention: Möglichkeiten - Risiken

Elftes Zürcher Präventionsforum - Neue Technologien im Dienste der Prävention: Möglichkeiten - Risiken

von: Rolf Nägeli, Christian Schwarzenegger

buch & netz, 2020

ISBN: 9783038053095 , 124 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 29,99 EUR

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Elftes Zürcher Präventionsforum - Neue Technologien im Dienste der Prävention: Möglichkeiten - Risiken


 




Der vorliegende Text basiert zu wesentlichen Teilen auf der Dissertation der Autorin zum Electronic Monitoring, vgl. Stössel Jasmine, Electronic Monitoring im Schweizer Erwachsenenstrafrecht – unter besonderer Berücksichtigung der Änderungen des Sanktionenrechts, Zürich 2018, unter Beizug neuer Literatur und Rechtsprechung zum Thema.

Inhalt


Einleitung


Die elektronische Überwachung, auch Electronic Monitoring oder kurz EM genannt, bietet seit den ersten Erfahrungen im schweizerischen Kontext in Form des interkantonalen Modellversuchs von 1999-2002 – trotz der durchwegs positiven Ergebnisse desselben – Diskussionsstoff, indem insbesondere im öffentlichen Diskurs bis heute eine enorme Skepsis spürbar ist. So wird etwa behauptet, dass Electronic Monitoring keinen oder nur einen minimalen Strafcharakter aufweise oder sich Probleme in Bezug auf Sicherheitsaspekte ergeben würden. Seit dem 1. Januar 2018 ist Electronic Monitoring als Vollzugsform für kurze Freiheitsstrafen sowie als Vollzugsstufe am Ende längerer Freiheitsstrafen nun in Art. 79b des Schweizerischen Strafgesetzbuches gesetzlich verankert und damit gesamtschweizerisch anzuwenden. Daneben bestehen jedoch noch diverse weitere Anwendungsmöglichkeiten der elektronischen Überwachung, so etwa als Kontrollinstrument strafprozessualer Ersatzmassnahmen oder zivilrechtlicher Gewaltschutzmassnahmen. Der vorliegende Beitrag soll deshalb anhand einer Darstellung der Electronic Monitoring zugrunde liegenden Überwachungstechnologien, ausgewählter Anwendungsfelder im schweizerischen Kontext sowie dazugehöriger spezialpräventiver Aspekte das Verständnis der elektronischen Überwachung – insbesondere auch im Bereich eines präventiven Einsatzes – fördern und die jeweiligen Ausgestaltungen kritisch hinterfragen.

Überwachungstechnologie


Um die Möglichkeiten und Grenzen von Electronic Monitoring bestimmen zu können, ist das Verständnis der verschiedenen Überwachungstechnologien zentral. Die Überwachungsarten von Electronic Monitoring lassen sich dabei grob in Überwachungssysteme der ersten Generation, welche sich auf die Kontrolle der An- oder Abwesenheit einer Person an einem bestimmten Ort beschränken, sowie in Überwachungssysteme der zweiten Generation, womit der aktuelle Aufenthaltsort der überwachten Person bestimmt werden kann, gliedern.

Anwesenheitskontrolle


Beim auf der Radiofrequenz-Technologie basierenden System der Anwesenheitskontrolle wird vom Sender, welcher der Überwachte permanent tragen muss, ein Signal an ein in der Wohnung des Überwachten stationiertes Empfangsgerät abgegeben. Über das Telefon- oder Mobilfunknetz wird das Signal an die Überwachungszentrale bzw. die zuständige Stelle weitergeleitet, wo die eingegangenen Daten mit den programmierten Daten[1] des Überwachten verglichen werden.[2] Korrespondiert die Abwesenheit nicht mit einer festgelegten Zeit, während der die überwachte Person die Wohnung verlassen darf, z.B. für Arztbesuche, oder verlassen muss, z.B. zur Arbeit, wird ein Alarm ausgelöst.[3] Um ein Entfernen oder andere Manipulationen am vom Überwachten zu tragenden Sender zu verhindern, findet sich im Plastikband oft ein eingebauter Stromkreis, welcher bei Durchtrennung ebenfalls das Auslösen eines Alarms zur Folge hat.[4] Mit dem Radiofrequenz-System lässt sich somit nur feststellen, ob der Überwachte an einem bestimmten Ort – meist in dessen Wohnung – an- oder abwesend ist, d.h. ob er sich in Reichweite des Empfangsgeräts befindet, wobei der konkrete Aufenthaltsort bei nicht erfolgter Rückkehr nach Hause nicht ermittelt werden kann.[5]

Aufenthaltskontrolle


Die Aufenthaltskontrolle mittels GPS-Technologie ermöglicht eine kontinuierliche Aufenthaltskontrolle und die Erstellung von Bewegungsprofilen.[6] Technisch existieren sog. One Piece Tracking- und Two Piece Tracking-Systeme: Während beim One Piece Tracking nur ein einteiliges Gerät erforderlich ist, welches über das Mobilfunknetz kommuniziert, erfordert das Two Piece Tracking zwei Geräte, einen Sender sowie einen Tracker mit GPS-Empfänger, wobei der Sender dem herkömmlichen Sender entspricht, wie er bei der Radiofrequenz-Technologie verwendet wird.[7] Bei der Aufenthaltskontrolle mittels GPS-Technologie können die Bewegungen der überwachten Person entweder retrospektiv oder in Echtzeit verfolgt werden. Beim retrospektiven Tracking, auch passive GPS-Überwachung genannt, werden die Bewegungsdaten des Überwachten während des Tages aufgezeichnet und in bestimmten Zeitintervallen
– z.B. alle 24 Stunden – von der zuständigen Behörde überprüft.[8] Beim Real-Time Tracking, auch aktive GPS-Überwachung genannt, besteht die Möglichkeit ständiger Lokalisierung und sofortigen Eingreifens, weshalb nach Eingang einer Alarmmeldung bei der zuständigen Stelle umgehend eine vordefinierte Intervention ausgelöst werden kann.[9] Diese vordefinierte Reaktion auf einen Verstoss kann aus einer telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Überwachten bis hin zu einer Einleitung von polizeilichen Interventionen[10] bestehen.[11] Eine Kombination zwischen aktiver und passiver GPS-Überwachung stellt das Hybridsystem dar, indem die Bewegungen des Überwachten aufgezeichnet und, falls vorher festgelegte Überwachungsparameter verletzt werden, in den Modus der Echtzeitverfolgung gewechselt wird.[12] Gemäss Zwischenbericht der KKJPD wird im schweizerischen Kontext erwartet, dass in den nächsten Jahren hauptsächlich die passive GPS-Überwachung zur Anwendung kommen wird.[13]

Bei einer Überwachung mit GPS können sog. Inklusions- und Exklusionszonen festgelegt werden, in denen sich der Überwachte aufhalten muss bzw. die er nicht betreten darf, wobei bei einem Verstoss gegen einen solchen Rayonarrest bzw. ein Rayonverbot eine entsprechende Meldung ausgelöst wird.[14] Exklusionszonen können etwa um das Umfeld – z.B. den Wohn- und Arbeitsort – eines Opfers von häuslicher Gewalt, Stalking etc. konstruiert werden.[15] In diesem Zusammenhang kann die Errichtung einer sog. Pufferzone sinnvoll sein, womit Areale ausserhalb und angrenzend an eine Exklusionszone definiert werden, deren Betreten bereits einen vorzeitigen Alarm auslöst, um genügend Zeit für die Ergreifung entsprechender Massnahmen zu haben.[16] Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit der Festlegung sog. dynamischer Rayons, d.h. das Opfer wird ebenfalls mit einem GPS-Sender ausgestattet, welchen es ständig bei sich zu tragen hat, wodurch eine mobile Exklusionszone festgelegt werden kann.[17]

Im schweizerischen Kontext wird zurzeit die EM-Technik von zwei Herstellern eingesetzt, wobei 21 Kantone an der Übergangslösung des Kantons Zürich angeschlossen sind und fünf Kantone die Technik von GEOSATIS, einem schweizerischen Hersteller von End-to-End-Lösungen für die elektronische Überwachung, nutzen.[18] Die definitive nationale Lösung soll per 2023 in Betrieb genommen werden, wobei schweizweit eine einzige Technik und eine (dreisprachige) Überwachungszentrale mit einem zentralen Server im Kanton Jura eingerichtet werden soll.[19] Zudem wird die Einrichtung einer gemeinsamen interkantonalen Trägerschaft für die Investition und den Betrieb des Gesamtsystems Electronic Monitoring in Form eines Vereins beabsichtigt.[20]

Technische Grenzen


Während die technische Grenze des Radiofrequenz-Systems augenscheinlich darin liegt, dass der Aufenthaltsort des Überwachten bei einer unerlaubten Entfernung nicht feststellbar ist, bleibt zu betonen, dass selbst durch GPS-gestütztes Electronic Monitoring zwar der Standort des Überwachten ermittelt, jedoch weder das unbefugte Verlassen der Wohnung noch das Betreten einer Exklusionszone verhindert werden kann. Möglich ist lediglich die Feststellung von Verstössen, um diese den zuständigen Stellen zur Kenntnis zu bringen und – falls notwendig – ein zeitnahes Eingreifen einzuleiten.[21] Andererseits bestehen aber auch Grenzen, welche sich aus der GPS-Technologie selbst ergeben: So ist etwa der Satellitenempfang an bestimmten Orten eingeschränkt, z.B. innerhalb von Gebäuden, in Kellern oder Tunnels.[22] Diesem Problem kann mit einer kombinierten Anwendung von GPS- und Radiofrequenzsystemen, indem eine Per­son während der Nacht zu Hause mittels Radiofre quenz-System und am Tag, wenn das Haus verlassen wird, mittels GPS überwacht wird, entgegengewirkt werden.[23] An Orten, welche für GPS-Signale unzulänglich sind, kann das Mobilfunknetz dazu dienen, den jeweiligen Aufenthaltsort über die Distanz zum nächsten Mobilfunkmast zu berechnen.[24] Dabei variiert die Genauigkeit der Ortung je nach Deckungsgrad der Gegend mit Mobilfunkmasten.[25] Eine weitere Ortungsmöglichkeit besteht über das WLAN, indem verschiedene WLAN-Netzwerke in Reichweite wahrgenommen werden und eine Lokalisierung mithilfe des Prinzips der Triangulation erfolgt.[26] Eine Ortung über das Mobilfunknetz oder mittels WLAN ist jedoch nicht annähernd so genau und zuverlässig wie mittels...