BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr - Horrorthriller, Abenteuer

BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr - Horrorthriller, Abenteuer

von: Lee Murray

Luzifer Verlag, 2020

ISBN: 9783958355347 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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BEUTEZEIT - Manche Legenden sind wahr - Horrorthriller, Abenteuer


 

Kapitel 1


 

Te Urewera, Ende März

 

»Wie wäre es mit einer Pause?«, rief Terry hoffnungsvoll, schob sich seinen Hut in den Nacken und wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn. An seinem Fußballen hatte sich bereits eine wunde Stelle gebildet, die sich in eine beschissen große Blase verwandeln würde, wenn er sich nicht bald darum kümmerte. Vor ihm, und teilweise von dem Dickicht verdeckt, kämpfte Cam gegen einen besonders aggressiven Baumfarn an. Er drehte sich nicht um.

»Cam!«, rief Terry, dieses Mal lauter. »Gönn‘ uns eine Verschnaufpause!«

Cam zögerte und hielt mit einem Arm die fächerförmigen Äste zurück. »Was sagtest du?«

»Pause!«

»Ach was. Ich denke, wir sollten uns noch etwas weiter vorarbeiten. Die Hütte kann nicht mehr weit sein. Wenn wir sie gefunden haben, schlagen wir unser Lager auf.«

Cam ließ den Ast los und duckte sich darunter hindurch. Wieder frei, schwang der Zweig in seine ursprüngliche Position zurück und peitschte in Terrys Gesicht.

»Au!«

»‘tschuldigung.«

Cam war bereits wieder in Bewegung. Die Art, mit der er sich durch das Unterholz bewegte, erinnerte an den Schwanz einer Schlange. Ächzend griff Terry nach den Trageriemen seines Rucksacks und warf ihn sich wieder auf die Schultern.

Vielleicht hätte er es sich zweimal überlegen sollen, bevor er wieder in einen von Cams verrückten Plänen einwilligte. Aber Cam und er waren schon seit Schulzeiten beste Freunde – und in Cams Gegenwart fühlte sich Terry immer erst so richtig lebendig. Eine Wildwanderung war die neueste Herausforderung auf Cams Liste der Dinge, die sie unbedingt unternehmen wollten. Wenigstens hatten sie dieses Mal dabei festen Boden unter den Füßen. Bei ihrem Tandemsprung hatte sich Terry beinahe bepisst. Und beim Wildwasser-Rafting hatte er sich tatsächlich bepisst, doch das Wasser und der Neoprenanzug hatten ihm glücklicherweise dabei geholfen, seine Würde zu wahren.

Ihr erster Wanderausflug war ein Tagesmarsch im Abel-Tasman-Nationalpark gewesen, ein hügeliger Küstenpfad aus sandigen Stränden, hölzernen Stegen und Buschwegen. Terry und Cam waren zeitig aufgebrochen und hatten den vierunddreißig Kilometer langen Weg in unter sechs Stunden zurückgelegt. Ihr zweiter Ausflug hatte länger gedauert – die berühmte viertägige Kepler-Rundwanderung in der Nähe der Stadt Te Anau. Nach einem halben Tag hatten sie bereits den 1490m hohen Mount Luxmore über ihnen aufragen sehen, was die ausländischen Touristen in ihrer Gruppe zu andächtigen »Oohs« und »Aahs« animiert hatte. Cam aber hatte sich jedes Mal beschwert, wenn er eines der gelben Hinweisschilder erblickte. Für ihn war die Route selbst vollbepackt noch viel zu verdammt einfach gewesen. Immer wieder murrte er, dass selbst eine Pfadfinderin diesen Ausflug gemeistert hätte … in einem Doppelstockbus.

Das war ihr letzter Urlaub gewesen, vor einem halben Jahr. Seither hatte Cam Terry in den Ohren gelegen, den Schwierigkeitsgrad anzuziehen. Sich aus ihrer Komfortzone zu wagen. Und dann war ihm die Idee mit der zweiwöchigen Wanderung durch die Te-Urewera-Wälder gekommen.

»Das wird großartig«, hatte Cam gesagt. »Mal was Anspruchsvolles. Nicht dieser verweichlichte Touristenkram.«

Terry hatte sofort eingewilligt. Hatte darüber keine Sekunde nachdenken müssen. In seiner Firma wurde gerade umstrukturiert und die Stimmung im Büro war ohnehin miserabel. Drauf geschissen, wenn sein Job bei seiner Rückkehr nicht mehr auf ihn wartete, dachte Terry. Dann würde er eben eine Weile von der Stütze leben und sich nach etwas anderem umschauen. Terrys Eltern hatten sich darüber natürlich ausgelassen, aber das ging ihm am Arsch vorbei.

Er war achtundzwanzig.

Und ultrahammermäßig verantwortungsbewusst.

Für diesen Trip hatten er und Cam die Langzeitwettervorhersagen geprüft, sich mit geborgter Ausrüstung versorgt und sogar Cams Schwester ihre geplante Route übergeben. Und bislang war alles auch nach Plan verlaufen, bis heute, als Cam beschloss, vom Wanderweg abzuweichen – nicht zu weit, vielleicht nur einen oder zwei Kilometer, und sich ein wenig durchs Dickicht zu wagen. Das hatte Spaß gemacht, ein echter Adrenalinkick. Cam verhielt sich wie ein Hund, der an seiner Leine zerrte und es nicht erwarten konnte, den nächsten Hügel zu erklimmen, das nächste Tal zu erreichen und um die nächste Ecke zu biegen. Er hatte sie durch den dicht bewachsenen Wald vorangetrieben, durch das Dickicht und durch tiefe, mit Farnen bewachsene Täler, die nicht danach aussahen, als ob sich je ein Mensch hindurchgewagt hätte. Terry liebte es. Zu Anfang. Doch jetzt ließen seine Geduld und die Belastbarkeit seiner Füße zusehends nach.

»Hey, sieh dir das an!«, rief Cam. Er deutete auf ein paar seltsam kugelförmige Felsen, die aus einer lehmigen Böschung ragten. »Könnte sich vielleicht um versteinerte Moa-Eier handeln, die freigelegt wurden, als ein Teil der Böschung absackte. Sieht frisch aus. Vielleicht ist es während des großen Erdbebens im letzten August passiert. Stell dir nur mal vor Terry, wir sind vielleicht die einzigen Menschen der Welt, die diese Eier zu Gesicht bekommen.«

»Wenn es Eier sind«, antwortete Terry unsicher. Er lief zu der Böschung, um sie näher in Augenschein zu nehmen.

»Natürlich sind es Eier. Was sollte es denn sonst sein?«

»Felsen?«

Cam lachte und hieb ihm auf den Rücken. »Du hast einfach keine verdammte Fantasie, Terry. Das ist dein Problem.«

Terry zuckte mit den Schultern. Eingegraben im lehmigen Boden sahen die Felsen tatsächlich wie das Gelege von Vögeln aus. Cams Mutmaßung war also so gut wie jede andere, wenn man sich vor Augen führte, dass die Region in grauer Vorzeit einmal ein Sumpfgebiet gewesen war. Vielleicht hatte ein Moa vor Ewigkeiten tatsächlich einmal hier seine Eier abgelegt. »Sollten wir den Fundort markieren und die Parkranger informieren?«, fragte Terry, der sich langsam für die Moa-Eier-Theorie zu erwärmen begann.

Cam schüttelte den Kopf. »Die lagen all die Jahre hier versteckt, was machen da noch ein paar tausend Jahre mehr? Lassen wir sie einfach in Ruhe.«

Sie wanderten weiter, und die wunde Stelle an Terry Fuß meldete sich immer lautstarker, während der Nachmittag verging. Aber noch unangenehmer als sein Fuß nagte der Verdacht an Terry, dass sie sich womöglich verlaufen hatten. Diese kleine Lichtung sah genau wie jene aus, an der sie vorhin vorbeigekommen waren. Sie hätten die Hütte längst erreicht haben müssen. Wahrscheinlich hatten sie diese nur um wenige Meter verfehlt, ohne es bemerkt zu haben. Was leicht passieren konnte. Stellenweise war der Wald so dicht wie Schaumstoff. Und es wimmelte auch nicht gerade von Menschen. Terry und Cam waren bislang nur zwei weiteren Wanderern begegnet – einem alten Mann und möglicherweise seinem Sohn – und das war vor zwei Tagen gewesen.

Die Nachmittagssonne verlor bereits an Intensität, als Cam schließlich stehenblieb und die Karte aus der Seitentasche seines Rucksacks zog. Mit seinem Fuß gegen einen flachen Felsen gestemmt, studierte er sie.

»Wo zur Hölle sind wir?«, fragte Terry und spähte über Cams Schulter.

»Weiß der Geier«, antwortete Cam. Mit seinem schmutzigen Zeigefinger deutete er auf ein Gebiet in der Größe eines kleinen Geldstückes. »Irgendwo hier. Wir müssen die Hütte verpasst haben. Wahrscheinlich sind wir vom Weg abgekommen, als wir diese Schlucht passierten.«

Oder vielmehr, als du den Wanderweg links liegen gelassen hast.

»Hast du es mal mit deinem Handy versucht? Vielleicht haben wir noch ein Signal.« Terry bemühte sich, ruhig und gefasst zu klingen.

»Um was zu sagen? Wäähhh, bitte holt uns hier raus? Wir haben noch genug zu essen für ein paar Tage, und jede Menge warmer Kleidung. Vielleicht versuchen wir erst einmal, uns selbst aus diesem Schlamassel zu retten, bevor wir gleich um Hilfe rufen, okay?«

»Was schlägst du vor?«, fragte Terry.

»Für heute«, sagte Cam und faltete die Karte mehr oder weniger gut zusammen, »würde ich vorschlagen, wir suchen uns einen Platz zum Zelten, essen etwas und ruhen uns aus. Morgen erkundigen wir ein wenig die Umgebung und ziehen weiter, wenn wir wissen, wo genau wir uns befinden. Ich wette, dass wir bis zum Mittag wieder unseren Weg gefunden haben.«

Sie schlugen ihr Zelt auf einer Anhöhe über einem kleinen Bach auf, und wenig später loderte auch schon ein pyramidenförmiges Lagerfeuer auf der kleinen Lichtung. Während Cam den Tee kochte, setzte sich Terry auf einen flachen Stein, zog seinen Stiefel aus und untersuchte die geschwollene Blase an seinem Fußballen.

Mist, die wird morgen wehtun.

Das Licht wurde schwächer, und er kramte in seinem Rucksack nach dem Verbandskasten, um damit seine Wunde zu versorgen. Als er das Erste-Hilfe-Set wieder verstaute, reichte ihm Cam eine Tasse mit heißem Tee.

»Runter damit, Kumpel.«

Terry legte seine Hände um die warme Tasse und blies über die dampfende Flüssigkeit. Das Feuer knackte, ein Geräusch wie das Öffnen einer Limonadendose, und die Fanta-farbenen Flammen erhellten den Zeltplatz. Fasziniert nippte Terry an dem heißen Getränk und kam zu dem Schluss, dass alles halb so wild war. Sie hatten sich nicht wirklich verirrt, sondern wussten im Moment nur nicht so genau, wo sie sich befanden. Cam hatte recht. Alles, was sie brauchten, war eine Mütze voll Schlaf. Morgen würden sie weitersehen.

 

***

 

Als Terry erwachte, bemerkte er, dass der Platz neben ihm leer war. Er tastete nach seiner Uhr und sah nach der Zeit. 00:23 Uhr....