Rixton Falls - Secrets

Rixton Falls - Secrets

von: Winter Renshaw

LYX, 2020

ISBN: 9783736314214 , 346 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Rixton Falls - Secrets


 

1. KAPITEL


Demi

(Heute)

»Du bist eine Heilige, Demi. Wirklich. Brooks hat so ein Glück, dass er dich hat.« Brenda Abbott küsst mich auf die Stirn, als ich am Fußende des Krankenbettes ihres Sohnes sitze und Lotion in seine trockenen, reglosen Beine einmassiere. »Er wird bald aufwachen. Ich weiß es einfach.«

Sie macht einen Schmollmund mit ihren dünnen Lippen, und mir wird klar, dass ich meine künftige Schwiegermutter bisher nie ohne Lippenstift gesehen habe. Aber Brenda trägt Mascara. Ganze Schichten. Dick und wasserfest. Tiefschwarz, das ihre grünen Augen schimmern lässt.

Der protzige, fünfkarätige eingebettete Diamant an meinem linken Ringfinger schimmert im trüben Licht über Brooks’ Bett und zieht meinen Blick auf sich. Ich finde immer noch, dass er unecht aussieht, obwohl ich weiß, dass er überaus echt ist, überaus zertifiziert und überaus versichert. Ich dachte, Brooks sei verrückt, weil er ihn gekauft hat. Ich habe ihm gesagt, dass niemand in Rixton Falls so einen Ring hätte. Ich wäre auch mit einem Edelstein zufrieden gewesen, der nur einen Bruchteil dieser Größe hat, aber er bestand darauf.

Vor achtundvierzig Stunden habe ich diesen Briefbeschwerer abgenommen, in seine blaugrüne Ringschachtel zurückgelegt und diese unten in einer Schublade verstaut. Vor achtundvierzig Stunden habe ich den Catering-Service angerufen, die Band abgesagt und den Fotografen angefleht, uns wenigstens einen Teil unserer Anzahlung zurückzugeben. Vor achtundvierzig Stunden kam das Leben, wie ich es kenne, zum zweiten Mal in sieben kurzen Jahren mit kreischenden Bremsen zum Stehen.

Ich schätze, ich habe eine Neigung, mir immer Typen auszusuchen, die mich lieben und dann verlassen.

Neulich abends hat Brooks mit irgendeiner dämlichen Ausrede, dass er noch nicht so weit wäre, unsere Hochzeit abgesagt und ist mit seinem roten Mercedes C-Klasse aus der Einfahrt gefahren. Mit genau dem, den er geschrottet hat, als er von der Straße abkam und in die Leitplanke krachte. Dem, der jetzt nur noch ein Haufen Altmetall auf einem Autofriedhof außerhalb der Stadt ist.

Es war spät. Ich weiß immer noch nicht, wohin er wollte, aber er hatte es offensichtlich eilig, dorthin zu kommen.

Ich hatte mir ein Glas Wein eingeschenkt, nachdem er weg war und war zu Bett gegangen. Aus reinem Trotz hatte ich ein altes T-Shirt eines Ex-Freundes angezogen. Ich konnte nicht schlafen, sondern lag nur wach und machte mir Vorwürfe, weil ich mehr Erleichterung als Kummer empfand. Ich konnte nicht verstehen, wieso ich nicht aufgebrachter darüber war, dass er mich verließ. Ich versuchte sogar, mich zum Weinen zu zwingen. Doch die Tränen wollten nicht kommen.

»Er kommt wieder in Ordnung«, beteuere ich seiner Mutter, obwohl ich nicht wirklich qualifiziert bin, diese Art Hoffnung zu äußern. Ich bin darin ausgebildet, Vorschulkinder zu unterrichten, nicht um die ungewisse Zukunft von Trauma-Patienten zu diagnostizieren.

Das regelmäßige Zischen einer Maschine, die für Brooks atmet, erfüllt das winzige Zimmer.

Eine Schwester klopft an die Tür. »Es tut mir sehr leid, meine Lieben. Die Besuchszeit ist vorbei. Sie können morgen früh wiederkommen.«

Brenda hängt sich ihre Handtasche von Prada über die Schulter und weigert sich, den Blick von ihrem verquollenen und zerquetschten Sohn zu wenden, als könnte sie sonst das winzigste Zucken verpassen. Ich erinnere sie nicht daran, dass sein Koma medizinisch veranlasst wurde und sie gar nichts verpassen wird, bis sie versuchen, ihn wieder aus dem Koma zu holen.

»Du kommst heute Abend zurecht, Liebes?« Brenda massiert über einen Knoten zwischen meinen Schulterblättern. Kleine hastige Kreisbewegungen. Tröstend, aber distanziert. Ich war seit unserem letzten Jahr am Hargrove mit Brooks zusammen, also kenne ich Brenda schon seit Jahren. Ich hielt sie immer für stark, doch jetzt beginne ich zu verstehen, dass sie einfach nur nicht gut darin ist, Emotionen zu zeigen, die tiefer unter die Oberfläche gehen.

Wie die Mutter, so der Sohn.

In unseren Anfängen brauchte Brooks den Großteil eines Jahres, um mir zu sagen, dass er mich liebt, und danach hat er diese Worte nur für besondere Ereignisse aufgespart. Geburtstage. Karten zum Valentinstag. Die gelegentliche Liebeserklärung nach einem erdbebenartigen Orgasmus.

»Ich komme zurecht«, sage ich. Brenda sollte sich um nichts außer ihren Sohn sorgen müssen. Was mit mir passiert, ist unbedeutend im Vergleich zu allem, womit sie sich beschäftigen muss, wenn er wieder aufwacht.

Falls er wieder aufwacht.

Die Ärzte sagen, dass er vielleicht nie wieder laufen oder sprechen kann. Sie sind unsicher, wie schwer die Hirnschäden sind, mit denen er zu kämpfen haben wird. Jedes Organ und jeder Knochen in seinem Körper sind geschwollen, gebrochen oder massiv geschädigt.

»Wir müssen die Hochzeit verschieben.« Brenda runzelt die Stirn und lässt die Schultern hängen. »Offensichtlich.«

Ich sehe sie an. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, etwas zu sagen, aber ich fühle die Worte genau hier, auf meiner Zungenspitze, die prickelnd drohen, die Wahrheit ins Leben zu bringen.

»An die Hochzeit denke ich im Augenblick gar nicht.« Das ist keine Lüge.

»Das ist nur ein Rückschlag. Er wird aufwachen und wieder auf die Beine kommen. Mein Sohn ist stur wie ein Maultier. Er will dich heiraten, und wenn Brooks sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hält ihn nichts auf. Ich wäre nicht überrascht, wenn er morgen aufwacht und hier herausmarschiert, nur um zu beweisen, dass er es kann.«

Ich schnaube durch die Nase. Brooks ist stur. Er hat mir bei vier verschiedenen Anlässen einen Antrag gemacht und wollte kein »Nein« akzeptieren. Die ersten drei Male habe ich abgelehnt, ihm gesagt, dass ich nicht so weit sei, und ihn gebeten, noch sechs Monate zu warten, dann noch mal sechs Monate und danach noch mal sechs Monate. Die Wahrheit war, dass ich immer noch einen anderen liebte, und ich brauchte mehr Zeit, um über ihn hinwegzukommen. Man kann nicht einen Mann lieben und einen anderen heiraten. Es ist nicht richtig.

Und vielleicht …

Vielleicht hat ein klitzekleiner, winziger Teil von mir gehofft, Royal würde …

Nein.

Ich hasse es, darüber nachzudenken, denn ich weiß, wie komplett albern und unrealistisch das klingt.

Bei Brooks viertem Antrag sagte ich dann Ja, weil mir genau klar wurde, warum ich überhaupt mit ihm zusammen war: Er war das genaue Gegenteil von Royal Lockhart. Das Gegenbild zu dem einen Mann, der mein Herz zerschmetterte und meine Fähigkeit zerstörte, auch nur einen Bruchteil des Glücks zu empfinden, das ich einst gekannt hatte.

Brooks Abbott war das Einzige, was mich aus dem obsessiven Liebeskummer retten konnte, mit dem ich geplagt war seit dem Tag, an dem Royal ging und nicht wiederkam.

»Ich sorge dafür, dass er erfährt, dass du ihm nicht von der Seite gewichen bist«, sagt Brenda. »Ich werde ihn jeden einzelnen Tag für den Rest seines Lebens daran erinnern.«

Brooks liegt leblos in seinem Bett, den Rücken an Kissen gelehnt, und sein Brustkorb hebt und senkt sich im Rhythmus der Maschinen. Seine schönen grünen Augen sind zugeschwollen und sein kräftiges, kantiges Kinn ist an vier Stellen gebrochen. Klumpen aus getrocknetem Blut kleben in seiner dichten blonden Mähne.

Verschwunden sind seine gebügelten weißen Poloshirts, die frischen Kakihosen und die dunkelblauen Dinnerjackets. Verschwunden sind seine modischen Uhren, Geldklammern und die Slipper von Gucci. Zieh Brooks Abbott aus bis auf ein Krankenhaushemd, und er ist auch nicht mehr besonderer als jeder andere Mensch in diesem Krankenhaus.

Royal würde Brooks verabscheuen, falls sie sich je begegnen würden. Und vielleicht empfindet ein Teil von mir insgeheim Freude darüber.

Fast wünschte ich, Brooks könnte sich selbst so sehen. Er war immer so besessen davon, dieses perfekte Bild an den Rest der Welt zu vermitteln.

Perfektes Haus.

Perfekte Verlobte.

Perfektes Lächeln, perfekte Autos, perfekte Freunde …

Die Liste ist endlos.

Er hatte das alles, und mit nichts davon war er je lange zufrieden.

Ich wünschte, ich könnte ihn fragen, wohin er an dem Abend wollte. Ganz sicher war er nicht aufgewühlt, weil er die Hochzeit abgeblasen hatte. Der Mann hat nicht eine Träne vergossen. Hat den ganzen Austausch kurz und bündig gehalten. Ich hätte ahnen müssen, dass etwas im Busch war, als ich von der Arbeit nach Hause kam und neben der Haustür eine gepackte Tasche sah. Seine Schlüssel hingen an entschlossenen Händen, und die Schnürsenkel seiner Schuhe waren festgebunden.

Brooks’ Krankenschwester räuspert sich in der Ecke des Zimmers. Ich breite eine weiße Flanelldecke über seine Beine, stelle die Lotion weg und sammle meine Sachen ein. Ich brauche eine Dusche. Ich brauche eine warme Mahlzeit. Ich brauche eine Nacht voll Schlaf. Ich muss meine Gedanken ordnen. Und vielleicht auch kräftig weinen.

Brenda holt ihr Handy aus der Tasche und geht. Das macht sie schon den ganzen Tag, Anrufe annehmen und die Nachricht verbreiten. Eine seiner Tanten hat eine Spendenseite eingerichtet für die »langwierige Genesung und die Arztrechnungen, die ihm bevorstehen werden«, trotz der Tatsache, dass Brooks ein sehr erfolgreicher Finanzplaner ist und die Abbotts eine der reichsten Familien in Rixton County sind.

Und trotz der Tatsache, dass wir nicht einmal wissen, ob er durchkommt.

Ich habe Brenda mindestens viermal dabei beobachtet, wie...