Leben - Thriller

von: Uwe Laub

Heyne, 2020

ISBN: 9783641235130 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 11,99 EUR

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Leben - Thriller


 

Tag null

»Kruger-Nationalpark bis auf Weiteres geschlossen. Gründe dafür noch unklar. Parkverwaltung lehnt Stellungnahme bislang ab.«

BBC, Breaking News

Johannesburg, Südafrika

Der Lanseria International Airport im Nordwesten Johannesburgs war ein mittelgroßer Flughafen, auf dem mehrere regionale Fluggesellschaften hauptsächlich Inlandsflüge nach Kapstadt und Durban anboten. Die Cessna 182, die in diesem Moment abhob und nach wenigen Sekunden scharf in Richtung Osten schwenkte, gehörte zur Charterflotte der Firma Llungala Aviation, die sich auf touristische Rundflüge spezialisiert hatte. Mark Brenner saß mit angezogenen Knien auf dem Sitz neben dem Piloten. In der engen Kabine war es heiß und stickig, und es roch nach Kunstleder. Er trug eine Sonnenbrille, ein luftiges Leinenhemd, dunkelblaue Shorts und Sneakers. Dennoch trieb ihm die Hitze den Schweiß aus allen Poren, und das Leder der Kopfhörer klebte an seinen Ohren. Neben ihm saß der dunkelhäutige Pilot, der sich ihm als Adam vorgestellt hatte und der die Instrumente der einmotorigen Propellermaschine während des gesamten Startvorgangs konzentriert im Blick behielt.

Ohne nennenswerte Vibrationen stieg die Cessna auf in einen dunkelblauen, grenzenlos erscheinenden Himmel. Keine Wolke war zu sehen, keine Thermik zu spüren. Laut Adam rieten die Meteorologen allerdings zur Vorsicht, da auf ihrer geplanten Flugroute gegen Nachmittag ein Schlechtwettergebiet aufziehen sollte. Durch das Seitenfenster sah Brenner hinunter auf grüne Wälder und Wiesen, die letzten Ausläufer des Northern-Farm-Naturreservats.

»Hey Mann«, erklang Adams elektronisch verzerrte Stimme in Brenners Kopfhörer. »Alles klar? Entspannen Sie sich. Dieses Baby und ich haben über fünfhundert Flugstunden auf dem Buckel.«

»Ich bin entspannt«, log Brenner.

»Gut. Ich bringe Sie sicher ans Ziel.« Adam grinste und zeigte dabei gepflegte weiße Zähne.

Brenner nickte und sah wieder hinaus. Unter ihnen zogen jetzt braune Ackerflächen, Straßen sowie versprengte Siedlungen vorbei. Gelegentlich blitzten reflektierende Sonnenstrahlen auf, die am Boden auf Glas oder Stahl trafen.

»Was führt Sie hierher?«, wollte Adam wissen.

»Was alle hierher führt. Safari.«

Adam lachte spöttisch. »Na klar. Ein Deutscher mit einer Sonderfluggenehmigung des südafrikanischen Ministeriums für Umwelt und Touristik für den Kruger-Park, gerade mal einen Tag nachdem der Park komplett abgeriegelt wurde. Hey Mann, kommen Sie.«

Brenner betrachtete den Piloten genauer. Adam war jung, höchstens Ende zwanzig. Die krausen Haare waren kurz geschnitten. Er trug eine verspiegelte Pilotenbrille sowie braune Fliegerhandschuhe. Aus der Brusttasche seines Hemdes ragte ein Smartphone. »Was wissen Sie über die Schließung des Parks, Adam?«

»Nur das, was in der Zeitung steht. Anscheinend grassiert dort so eine Art Tollwut, und bis man herausgefunden hat, ob das für Menschen gefährlich ist, hat die Regierung den Park dichtgemacht. Das Militär hat Straßensperren auf sämtlichen Zufahrtsstraßen errichtet und überwacht die Parkeingänge. Keiner darf mehr rein. Absolut niemand. Sämtliche Rastplätze, Camps, Lodges und Hotels wurden geräumt. Alle Touristen wurden in Unterkünfte außerhalb des Parks untergebracht. Bis auf Weiteres finden keine Safaris statt.«

»Tollwut also.« Nachdenklich trommelte Brenner mit den Fingern auf seinen Oberschenkel.

»Totaler Bullshit, wenn Sie mich fragen.« Adam winkte ab. »Das glaubt hier doch kein Mensch. Das ist nur die offizielle Version für die Touristen. Vor einer Stunde wurde sogar die Grenze nach Mosambik geschlossen. Da geht was richtig Großes ab, sag ich Ihnen. Die Verantwortlichen halten sich natürlich bedeckt.«

»Der Kruger-Nationalpark ist riesig«, sagte Brenner. »Ich bezweifle, dass man ein fast zwanzigtausend Quadratkilometer großes Gebiet abriegeln kann.«

»Sehe ich genauso. Das Militär überwacht zwar die Eingänge, aber es gibt tausend Wege, um in den Park zu gelangen. Die Zäune, die es früher gab, um Tierwanderungen zu verhindern, wurden ja schon vor vielen Jahren entfernt.«

»Also, Adam, wenn Sie nicht an Tollwut glauben – was glauben Sie, geht dann im Park vor?«

Die Gesichtszüge des Piloten verhärteten sich. »Keine Ahnung, aber hey, du kannst die Menschen nicht so offensichtlich belügen. Ich meine, wir reden hier über den Kruger-Nationalpark. Hunderttausende Touristen kommen jedes Jahr nur deswegen hierher. Und die Regierung schließt den Park einfach so wegen Tollwut? Lächerlich. Je mehr Geheimnisse man um die Vorgänge dort macht, desto neugieriger werden die Menschen. Wissen Sie, die Leute reden.«

»Ach ja? Was reden sie denn?«

»Dies und das.« Adam machte eine vage Handbewegung. »Mein Onkel kennt jemanden, der in Matsulu eine Lodge betreibt und geführte Safaris anbietet. Dieser Mann steht vor dem Ruin, wenn sich die Situation nicht bald normalisiert. Auf jeden Fall behauptet er, Park-Ranger würden hinter vorgehaltener Hand von einem Ebola-Ausbruch reden.«

»Das sind nur wilde Spekulationen«, warf Brenner ein. »Aufgrund des enormen Gefahrenpotenzials würde niemand eine Ebola-Epidemie unter den Tisch kehren.«

»Mag sein. Okay, wie klingt das für Sie. Der Großvater einer Bekannten behauptet, mitten im Park hätte sich ein gewaltiger schwarzer Riss in der Erde aufgetan, aus dem Geister der Unterwelt heraufsteigen. Wer mit ihnen in Berührung kommt, ist dem Tod geweiht.«

»Böse Geister?« Brenner schmunzelte. »Wie kommt er darauf?«

»Anscheinend hatte er eine Vision.«

»Tatsächlich?«

»Natürlich darf man nicht alles wörtlich nehmen, was die Alten so reden, aber man sollte es auch nicht ins Lächerliche ziehen.«

»Wenn Sie das sagen.«

Adam checkte seine Anzeigen auf der Instrumententafel des Cockpits, dann wandte er sich wieder an Brenner. »Weshalb sind Sie wirklich hier?«

»Wie lange noch bis zur Parkgrenze?«

»Etwa neunzig Minuten.«

»Dann wecken Sie mich bitte, wenn wir da sind. Ich habe die letzten Tage nicht sonderlich viel Schlaf bekommen.«

Brenner schloss demonstrativ die Augen, obwohl er nicht damit rechnete, schlafen zu können. Zu viele Gedanken beschäftigten ihn. Die überraschende Schließung und Abriegelung des Kruger-Nationalparks für die Öffentlichkeit hatte weltweit Aufsehen erregt. Die Tatsache, dass die südafrikanische Regierung den Park-Rangern sowie den Betreibern der Touristencamps Maulkörbe verpasst hatte, trug natürlich mit dazu bei, dass in den Medien, vor allem im Internet, die wildesten Gerüchte ins Kraut schossen. Sogar von Aliens, die im Park gelandet seien, war in einschlägigen Foren die Rede. Das war natürlich lächerlich, zeigte aber doch nur, wohin es führte, wenn man über Dinge spekulierte, ohne über gesichertes Faktenwissen zu verfügen. Und dasselbe galt für ihn, Brenner. Er musste es erst mit eigenen Augen sehen.

Der weitere Flug verlief ruhig. Adam schwieg – wenn er nicht gerade mit Fluglotsen kurze Funksprüche wechselte –, und die Cessna lag so sanft in der Luft, dass Brenner wider Erwarten tatsächlich einschlief.

»Hey Mann, wachen Sie auf. Wir sind da.«

Brenner öffnete die Augen und blinzelte. Die Sonne brannte unvermindert grell vom Himmel, und die Thermik war nach wie vor ruhig, doch am Horizont näherten sich von Osten tiefdunkle Wolken.

»Wird uns diese Schlechtwetterfront erreichen?«, fragte Brenner.

»Schwer zu sagen«, meinte Adam. »Kommt darauf an, wie weit Sie in den Park hineinfliegen wollen. Vor fünf Minuten haben wir den Kruger Mpumalanga Airport überflogen. Dorthin werden wir später zurückkehren.«

Brenner richtete sich in seinem Sitz auf, massierte den verspannten Nacken und sah durch die Frontscheibe. Unter ihnen zog eine hügelige, spärlich bewaldete Landschaft vorbei. In einiger Entfernung näherte sich ein grünes Band dichter Vegetation, das, wie Brenner vermutete, die Grenze zum Park markierte.

»Wir haben die Einflugschneise des Flughafens verlassen und können jetzt tiefer gehen, wenn Sie wollen«, informierte Adam ihn.

»Fliegen Sie so niedrig Sie können.«

Adam drückte das Steuer nach vorn, und die Cessna begann sachte an Höhe zu verlieren. Nur Sekunden später knarzte das Funkgerät, und eine Stimme meldete sich. Brenner verstand die Unterhaltung nicht, aber aus Adams Antworten schloss er, dass sich das Militär für die anfliegende Cessna interessierte. Nachdem Adam ihre Flugkennung übermittelt hatte und die Sondererlaubnis zum Tiefflug über den Nationalpark bestätigt worden war, ließ man sie in Ruhe. Einmal mehr fragte Brenner sich, wie es seinem Auftraggeber gelungen war, an diese Erlaubnis zu gelangen. Sein Auftraggeber schien über ein erstaunliches Netzwerk zu verfügen, das bis in Regierungskreise reichte. Im Augenblick aber zählte nur, dass sie in hundertfünfzig Metern Höhe der Parkgrenze entgegenflogen. Straßen, Autos, einzelne Gebäude, baufällige Hütten, Bäume, Büsche und sogar Menschen waren jetzt erstaunlich gut zu erkennen.

»Können Sie noch tiefer gehen?«, fragte Brenner.

Adam schüttelte den Kopf. »Wir fliegen schon mit Mindestsicherheitsabstand zum Boden. Noch niedriger, und ich kassiere eine Strafe.«

Sie überflogen ein breites, an den Rändern ausgetrocknetes Flussbett. Zu beiden Seiten des Ufers wucherte sattgrüne Vegetation, überragt von hohen Bäumen mit breiten...