Wilder Instinkt - Vertraute des Vargs

von: Alessandra Storm

BookRix, 2019

ISBN: 9783739623160 , 331 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 0,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Wilder Instinkt - Vertraute des Vargs


 

Kapitel 1


Ein Jahr später.

 

Noch einmal warf sie einen Blick auf die Armbanduhr, die auf ihrem Schreibtisch lag. Drei Minuten später als beim letzten Check. Sieben vor fünf.

Wenn sie jetzt sofort losfuhr, war sie zu früh da und würde jemandem in die Fänge gehen. Allerdings wenn sie zu spät losfuhr, würde sie gleichzeitig mit den anderen ankommen.

Kritisch sah Rosa noch einmal in den Spiegel. Gestern hatte sie sich ihre lange Mähne abschneiden lassen. Jetzt war ihr Haar so kurz wie noch nie. Es reichte vorne kaum bis an die Schlüsselbeine und ließ hinten etwas Nacken frei. Fast hätte sie geheult, als Mr. Servino, der seit ihrem dritten Lebensjahr ihr Frisör war, ihr weizenblondes Haar niedermähte. Lange Strähnen waren auf den weißen Umhang gesegelt. Und Ethan hatte sie gefragt, was zur Hölle in sie gefahren sei, als er sie gesehen hatte. Denn jeder wusste doch, dass sie ihre langen Haare liebt und dass Cameron es offenbar auch tat. Aber Cam war für etwa drei bis vier Wochen weg.

Rosa vermied auf das Foto auf der Kommode zu sehen.

Sie war seit zwei Jahren mit Cameron Wood zusammen. Anfangs waren sie nur zusammen in die Schule gegangen und hatten eigentlich kein einziges Wort mit einander gewechselt. Doch ein Auge hatte sie immer auf ihn geworfen. Sie hatte seine laute, selbstbewusste Art gemocht. Zusammen mit diesem frechen Grinsen und den schwarzen Augen. Und ihr war nicht entgangen, dass er entgegen aller Gerüchte und schlimmen Erzählungen sich nie etwas zu Schulden kommen ließ – auch wenn das irgendwie sonst keiner wahrnahm und er ein gepflegtes Bad Boy-Image hatte. Jedenfalls waren die Schmetterlinge in ihrem Bauch wie verrückt geflogen, als sie sich zum ersten Mal heimlich in der Schulbibliothek, hinter den Regalen hocken, geküsste hatten.

Auch jetzt gefiel Cam ihr. Er war früher schon einen Kopf größer gewesen als sie und war nun noch mehr gewachsen. Seine Körpergröße von fast zwei Metern bewirkte, dass sie sich neben ihm wie ein Winzling fühlte. Obwohl sie auch noch etwas gewachsen war, war der Abstand zwischen ihnen nur größer geworden. Sein Aussehen und seine bezaubernde Art führten dazu, dass sie nicht nur winzig, sondern vor allem beschützt und auf Händen getragen fühlte. Und die Tatsache, dass Cam einer der bösen Jungs aus der Familie Wood war, machte es gleich noch hinreißender. Denn mal ehrlich, wie alle Mädchen gefiel es auch Rosa, dass sie den bösen Jungen für sich alleine hatte. Aber hier lag auch das Desaster. Es war so perfekt, dass sie aus dieser Nummer einfach nicht mehr rauskam!

Sie schielte an ihrem sorgfältig geglätteten Haar vorbei zum Zifferblatt. Die kleinen goldenen Zeiger waren kaum weiter gewandert. Fünf vor fünf.

Aus Gewohnheit wollte sie sich auf den Daumennagel beißen, hielt aber inne, als sie ihre ordentlich pink lackierten Nägel sah. Stattdessen wanderte sie durch ihr Zimmer auf und ab. Zwischen Bett und Schreibtisch. Ein mulmiges Gefühl lag in ihrem Magen. Aber sie würde nicht kneifen. Um fünf Uhr würde sie auf ihr Fahrrad steigen und einmal quer durch die kleine Stadt fahren. Dann an der Waldgrenze musste sie dem langen Weg folgen, der fast soweit aus der Stadt im Nirgendwo von Maine führte, dass das Ziel eigentlich Mitten im Wald lag. Sie würde das Fahrrad abstellen und zu Fuß den langen Kiesweg zwischen den Zuckerahornbäumen entlanggehen. Aber, wenn das Haus, was viel mehr ein Schloss war, vor ihr auftauchte, würde sie abtauchen. Denn hinter dem Haus, fast vom Wald verschluckt, lag ihr ihr eigentliches Ziel.

Mit angespannten Schultern beugte sie sich über den Schreibtisch und starrte auf die Armbanduhr. Noch zwei Minuten. Dank der letzten Jahre, kannte sie die Gewohnheiten der Familie Wood bestens: In einer halben Stunde hatte Bekka Feierabend, aber sie würde auf ihren Mann warten und sie würden zu zweit zum Haus fahren, um mit den anderen zu Abend zu essen. Die beiden würden um kurz vor sechs Uhr ankommen… Rosa würde eine halbe Stunde mit dem Fahrrad brauchen. Dann hatte sie eine halbe Stunde Zeit, bis die beiden ankamen.

Der Zeiger rückte einen Strich vor. Eins vor fünf. Sie richtete sich gerade auf. Paige würde vermutlich jetzt losfahren, um Mia im Café zu helfen. Sie biss sich auf ihrer Lippe. Nur etwas Verschiebung am Zeitplan und sie würde Paige in die Arme laufen… Und wenn sie zu spät ankam, würde Bekka sie in die Küche zerren, damit sie Kuchen aß.

Ihr Herz raste, als sie in die neuen Lederstiefel schlüpfte. Die abgeschnittenen Jeans bedeckten kaum ihre Oberschenkel. Sie zeigte mehr Bein als sonst. Und mehr Ausschnitt. Allerdings gab es da auch nicht viel zu sehen. Klare Pluspunkte an ihrer platten Figur waren die Beine.

Es nicht mehr aushaltend, rannte sie aus dem Zimmer und die Treppe im kühlen Haus ihrer Eltern herunter. Draußen war ein heißer Augusttag.

„Rosa? Wo gehst du hin?“, rief ihre Mutter ihr aus dem Wohnzimmer nach.

„Nur in die Stadt. Ich brauche etwas.“

„Was denn?“ Rosa schluckte ein „Scheißegal“ herunter.

„USB-Stick“, rief sie zurück.

„Ok.“ Das war die einzige Möglichkeit gewesen, wegzukommen. Ihre Mutter hatte keine Ahnung von Technik. Alles andere wäre diskussionswürdig gewesen, da sie sonst über alles reden und streiten konnte. Typisch Zeitungsmensch.

Also schlüpfte Rosa aus der Haustür, bevor sie doch noch in ein Gespräch verwickelt würde. Sie beneidete ihre Brüder, die beide ausgezogen waren. Aber sie hatten auch bessere Jobs. Keiner verstand, wieso sie nicht aufs Collage wollte. Besonders, wo Cam doch auf eins gehen wollte. Aber sie wusste, dass Cam nicht wirklich aufs Collage gehen würde, sondern nur seinen etwas älteren Bruder Zayn begleitete, um die Großstadt zu sehen. Hinzukam, dass Rosa kein Bedürfnis hatte, in die Stadt zu ziehen. Sie liebte die Wälder und die Natur. So wie es auch Cam tat.

Das gab ihr einen Stich, als sie auf das Fahrrad stieg. Cam und sie hatten viel gemeinsam. Aber manchmal war Liebe nicht gleich Liebe. Und es konnte ja sein, dass jeder Cam und sie als das Traumpaar sahen, aber sie selbst sah das etwas anders.

Und ihr Gefühl sagte ihr, dass Cam das auch so sah. Sie hatte schon immer einen besonderen Draht zu Cameron Wood gehabt. Selbst, als sie mit fünfzehn kaum ein Wort gewechselt hatten, hatte sie zum Beispiel damals auf dem Schulgelände sofort gewusst, dass er liebend gerne mit zur dieser Party gekommen wäre, zu der er gerade spontan von Rosas Freundin Sunday eingeladen worden war. Ihre Freunde hatten ihn und seinen Bruder Zayn erwartungsvoll und fast herausfordernd angesehen. Aber er hatte für sie beide sprechend abgelehnt. Ohne Begründung. Alle anderen hatten gedachte, dass er sich für etwas Besseres hielt. Für cooler als sie oder als mehr erwachsen. Vielleicht wollte er mehr „Bad Guy“ als eben alle anderen Jungs sein. Aber Rosa hatte den neidischen Ausdruck in seiner Miene gesehen, als er sich mit seinem schweigsamen Bruder umgewandt hatte und einen bissigen Kommentar über seine Person mit einem tapferen Lächeln entgegengenommen hatte. Die anderen hatten es nicht gesehen und ihm noch einen böseren Spruch nachgerufen.

Bis heute war sie nicht dahinter gekommen, was die Familie Wood geheim hielt. Aber etwas war da. Denn sie ging seit zwei Jahren mit Cam, aber bisher hatte sie nie alleine oder unangemeldet beim dem Haus auftauchen dürfen. Und es gab Zeiten, wo er einfach nicht anzutreffen war.

Heute würde sie aber ohne Anmeldung erscheinen! Die Ironie war, dass Rosa dieses erste unerlaubte Erscheinen nicht für Cam wagte, sondern für den Typen, den sie eigentlich gar nicht kannte.

Mit schnellen Tritten fuhr sie die Straße entlang, die in das Zentrum der kleinen Stadt führte, in der keine zwei Tausend Menschen lebten. Fünf Bars, drei Restaurants und dem Café „Rabbits Place“, was Cams Schwägerin Mia gehörte. Und an dem sie nur vorbei fuhr.

Sie hob eine Hand zum Winken, als sie erleichtert Cams Mutter an der Tür entdeckte. Paige ging gerade hinein, wandte sich aber verwundert um, als sie Rosa auf den zweiten Blick erkannte. Die dunklen Augen musterten ihr neues Outfit verblüfft. Die grauen, dichten Haare wehten wild im Wind, als sie Rosa aber lachend zurückwinkte.

Perfekt! Camerons Mutter schien nichts zu ahnen. Sie war sogar früher hier gewesen, als Rosa geplant hatte. Aber so war es ideal! Hätte Rosa Paige weiter draußen vor der Stadt getroffen, hätte diese sie gefragt, wohin sie wollte. Was eine rhetorische Frage gewesen wäre, da der Weg nur in Richtung ihres eigenen Hauses führte. Und dann hätte sie vermutlich nur Schwachsinn geplappert oder wäre in Tränen ausgebrochen, anstatt gekonnt zu lügen. Ihre große und viel zu ehrliche Klappe teilte sie ebenfalls mit Cam.

Sie trugen ihr Herz auf der Zunge. Umso verrückter hatte sie es gemacht, dass sie es ihm nicht sagen konnte und dass er sie nicht darauf ansprachen.

Denn Cam hatte den siebten Sinn oder so, denn er spürte immer, wenn etwas nicht mit ihr stimmte. Und sie wusste, dass er wusste, dass etwas mit ihr nicht okay war. Aber er hatte nicht gefragt und das sagte ihr, dass er etwas ahnte. Und es nicht verhindern...