AllEin - ZEN oder die Überwindung der Einsamkeit

von: Alexander Poraj

Kösel, 2018

ISBN: 9783641220532 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 13,99 EUR

Mehr zum Inhalt

AllEin - ZEN oder die Überwindung der Einsamkeit


 

Der Wirbelsturm der Sehnsucht

»Wir sind nichts.
Was wir suchen, ist alles.«

Friedrich Hölderlin (1770–1843)

»Den Schmetterling des Zen im Netz des Verstandes zu fangen – machen wir uns klar, dass das nicht geht.«

Zen-Spruch

Zu Beginn unserer Lese machten wir die Erfahrung des Alleinseins. Diese war uns mit ihrer wachsenden Intensität unerträglich geworden. Also wichen wir dem Alleinsein aus. Mehrmals. Jetzt aber, nachdem wir wissender geworden sind, beschlossen wir, kein Ausweichmanöver mehr vorzunehmen. Das bisschen Wissen hat uns Mut gemacht. Wir stellten uns der Sehnsucht und wurden von ihr derart infrage gestellt, dass wir es mit der Angst zu tun bekamen. Das geschah, weil sich die Sehnsucht als die Öffnung des grenzenlosen Raumes offenbarte, der so mächtig war, dass wir ihn nicht betreten konnten, ohne uns dabei selbst aufzugeben. Und das wollten wir nicht. Es war uns zu un-heimlich. Das entsprach nicht unseren Vorstellungen. Und was waren unsere Vorstellungen? Unsere Vorstellungen wollten sich selbst behalten und gleichzeitig die Erfahrung des offenen Raumes machen. Das schon. Das bedeutet aber, dass wir die Vorstellung der Selbstständigkeit und die der Selbstgewissheit beibehalten wollen und gleichzeitig die grenzenlose Fülle des Seins erleben möchten. Das ist gelinde gesagt ein unlösbares Problem und ähnelt dem Wunsch zu baden, ohne sich nass machen zu wollen. Wir haben dieses unlösbare Problem nicht, sondern wir sind es. Und was machen wir normalerweise, wenn wir etwas zum Problem erhoben haben? Wir versuchen, das Problem zu lösen. Das wiederum muss bedeuten, dass wir bereits eine Lösung haben, und wenn nicht, dann glauben wir, eine finden zu können. Damit betreten wir erneut das Theater mit seinen zahlreichen Vorstellungen, denn eine Lösung muss ja vorstellbar sein.

Meditation ist keine »Problemlösung«

Eine von den möglichen Lösungen für diesen konkreten Fall, die sich wachsender Beliebtheit erfreut, nennt sich Meditation. So jedenfalls wird sie vorgestellt. Folgen wir aber der Meditation als Vorstellung einer guten Lösung, so entfernen wir uns vom Sosein und vollziehen nichts anderes als ein erneutes Ausweichmanöver. Der Punkt, an dem wir das Sosein verlassen haben, ist kaum wahrnehmbar. Er verkleidet sich als Urteil. Haben Sie es bemerkt? Das Urteil war hier der Moment der Beurteilung des Soseins als ein »Problem«. Das hat schon ausgereicht. Vor, neben oder in uns gibt es ein Problem, sodass wir die Lösung »suchen« müssten. Das »Suchen« der Lösung wird als Bewegung wahrgenommen. Ob es eine ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall bewegt sich der mentale Geist weg vom »Problem« und auf eine »Lösung« zu. Das bedeutet wiederum, dass er bestimmte Vorstellungen fallen lässt und neue kreiert oder aber bestehende Vorstellungen in neue Zusammenhänge stellt. Das dauert so seine Zeit und stellt damit unsere Stabilität auf die Probe. Deswegen entscheiden wir uns meistens für eine fertige Lösung. Wir übernehmen eine bereits bestehende Vorstellung. Im Falle von Meditation oder gar Zen ist sie mit Bildern verknüpft wie Entspannung, Erfüllung, Einheitserlebnis oder einfach nur Glück. Wir bemerken diesen Vorgang nicht und glauben wirklich, wir würden jetzt meditieren. In Wirklichkeit aber verfolgen wir eine Vorstellung, ein Ziel und benutzen dazu eine bestimmte Sitzhaltung, ein Mantra, den Besuch eines Retreats oder den eines Lehrers. Die alten und neuen Vorstellungen erzeugen eine Menge weiterer Vorstellungen, Bilder und selbstverständlich die damit verbundenen Gefühle. Es kann spannend, langweilig, hoffnungsvoll oder enttäuschend sein. Von allem ein bisschen oder von manchem etwas mehr, gewünscht oder unvorbereitet. Es ist richtig was los. Spirituelle Angebote eben.

Unser Geist läuft nämlich die ganze Zeit auf Hochtouren. Er ist voll. Das ist aber nicht die Fülle, deren wir vorhin gewahr werden konnten. Die Fülle und etwas, was gefüllt ist, sind leider überhaupt nicht dasselbe. Die Fülle, derer wir gewahr werden konnten, war bereits da und das, bevor wir mit der Suche nach der Lösung begonnen haben. Sie ist nicht in der Lösung zu finden. Sie ist überhaupt nicht zu finden, weil sie nicht gefunden werden kann. Sie ist bereits da. Sie ist manchmal, aus unserer ungeschulten Sicht heraus und im Augenblick der Beurteilung, als »Problem« verkleidet. Dann nämlich fühlen wir uns getrennt oder selbstständig, was auf das Gleiche hinausläuft, und glauben unbedingt, etwas tun zu müssen. Der Wirbelsturm beginnt. Die Spirale der Suche nimmt ihren Lauf. Der Antrieb ist Flucht und Hoffnung zugleich. Flucht vor dem »Problem« und die Hoffnung auf etwas »Besseres«. Beides ist bestens verkleidet als Meditation oder Zazen. Beides aber unerfüllt und aufs Engste begleitet von unserer alten Bekannten: der Sehnsucht.

Karussell fahren

»Hinter jeder Biegung suchte ich und fand dich nicht. Wie in einem Labyrinth irrte ich umher. Es trieb mich vom Weg ab in die andere Richtung, wie ich meinte, nach außen, nicht zu dir, den ich suchte. Verzweifelt kletterte ich über Hindernisse und Zäune, bis ich merkte, ich war schon immer da. Der Weg ist das Ziel!«

Willigis Jäger (geb. 1925)

»Du kannst den Pfad nicht beschreiten, solange du nicht selbst der Pfad geworden bist.«

Zen-Weisheit

Wir drehen uns weiterhin im Kreis. Ich hoffe aber, dass es Sie nicht wirklich überrascht. Wir tun es nicht ganz freiwillig. Sie erinnern sich, wir drehen uns nicht, sondern wir sind die Drehung. Wir sind der Wirbelsturm. Wir müssen uns also drehen, und deswegen veranstalten wir das Theater, auch wenn es sich dabei um Ruhe, inneren Frieden oder stille Zufriedenheit handelt. All das muss erreicht, erübt und in ihrer Tiefe erlebt werden. Anders gesagt: Wir müssen in der Drehung des »Machens« bleiben. Die Vorstellungen, aus denen sich dieser Wirbelsturm speist, heißen jetzt Meditation, Stille, Erleuchtung, Selbstverwirklichung oder Zen. Das Theater ist erneut ganz gut gefüllt. Die Gäste wirbeln nur so umher. Man ist ganz unter sich, still und achtsam natürlich und in der festen Überzeugung, endlich mal die »richtige« Vorstellung zu besuchen.

Damit zeigt sich unsere Lese als eine Art Labyrinth. Das ist der etwas feinere Ausdruck für den Wirbelsturm der Vorstellungen und Bemühungen, die unsere persönliche Wirklichkeit bilden. Das Labyrinth war aber nicht von Beginn an da. Wir haben es auch nicht betreten und irren jetzt darin herum auf der Suche nach dem sicheren Ausgang. Nein, so ist es nicht. Wäre es so, dann müsste es das Leben an sich geben und uns ebenfalls und beide als jeweils selbstständige Größen, die mit oder gegeneinander agieren würden. Das Leben wäre dann eine Art von Raum, den wir betreten und wieder verlassen könnten oder müssten. Wir wären dann »wir« und das Leben wäre das »Leben«, das man bei der Geburt betritt oder bekommt und welches man irgendwann mal wieder abgibt oder verlässt, was wir den Tod nennen. Wir würden dann auch das Leben haben wollen und natürlich, als besondere Prämie, das ewige Leben obendrauf.

Genauso drücken wir uns im Alltag aus, indem wir sagen, dass wir noch am Leben wären oder aus dem Leben scheiden oder in die Ewigkeit eintreten. So ein Gerede erzeugt den Eindruck endgültiger und bereits vorgefundener Trennung, die wiederum Selbstständigkeit als etwas Selbstverständliches voraussetzt, was folglich kaum mehr infrage gestellt werden muss.

Was sich aber zu zeigen begann, war das Gegenteil, nämlich die völlige Unselbstständigkeit und Ungewissheit unserer Existenz. Gleichzeitig zeigte sich die All-Macht des offenen Raumes als Fülle. Mehr noch: Unsere Unselbstständigkeit war die Voraussetzung für die grenzenlose Fülle, denn wären wir wirklich selbstständig, dann böten wir der Fülle eine Art von Begrenzung an und zwar einfach nur dadurch, dass wir ein »Etwas« wären und eben nicht sie. Also: Entweder gibt es eine grenzenlose Fülle oder eine Ansammlung eigenständiger Subjekte und Objekte, zu denen neben uns auch das Leben an sich gehören müsste.

Ist aber die grenzenlose Fülle gegenwärtig, dann kann es weder eine Grenze noch eine Begrenzung, Abgrenzung oder was auch immer in dieser Art geben, was eigenständig von sich behaupten könnte zu sein und was gleichzeitig nicht sie selbst, also die Fülle wäre. Genau als dieses Dilemma – und das mit all seinen Schattierungen – spielt sich das ab, was wir unser »normales« Leben nennen.

Wir wollen ein »Etwas« sein und es auch bleiben. Gleichzeitig aber wollen wir Ewigkeit erfahren. Beides und zwar gleichzeitig. Darauf kommt es uns an. Geht das? Es geht. Und wie bitte? Nun, das geht dann, wenn wir aus der Unmittelbarkeit des Erlebten in den Modus der Vorstellung wechseln. In der Praxis spielt sich das so ab, dass wir uns beide, also uns selbst wie auch die grenzenlose Fülle vorstellen. Einfach, oder? Nein, es ist nicht so einfach, wie es klingt, denn beide Vorstellungen bedürfen der Mühe. Vieler Mühen. Diese Arbeit ist ein wichtiger Teil des Wirbelsturms, und er kann in manchen Fällen gewaltig und gewalttätig werden. Er besteht aus religiösen und politischen Vorstellungen, die nicht nur eine Person, sondern am liebsten alle beglücken möchte, denn die mangelnde Einsicht in die Unbegrenztheit des Soseins zeigt sich dadurch, dass wir sofort einen Wunsch nach Dauer und Raum verspüren, der mit entsprechenden Wesen und Ideen gefüllt werden muss, die diesem Anspruch genügen können. Das ist die Geburtsstunde der Gottes-Vorstellungen oder ähnlicher allgemein-gültiger Ideen. Das bedeutet wiederum, dass wir durch bestimmte...