MEG - Höllenschlund - Roman

von: Steve Alten

Heyne, 2018

ISBN: 9783641230005

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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MEG - Höllenschlund - Roman


 

DER DRUCK DER TIEFE

Marianengraben
12 Grad nörd­licher Breite
144 Grad öst­licher Länge
22. März 2001

Barry Leace, Tiefseepilot der US-Navy außer Dienst, wischte sich den Schweiß von den Handflächen, während er den Tiefenmesser der Proteus beobachtete. 10 582 Meter. Mehr als zehn Kilometer Ozean über dem Kopf, und draußen ein Druck von 1100 Bar.

Hör bloß auf, daran zu denken …

Leace ließ den Blick durch die enge Kabine des Vier-Mann-Tauchbootes schweifen. Reihen von Computermonitoren, elektronische Geräte und ein verwirrender Kabeldschungel füllten die druckgeschützte Hülle. Der wasserdichte Sarg bot kaum genug Platz für seine Mannschaft.

Unter dem Steuerpult starrten Teamchef Ellis Richards und seine Assistentin Linda Heron durch winzige Fenster im Boden des Bugs.

»Siehst du die Tiere mit der pelzigen grünen Haut?«, fragte Linda. »Das sind Pompejiwürmer, die in Temperaturen zwischen 20 und 80 Grad Celsius überleben können. Die Hydrothermalquellen liefern Schwefel, von dem Bakterien leben, und die werden von Röhrenwürmern verdaut …«

»Linda …«

»… die wiederum als Nahrungsquelle für eine ganze Reihe seltsam aussehender Lebewesen dienen.«

»Linda, Schluss mit der verdammten Biologiestunde«, sagte Richards.

»Tut mir leid.« Verlegen wandte sich die Heine-Geologin wieder ihrem Fenster zu. Sie legte die Hände an die Augen, um das störende Licht abzuschirmen.

Khali Habash, das vierte Besatzungsmitglied, sah von seiner Kontrolltafel auf Linda hinab und grinste vor sich hin. Das Mädchen redete gern, besonders wenn es nervös war; eine Eigenschaft, die der vermeint­liche Araber nie auszunutzen vergaß.

Habashs wirk­licher Name war Arie Levy. Er war als Jude in Syrien geboren und aufgewachsen. Vor fast zehn Jahren war Arie vom israelischen Geheimdienst Mossad rekrutiert worden und hatte seither ein Doppelleben geführt. Die halbe Zeit verbrachte er in Israel bei seiner Frau und seinen drei Kindern, sonst reiste er in der arabischen Welt und in Russland umher, wobei er sich als Plasmaphysiker ausgab. Es hatte vier Jahre harter Arbeit bedurft, um sich in Benedict Singers Organisation einzuschleichen, aber schließlich hatte es geklappt. Und nun war er zehn Kilometer unter dem Wasserspiegel des Pazifiks, um den Geheimnissen nachzuspüren, die das Schicksal der Menschheit für immer verändern konnten.

Levy sah auf die Außentemperaturanzeige. »He, Linda, kannst du dir vorstellen, dass das Wasser 78 Grad hat?«

Die junge Frau blickte auf. »Unglaublich, nicht? Wir nennen das hydrothermale Rauchfahnen. Das heißt, mineralhaltiges Wasser, das aus den Black Smokers austritt, hat eine Temperatur von 700 Grad. Beim Aufstieg erwärmt es eine Säule aus eiskaltem Meerwasser, bis deren Auftrieb ungefähr 360 Meter über dem Grund des Grabens eine Ruhelage erreicht. Meeresströmungen breiten die Fahne waagrecht aus. Eine schwebende Rußschicht aus Mineralien bildet eine isolierende Decke, die die tropische Wasserschicht über dem Grund der Schlucht schützt.«

»Und diese Schicht kühlt nie ab?«

»Nie. Die Hydrothermalquellen werden als ›chronisch‹ bezeichnet. Sie sind schon seit der Kreidezeit aktiv.«

Ellis Richards sah auf seine Uhr. Als Teamchef des Projekts machte er sich ständig Sorgen, hinter den Zeitplan zurückzufallen. »Mensch, jetzt sind wir schon drei Stunden hier, und es sieht aus, als wären wir kaum vorwärtsgekommen. Linda, liegt das an mir, oder hat der Pilot keine Ahnung, was er eigentlich tut?«

Barry Leace ignorierte die Frotzelei. Er sah auf sein Sonargerät und fluchte leise vor sich hin. Sie hatten sich zu weit von der Benthos entfernt, die ihrem Auftraggeber GTI – Geo-Tech Industries – als mobiles Tiefseelabor und Tauchbootstation diente. Das Milliarden Dollar teure Mutterschiff glich einer überkuppelten Sporthalle mit einem flachen Unterbauch, von dem drei gewaltige, als Stoßdämpfer dienende Beine herabhingen. Knapp über dem unruhigen Meeresboden schwebend, erinnerte die über 4000 Quadratmeter große Titanstruktur, die dem Tauchboot in nörd­licher Richtung durch das feindlichste Milieu der Erde folgte, Leace an ein monströses Kriegsschiff.

Barry Leace hatte während seiner Zeit bei der Navy auf drei verschiedenen U-Booten gedient, weshalb er schon seit Langem daran gewöhnt war, in klaustrophobisch engen Räumen unter den Wellen zu leben. Nicht jeder war zum U-Boot-Mann geeignet. Man musste in perfektem mentalem und psychischem Zustand sein, musste die volle Leistung erbringen im steten Bewusstsein, dass es nur eines einzigen Missgeschicks bedurfte, um in der Finsternis zu ertrinken, während man Hunderte von Faden unter dem Meeresspiegel in einem Stahlschiff eingeschlossen war.

Leace besaß diese Kraft, diese mentale Stärke. In seinen 26 Dienstjahren hatte er das immer wieder unter Beweis gestellt. Deshalb war er auch so überrascht, wie leicht seine Psyche im Marianengraben zu erschüttern war. Sein in Tausenden von U-Boot-Stunden erworbenes Selbstvertrauen hatte sich plötzlich in Luft aufgelöst, als die Proteus ihr Dock an Bord der Benthos verlassen hatte.

Es lag allerdings nicht an der Tiefe, dass er so nervös war. Vier Jahre zuvor war durch mensch­liche Schuld ein 18 Meter langes Exemplar des prähistorischen Hais Carcharodon megalodon, eines Vorläufers des Weißen Hais, mit verheerenden Folgen aus eben diesem Graben an die Oberfläche gelangt. Zwar hatte man den kolosshaften Albino am Ende vernichtet und sein überlebendes Junges gefangen, doch waren mindestens ein Dutzend Menschen von seinen zwei Meter breiten Kiefern zermalmt worden. Wo ein solches Wesen gelebt hatte, musste es weitere geben. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und technischen Innovationen, die Geo-Tech vorgenommen hatte, war der Tauchbootpilot ein Nervenbündel.

Leace zog den Gashebel zurück, um den Hauptantrieb zu verlangsamen. Er hatte keinerlei Bedürfnis, sich zu weit vom Mutterschiff zu entfernen.

»Was ist denn jetzt wieder, Kapitän?« wollte Richards wissen. »Warum werden wir langsamer?«

»Die Temperatur steigt wieder an. Wir nähern uns offenbar einer weiteren Reihe von Hydrothermalquellen, und ich will auf keinen Fall mit einem der Black Smoker kollidieren.«

Richards kniff wütend die Augen zusammen. »Verdammt nochmal …«

Leace drückte sein Gesicht ans Fenster, um der Tirade zu entgehen.

Die Scheinwerfer des Tauchboots erleuchteten einen versteinerten Wald aus Schwefel- und Mineralienablagerungen. Die mächtigen Säulen erhoben sich mehr als zehn Meter über den Meeresboden. Dunkle, wogende Wolken extrem heißen, mineralreichen Wassers schossen aus den Mündern der bizarren Schlote.

Levy sah, wie Ellis Richards sich drohend auf das Steuerpult des Piloten zubewegte. »Kapitän, jetzt wollen wir mal was klarstellen. Ich bin für diese Unternehmung verantwortlich, nicht Sie. Meine Anweisungen lauten, täglich mindestens 30 Kilometer abzusuchen, und das schaffen wir in diesem Schneckentempo noch nicht mal annähernd.«

»Immer mit der Ruhe, Mr. Richards. Ich will mich nicht zu weit von der Benthos entfernen, zumindest nicht, bis ich ein Gefühl für das Boot habe.«

»Ein Gefühl für … Ich dachte, Sie sind ein erfahrener Pilot?«

»Ganz recht«, sagte Leace, »und deshalb habe ich die Geschwindigkeit gedrosselt.«

Linda sah von ihrem Fenster auf. »Wie weit sind wir denn eigentlich von der Benthos entfernt, Kapitän?«

»Knapp über sechs Kilometer.«

»Sechs Kilometer, mehr nicht? Benedict Singer wird ausrasten.« Richards sah aus, als stünde er kurz vor einem Schlaganfall. »Hören Sie mal, Kapitän, Anfang nächster Woche werden da oben die Prometheus und die Epimetheus erwartet. Keines der beiden Boote kann mit der Arbeit beginnen, bevor wir unsere nicht erledigt haben.«

»Das weiß ich.«

»Gut so. GTI zahlt Ihnen eine Wahnsinnssumme, um die Proteus zu steuern. Wir können einfach nicht immer auf die Benthos warten, wenn wir unterwegs sind. Sonst brauchen wir mindestens 30 Tage mehr als vorgesehen, und das ist absolut unannehmbar.«

»Das gilt auch fürs Sterben, Mr. Richards. Mein Job ist es, uns in diesem höllischen Abgrund am Leben zu erhalten, ohne irgendwelche Risiken einzugehen, nur damit Sie Ihren Bonus kriegen, weil wir den Terminplan schlagen.«

Der Teamchef starrte ihn an. »Sie haben Angst, Kapitän, stimmt’s?«

»Ellis …«

»Doch, Linda, ich liege da bestimmt nicht falsch.«

Levy beobachtete, wie die Gemüter sich erhitzten. In den wenigen Wochen, die er nun in der Tiefe lebte, hatte der Mossad-Agent feststellen können, dass Ellis Richards ein halsstarriger Mann war, der lieber zu Einschüchterungstaktiken griff als zuzugeben, dass er unrecht haben könnte. Obwohl die Menschheit mehr über weit entfernte Galaxien wusste als über den Marianengraben, benahm Richards sich wie ein Experte, der auf wundersame Weise über alles Bescheid wusste, von der unbekannten geologischen Struktur der Tiefe bis hin zu den dort vorkommenden mysteriösen Lebewesen.

In Arie Levys Augen machte Richards’ wichtigtuerische Pose ihn zu einem gefähr­lichen Mann.

Kapitän Leace erwiderte Richards’...