Make Love. Das Männerbuch

von: Marc Rackelmann

kein & aber, 2017

ISBN: 9783036993744 , 336 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 19,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Make Love. Das Männerbuch


 

NOCH EIN SEXRATGEBER – ECHT JETZT?

Auf verschiedene Weisen beschäftige ich mich schon fast mein ganzes Leben mit dem Thema Sexualität: als sexuell tätiges männliches Wesen – erst mit mir selbst, später mit anderen –, in meinem Studium, dann in der Beratungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen und heute als Psycho-, Paar- und Sexualtherapeut.

Lange fragte ich mich, wieso das, was ich in der Sexualität erlebte, oft so anders war als das, was mir in Büchern, Zeitschriften, Bildern und Filmen präsentiert wurde. Ich erlebte Sex als manchmal wunderbarer, manchmal schwieriger, auf jeden Fall vielschichtiger als das, was ich darüber zu lesen bekam. Die vielen gut gemeinten Ratschläge in den Ratgebern halfen mir meist nicht weiter. Ich zog daraus den Schluss, dass mit mir etwas nicht stimmte. Zu meiner Erleichterung lernte ich durch die Arbeit mit vielen Menschen im Laufe der Jahrzehnte, dass ich mit dieser Ansicht nicht alleine war. Ja, mehr noch – niemand, den ich kennenlernte, fand sich und seine Sexualität in dem vorherrschenden Bild wieder. Bei praktisch allen gab es den einen oder anderen schwierigen Aspekt. Mir wurde klar: Diese Aspekte gehören offenbar dazu.

Heute weiß ich: Wir bekommen sehr vereinfachte und geschönte Vorstellungen davon vermittelt, wie »richtiger Sex« aussieht. Und wir versuchen, zumindest in jüngeren Jahren, diesen Bildern zu entsprechen. Viele dieser Bilder sind jedoch nicht nur unrealistisch, sie sind verrückt: »Ein richtiger Mann kann und will eigentlich immer«, »Frauen stöhnen vor Lust, wenn man sie an den richtigen Stellen stimuliert« und »Wenn man sich liebt, ist Sex kein Problem«.

Diese falschen Annahmen können einen immensen Leistungsdruck erzeugen und uns den Spaß am Sex komplett verderben. Wenn wir mit unseren Erwartungen und unserem Stress alleine bleiben, kann Sex – auch mit Partner – zu einer ganz schön einsamen und frustrierenden Angelegenheit werden.

Ratgeber à la: »Wie Sie garantiert jeder Frau den Orgasmus ihres Lebens verschaffen!« oder: »Nie wieder schlechter Sex!« füllen ganze Bücherregale und erzeugen die Vorstellung: Guter Sex ist nur eine Frage der richtigen Technik. Sexrubriken sind ein unverzichtbarer Bestandteil in Frauen- wie Männerzeitschriften. Die dort gegebenen Tipps lauten meist (leicht verkürzt): Der Mann solle seiner Frau doch mal Blumen mitbringen und ihr Komplimente machen. Frauen wird empfohlen, ab und zu etwas Erotisches anzuziehen und sich nicht so darüber aufzuregen, wenn er mal wieder Zahnpasta im Waschbecken hinterlassen hat. Man solle sich Zeit zum Sex nehmen, den G-Punkt stimulieren, gelegentlich miteinander reden, ab und an etwas Neues ausprobieren, auch im Bett mal miteinander lachen und überhaupt sich einfach mal locker machen.

Sollten Sie in einer Beziehung leben – und der meiste Sex findet in Beziehungen statt –, haben Sie vermutlich festgestellt, dass es in Ihrer Beziehung sexuelle Flauten gab oder gibt, auch wenn Sie im Blumenladen Stammkunde sind und zu Hause ein Schrank voller Reizwäsche steht. Manchmal können diese Phasen Jahre dauern. Auch das ist normal.

Alle Paare kommen irgendwann in eine sexuelle Krise – und oft auch wieder heraus. Alle Männer bekommen es früher oder später mit der einen oder anderen sexuellen Schwierigkeit zu tun, egal ob es sich dabei um vorzeitigen Samenerguss, Erektionsprobleme oder Lustlosigkeit handelt. Unsere Sexualität wandelt sich unser ganzes Leben hindurch und wir müssen damit Schritt halten. Manchmal stolpern wir dabei.

Es ist normal, dass nicht alles reibungslos verläuft.

Es ist normal, dass es nicht normal ist.

Wenn wir also nicht mehr versuchen, »normalen Sex« haben zu wollen (und normal zu sein), können wir uns den wichtigeren Fragen zuwenden: Wie sieht meine eigene, individuelle Sexualität aus? Wie reagiert mein Körper und auf was? Was sind meine eigenen Rhythmen und was ist mein eigenes Tempo? Wie nah und intim darf eine sexuelle Begegnung für mich sein? Kann ich meine sexuelle Reaktionsweise beeinflussen? Wie kann ich meine Erlebnisfähigkeit vertiefen? Wie kann ich meinen Beziehungssex vor dem langsamen Ableben bewahren? Und: Was zeichnet einen guten Liebhaber aus – langer Penis, Stehvermögen und technisches Know-how?

Sex ist bei uns Menschen mehr als ein »natürlicher Trieb«, er ist auch mehr als zwei Orgasmen. Wir drücken uns über unsere Sexualität als Menschen aus und treten mit ihr auf unsere eigene Art und Weise in Beziehung. Wir können mit unserer Sexualität jemanden lieben oder verachten. Wir können uns Bestätigung oder Entspannung holen. Wir können Matratzensport betreiben oder unsere Körper können im Bett miteinander verschmelzen. Wir können uns beim Sex anöden oder in ekstatische Zustände geraten. Wir können dabei die schönsten und die schrecklichsten Erfahrungen machen.

Wir werden unsere Sexualität nur dann verstehen, wenn wir sehen, wie verwoben sie mit dem Rest unseres Lebens ist. Unser Penis ist ohne uns nicht lebensfähig. Er ist mit uns verbunden und zeigt, was in uns vor sich geht. Sein Träger ist ein Mann mit seinem Körper, seinen Erfahrungen, seiner Art zu fühlen, seinen Überzeugungen, seinen Ängsten, seinen Vorlieben, seiner Art in Beziehung zu treten.

Im ersten Teil des Buches werden wir sehen, wie unsere Sexualität in unserem Körper verankert ist. Ich möchte Ihnen zeigen, wie genau Ihre Sexualität mit Ihrer Art zu fühlen, Ihrem Körper und Ihrer persönlichen Geschichte zusammenhängt, und ich werde Ihnen konkrete Möglichkeiten nennen, wie Sie auf Ihre Sexualität Einfluss nehmen können. Da sich Ihre Sexualität nicht von Ihnen trennen lässt, kann es sein, dass Sie auf diesem Wege noch andere Aspekte von sich selbst erweitern: die Art, wie Sie Ihr persönliches Mannsein mit Leben füllen, wie Sie mit sich selbst und Ihrem Körper umgehen, und die Art, wie Sie mit anderen in Beziehung treten.

Ich werde Ihnen einige Männer und Paare vorstellen, die meine Praxis wegen weit verbreiteter sexueller Schwierigkeiten aufgesucht haben. Sie können so ganz konkret nachvollziehen, wie die Sexualität von den verschiedenen Ebenen unseres Seins beeinflusst wird und welchen Weg diese Ratsuchenden aus ihren Schwierigkeiten gefunden haben.

Alle Darstellungen basieren auf realen Fällen aus meiner Praxis. Um die Anonymität zu wahren, habe ich manche Teile verändert oder mehrere ähnliche Fälle miteinander vermischt.

Im zweiten Teil des Buches wird es darum gehen, welche Mechanismen auf unsere Sexualität in einer Paarbeziehung einwirken und wie Sie damit umgehen können.

Ist Sex an sich schon komplex, wird es hier noch einmal ein gutes Stück komplizierter. Sex in Beziehung ist Sex für Fortgeschrittene.

Die Liebe, Liebesbeziehungen und Sexualität faszinieren mich schon mein ganzes Leben.

Schon immer wollte ich verstehen, wie das alles funktioniert und miteinander zusammenhängt. Auf meinem Weg bin ich einigen Ansätzen und Ideen begegnet, die mir bei der Klärung dieser Fragen sehr weiterhalfen.

Eine große Entdeckung waren für mich die Ansätze des Arztes, Naturforschers und Urvaters der Körperpsychotherapie WILHELM REICH. Reich, ein Schüler SIGMUND FREUDS, hatte ein umfassendes Modell für das Zusammenspiel von Körper, Emotionen und Sexualität entwickelt. Er konnte erklären, auf welchem Wege sich gemachte Erfahrungen in unserem Körper und unserer Seele gleichermaßen niederschlugen. Seine Entdeckungen führten über viele Jahrzehnte wissenschaftlich zwar eher ein Nischendasein. Dennoch hatten seine Arbeiten einen großen Einfluss auf das Feld der Psychotherapie. In seiner Nachfolge gründeten sich eine Vielzahl von körperpsychotherapeutischen Schulen – als bekannteste die Bioenergetik ALEXANDER LOWENS –, die seine Ideen mit Erfolg für die therapeutische Arbeit nutzten. Heute kommt keine psychosomatische Klinik mehr ohne körperpsychotherapeutische Angebote aus. Neuere Forschungsergebnisse auf den Gebieten der Neurologie, der Embodiment(=Verkörperungs)-Forschung, der Entwicklungspsychologie, der Säuglingsforschung, der Traumatherapie und natürlich der Sexualtherapie bestätigten Reichs Verständnis der Zusammenhänge von Körper, Seele und Sexualität in vielen Punkten und erweiterten sie um neue Aspekte.

Ich konnte als Klient in meiner Therapie am eigenen Leib erleben, wie sich mein Selbstgefühl, meine Sexualität und meine Fähigkeit, in Beziehung zu sein, positiv veränderten, als ich immer mehr meinen eigenen Körper zu bewohnen begann, anstatt ihn lediglich als Tragegestell für meinen Kopf zu nutzen. In meiner Praxis als Körperpsychotherapeut kann ich diese Veränderungen immer wieder auch bei meinen Klientinnen und Klienten beobachten.

In diesem Buch wird gelegentlich von der Sexualtherapie Sexocorporel die Rede sein, in der ich mich seit einigen Jahren fortbilde. Im Sexocorporel wird, angelehnt an Reichs Entdeckungen, auf physiologisch erklärbare Weise der Zusammenhang von Muskelspannung, Erregungsaufbau und Emotionen zur Behandlung von Sexualstörungen genutzt. In den Fallgeschichten werden Sie viele Vorgehensweisen dieses Ansatzes erkennen, doch in meine Arbeit fließen noch andere Elemente mit ein, sodass mein Vorgehen nicht immer typisch für diese Methode sein mag.

Mein Verständnis der sexuellen Dynamik in Paarbeziehungen ist maßgeblich von den Ansätzen DAVID SCHNARCHS geprägt, dem wohl einflussreichsten Paar- und Sexualtherapeuten unserer Zeit. Schnarch erforscht, welche...