Briefe an einen Blinden - Kriminalroman

von: Colin Cotterill

Manhattan, 2011

ISBN: 9783641057695 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Briefe an einen Blinden - Kriminalroman


 

"13 DAS NIXEN-RODEO (S. 133-134)

Da der Pfad zum Fluss hinunter für den Jeep zu schmal gewesen war, hatte Civilai zähneknirschend in einem Zitronengrashain geparkt, und nun machten sich die drei Männer auf den Weg hinab zum Ufer. Es war ein kleiner Gewaltmarsch, und unterwegs stachen sie gleich in mehrere Nester heißhungriger Insekten. Einmal scheuchten sie eine Schar schwarzbehaubter Flussschwalben auf. »Das sind sida-Vögel«, sagte Keuk. »Die ziehen mit den Delfinen.

Die pa kha müssen ganz in der Nähe sein.« Schließlich kamen sie ans Ende des Pfades und starrten auf den breiten, zäh dahinströmenden Fluss. Für den alten Arzt hatte der Anblick etwas seltsam Befreiendes. Er schien ihn aus einem anderen Leben zu kennen. Dies war eine der wenigen unerschlossenen Stellen entlang des Mekong. Siri fühlte sich leicht benommen, stoned: wie nach ein paar tiefen Zügen an einem Joint. »Hm«, machte Civilai. Er saß auf einem flachen Felsen und betrachtete die Hornissen, die über dem silbergrauen Wasser schwebten. »Wir sind also hierhergekommen, um den Flussdelfinen einen kleinen Besuch abzustatten.« »Ja.« »Und das soll dir helfen, das Rätsel um den Tod des jungen Mannes zu lösen?«

»Nein. Ja. Ich habe keinen Schimmer. Frag mich nicht. Ich hatte einen Traum.« »Na prima. Wenn du schon keine Ahnung hast, wie sich dein Vaterland vor dem Untergang bewahren lässt, kannst du ja wenigstens die Ehre eines tollpatschigen Fischerjungen retten.« Siri sah Civilai verdutzt an. »Das war aber nicht nett.« »Ich weiß.« Seufzend richtete er den Blick gen Himmel. »Aber … dieses ganze Theater raubt mir noch den letzten Nerv. Ach, Siri.«

Da plötzlich traf Siri die Erkenntnis. Sie stürzte förmlich auf ihn ein, wie dicke, ledergebundene Folianten aus einem Regal. Er sah seinem Freund an, dass er noch verzweifelter war, als Siri es sich jemals hätte träumen lassen. Die Welt, die er mit aufgebaut hatte, wurde – wie der Palast – von Plünderern in ihre Einzelteile zerlegt, und er konnte nichts dagegen unternehmen. Siri wurde klar, dass diese kleine Spritztour für Civilai eher deprimierend als erfreulich war. Er setzte sich neben Civilai. »Er tut mir leid, Bruder«, sagte er. »Das hast du nun davon.« Civilai blickte nicht auf. Mit feuchten Augen starrte er auf seine Hände.

Er hatte noch nie so alt ausgesehen. »Herrschaften!« Keuk stand unter einem mit haarigen Misteln bewachsenen Baum und zeigte auf den Fluss, seine Augen groß wie indische Rotis. Der Rücken eines riesigen, grau-grün glänzenden Tieres war am anderen Ufer aufgetaucht und kam nun geradewegs auf die beiden alten Männer zu. Kurz bevor er sein Ziel erreicht hatte, hob der Delfin den Kopf aus dem Wasser und verzog das Maul zu einem breiten Lächeln.

Er reckte den Schnabel und spuckte eine Wasserfontäne, die Civilai mitten auf der Brust traf. Das Politbüromitglied sah erst das Tier, dann Siri verwundert an und brach in schallendes Gelächter aus. Siri lachte mit. Der pa kha schien zu spüren, dass er ein dankbares Publikum hatte, und schlug fröhlich eine Reihe von Purzelbäumen. Siri legte seinem Freund den Arm um die Schultern und genoss die Vorstellung. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Keuk und trat aus dem Schatten seines Baumes. »Jungejunge. Das ist vielleicht ’n Ding.«"