Die Legenden von Midkemia 3 - Der Dieb von Krondor

von: Raymond Feist, Steve Stirling

Blanvalet, 2016

ISBN: 9783641185701

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Die Legenden von Midkemia 3 - Der Dieb von Krondor


 

1


Flucht


Männer kämpften fluchend miteinander.

Jimmy die Hand glitt wie ein Aal zwischen den Männern auf dem dunklen Kai hindurch. Stahl glitzerte im Licht von Fackeln und Laternen und schimmerte in rötlichen Bögen, als Reiter die geschickt ausweichenden Spötter angriffen, die sich gewaltig anstrengten, ihre Gegner von ihrem eigentlichen Ziel abzulenken. Sie brauchten nur noch Sekunden, damit Prinz Arutha und Prinzessin Anita fliehen konnten, und der Kampf hatte die wilde Gewalttätigkeit der Verzweiflung angenommen. Zorn- und Schmerzensschreie gellten durch die Nacht, begleitet von dem eisernen Hämmern beschlagener Hufe, die Funken aufblitzen ließen, wenn sie aufs Pflaster krachten, und dem Klirren von Stahl auf Stahl.

Gauner und Schläger von der Straße kämpften gegen ausgebildete Soldaten, aber die Pferde der Soldaten rutschten auf den glatten Planken und Steinen des Hafenviertels aus, und das flackernde Licht war sogar noch trügerischer als der Boden. Messer wurden nach oben gestoßen und Pferde scheuten, wenn Hände bestiefelte Füße packten und die Bewaffneten von Bas-Tyra aus dem Sattel zerrten. Der Eisen- und Salzgeruch von Blut setzte sich sogar gegen den Müllgestank des Hafens durch, und ein Pferd wieherte jämmerlich, als es mit durchschnittenen Sehnen zusammenbrach. Das Bein des Reiters hatte sich im Steigbügel verfangen und wurde unter dem Tier eingeklemmt, und der Mann schrie ebenfalls, während das Pferd um sich trat und dann plötzlich still wurde, als zerlumpte Gestalten sich um es drängten.

Jimmy wich einem zuschlagenden Schwert aus, entging geschickt den wirbelnden Hufen eines Streitrosses, das versuchte, besseren Halt zu finden, brachte einen Soldaten zum Stolpern, der vom Pferd gestiegen war und gegen drei Spötter kämpfte, und eilte dann leichtfüßig den Kai entlang.

Am Ende des Kais warf er sich auf die rauen Planken und spähte zu dem Ruderboot, das gerade abgelegt hatte. »Lebt wohl!«, rief er Prinzessin Anita zu.

Sie wandte sich seiner Stimme zu; ihr hübsches Gesicht war im Vormorgenlicht kaum mehr als ein heller Fleck. Aber er wusste, dass ihre meergrünen Augen groß vor Erstaunen sein würden.

Ich bin froh, dass ich mich verabschieden konnte, dachte er, und ein seltsames Gefühl machte sich in seiner Brust breit. Das war eine gewisse Gefahr für Leib und Leben wert.

Er grinste ihr zu, aber es war ein nervöses Grinsen; der Kampf mit Jocko Radburns Männern war noch heftiger geworden, und sein Rücken war im Augenblick ungeschützt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die Spötter davonmachten; Kämpfe, bei denen man endlos standhielt, waren nicht ihr Stil.

Eine andere, größere Gestalt erhob sich im Ruderboot. »Hier«, rief Prinz Arutha. »Benutz das, um gesund zu bleiben!«

Ein Rapier in einer Scheide flog auf Jimmy zu. Er riss es an sich und rollte herum, gerade noch rechtzeitig, um einem Tritt von einem von Radburns Schergen auszuweichen. Jimmy rollte sich weiter, und der Mann verfolgte ihn und riss den Fuß in dem schweren Stiefel abermals hoch, um ihn zu zerquetschen wie ein Insekt. Jimmy ließ das Rapier los, griff nach oben, packte Zehen und Ferse mit gekreuzten Händen und drehte ruckartig, was den Schurken brüllen und sich mitdrehen ließ, damit sein Fuß nicht gebrochen wurde. Er geriet aus dem Gleichgewicht, und ein Tritt Jimmys, der mit boshafter Präzision ins Ziel ging, ließ den Mann schreiend ins Wasser fallen. Seine Rüstung zog ihn unter Wasser, noch bevor die Echos seines Schreis verklungen waren.

»Zeit zu verschwinden!«, keuchte Jimmy.

Er kam auf die Beine, riss das Rapier aus der Scheide und sah sich nach einem würdigen Opfer um – am besten einem, das eine Fluchtroute blockierte. Hinter sich konnte er das rhythmische Klatschen der Ruder hören, das einen seltsamen Gegensatz zum Chaos des Kampfes bildete, das ihn umgab. Lebt wohl, dachte er wehmütig. Und dann, als ein Haufen Tuchballen in Flammen aufging: Ups!

Auf den Schiffen rings um sie her flackerten Laternen auf, und die Wachen aus den Lagerhäusern kamen angerannt. Von überall her riefen Männer: »Was ist los?« Und: »Wer da?« Und immer lauter wurde der Schrei: »Feuer! Feuer!«

Ein Mann im Schwarzgold von Bas-Tyra entriss einer der Wachen eine Laterne und marschierte zum Ende des Kais, und nun wusste Jimmy, wen er angreifen musste. Der Soldat grinste, als er den abgerissenen Jungen vor sich stehen sah.

»Hast du mir eine neue Waffe gebracht?«, fragte er. »Sieht ziemlich gut aus. Zu gut für Abschaum, der sich noch nicht mal zu rasieren braucht. Danke.«

Er führte einen Rückhandschlag gegen Jimmy, eine träge Bewegung mit mehr Kraft als Stil. Zweifellos hatte er sich vorgestellt, dem jungen Dieb das Rapier leicht entreißen und ihn dann mit dem Schwert in Stücke schneiden zu können.

Die gut gearbeitete Klinge erwachte in Jimmys Hand zum Leben; sie war schwer, aber vollendet im Gleichgewicht, und beweglich wie eine zustoßende Schlange. Sie zuckte beinahe von selbst nach oben und wehrte den ungeschickten Schlag des Soldaten mit einem lang gezogenen Srinnng von Metall auf Metall ab. Der Soldat grunzte verblüfft, als der Schwung seines eigenen Schlags ihn herumwirbelte; dann schrie er vor Schmerz auf, als Jimmy zur Seite tänzelte und zustach.

Es war eher Glück als Geschicklichkeit, dass der scharfe Stahl den Mann am Handgelenk erwischte, durch das Leder seines Handschuhs drang und einen flachen Schnitt in der Haut darunter verursachte. Mit einem Keuchen schüttelte der Mann das Gelenk, trat einen Schritt zurück, und selbst im Dunkeln war seine ungläubige Miene gut zu erkennen.

Jimmy lachte erfreut und überrascht. Offenbar konnten nicht alle so gut mit einer Waffe umgehen wie Arutha. Die Stunden, in denen er mit dem Prinzen geübt hatte, während sie darauf warteten, dass Trevor Hulls Schmuggler ein Schiff fanden, auf dem Arutha und dieser alte Pirat Amos Trask fliehen konnten, hatten sich bezahlt gemacht. Jimmy hatte das Gefühl, als bewege sich der Soldat nur halb so schnell wie der Prinz. Er lachte erneut.

Dieses Lachen trieb den Soldaten zum Handeln, und er schlug wieder und wieder mit aller Kraft nach dem jungen Dieb.

Wie ein Bauer beim Dreschen, dachte Jimmy. Er hatte wenig Erfahrung mit ländlichen Angelegenheiten, verachtete Landeier aber zutiefst.

Die Schläge waren kraftvoll und wurden schnell geführt, aber jeder war eine Kopie des vorherigen. Instinkt ließ Jimmy das Rapier heben, und die Schläge glitten an der Stahlklinge und dem kunstvollen Handschutz ab. Der junge Dieb musste sein rechtes Handgelenk mehr als einmal mit der linken Hand stützen, denn sonst hätte die schiere Wucht ihm die Waffe aus der Hand geschlagen. Aber er wusste, er würde jeden Augenblick Gelegenheit erhalten, nach links auszuweichen, und dann würde er fest zustechen und den Soldaten am Bauch erwischen.

Arutha hatte immer geraten, sich die Zeit zu nehmen, einen Gegner einzuschätzen. Einen Augenblick später stieß Jimmy mit dem Rücken gegen einen Ballen; als er sich umblickte, bemerkte er, dass er in einer kurzen Sackgasse mit aufgestapelter Fracht in der Falle saß. Der Mann vor ihm grinste und ließ das Schwert vorzucken. »Du sitzt in der Falle, wie es sich für eine kleine Ratte aus der Kloake gehört.«

Der Mann hob sein Schwert, und Jimmy bereitete sich darauf vor, seinen Angriff auszuführen, überzeugt, im nächsten Moment mit dem Soldaten fertig zu sein. Dann stolperten plötzlich zwei kämpfende Männer vorbei. Jeder hatte das Gelenk der Messerhand des anderen gepackt, und sie drehten sich stampfend und fluchend im Kreis wie bei einem schnellen, tödlichen Bauerntanz. Sie stolperten gegen den Soldaten aus Bas-Tyra, und dieser taumelte mit einem überraschten Aufschrei vorwärts. Jimmy zögerte nicht. Er verspürte ein gewisses Bedauern, dass er den kunstvollen Stoß, den er geplant hatte, nicht ausführen konnte, aber er durfte sich eine so gute Gelegenheit nicht entgehen lassen. Also stach er zu und spürte, wie die Nadelspitze des Rapiers durch Muskeln drang und an Knochen entlangknirschte, und wie dieses seltsame Gefühl durch den Stahl und den Griff hindurchfloss und in seinen Schultern und der Lendengegend ein Kribbeln verursachte.

Der Mann ließ seine Laterne mit einem Schrei fallen, der zu einem lauten Fluch wurde, als das Glas zerbrach. Das verspritzte Öl ging sofort in Flammen auf und trieb den verwundeten Soldaten zurück. Er ließ die Waffe fallen und fing hektisch an, Flammen auf seiner Kleidung auszuschlagen, während Jimmy wie ein Affe über die Ballen kletterte.

»Ratten sollte man eben lieber nicht in die Enge treiben!«, rief er über die Schulter, bevor er an der Rückseite des Ballenstapels herunterkletterte und weiterrannte.

Er hörte, wie jemand das Signal zum Rückzug pfiff, und sah die Spötter in Gassen und Seitenstraßen verschwinden wie Nebelschwaden vor dem Wind. Jimmy beeilte sich, das Gleiche zu tun, aber bevor er sich in eine Gasse duckte, drehte er sich noch einmal rum und blickte auf die Bucht hinaus. Trevor Hull und seine Schmuggler sprangen ins Wasser; einige schwammen unter die Docks, während andere sich auf Ruderboote zubewegten, die bereits warteten. Hinter ihnen sah Jimmy den Umriss der Seetaube, die auf die durchbrochene Blockadelinie zufuhr. Die Segel flatterten und reflektierten das Licht wie Geisterwolken im Dunkeln; er hob den Arm und winkte. Er wusste, dass es sinnlos war, denn man hatte...