Margarethe und der Mönch - Rechtsgeschichte in Geschichten

von: Michael Stolleis

Verlag C.H.Beck, 2016

ISBN: 9783406682100 , 353 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 18,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Margarethe und der Mönch - Rechtsgeschichte in Geschichten


 

2. Löwe und Fuchs


Eine politische Maxime im Frühabsolutismus


I.


Von dem spartanischen Feldherrn Lysander († 395 v. Chr.) berichtet Plutarch, er habe sein politisches Handeln mit der Maxime gerechtfertigt: «Wo das Löwenfell nicht zureicht, muß man den Fuchspelz anziehen.»[1] Lysander steht bei Plutarch neben dem römischen Diktator Sulla, und beide werden vorgestellt als löwenähnliche politische Kraftnaturen, die aber durchaus in der Lage gewesen seien, auch eine gewisse «füchsische» Verschlagenheit zur Erreichung ihrer Ziele einzusetzen. Beide handeln nach dem Grundsatz, dass dem Starken die List und dem Listigen die Stärke jeweils nach Bedarf zu Hilfe kommen müsse.

Die zugrunde liegende ethisch-politische Problematik, ob die Politik den Geboten der Gerechtigkeit und der Religion unterworfen sei, ob sich das «Gerechte» als das dem Starken Zuträgliche definieren lasse,[2] ob und inwieweit Täuschung und Betrug in der Politik um eines gerechten Zieles willen erlaubt seien, gewann mit dem Zerfall der mittelalterlichen Glaubens- und Ordnungseinheit neue Virulenz. Die beiden großen Epochen des europäischen «Individualismus», Antike und Renaissance, traten nicht nur ästhetisch, sondern auch in Fragen der politischen Ethik in neue und vertiefte Beziehungen. Die Herausbildung unabhängiger «Staaten» aus der Einheit der «Respublica christiana»,[3] die zur Souveränität führenden und aus älteren kanonistischen Vorlagen entwickelten Formeln vom «Rex, qui superiorem non recognoscit in terris»[4] kündeten sowohl die Personifizierung des Staates als eines eigenständigen handlungsfähigen «Individuums» als auch den Aufstieg des einzelnen «Politikers» als geschichtsmächtige Figur an. Mit der Entwicklung des neuzeitlichen europäischen Staatensystems ging daher auch ein zunehmender politischer Subjektivismus und Voluntarismus einher. Indem die politische Aktion das normative Gefüge der abendländischen Ordnung sprengte, gewannen auch der heroische Einzelne und seine Willensentschlüsse an Gewicht. Seine persönlichen Eigenschaften (Kraft, Mut, Friedensliebe, Rücksichtslosigkeit, Verschlagenheit usw.) konnten Krieg oder Frieden bedeuten und rückten deshalb ins Zentrum der politischen Ethik. Je weniger dem überlieferten christlichen Normkodex Entscheidungsregeln des politischen Handelns zu entnehmen waren, desto wichtiger wurde offenbar die Steuerung des einzelnen «Souveräns» durch die Fürstenspiegel[5] und neue übergreifende Ordnungssysteme. Wichtigstes neues System ist das Völkerrecht,[6] das bezeichnenderweise dort konzipiert wurde, wo eine junge Republik mit überseeischen «internationalen» Interessen die Bindung an das alte Reich abgeschüttelt hatte (1581).

Die wissenschaftliche Lehre von der Politik und das moderne Völkerrecht haben so nicht ohne Grund deutliche Zäsuren ihrer Entwicklungsgeschichte dort, wo – in dramatischer Verkürzung – die für die Neuzeit entscheidend gewordenen Ereignisse sich häuften.[7] Die Entdeckung der Neuen Welt (1492), der Beginn der Kämpfe um Italien (1494), die Reformation (1517), der Wandel der Heeres- und Belagerungstechnik, der Aufstieg der neuen Handelshäuser in der Politik[8] und der Beginn des Frühabsolutismus drängen sich auf wenige Jahre zusammen. Auch räumlich ist der Schauplatz eng. Vor allem in Italien entwickelten sich früher als anderswo Elemente einer Staatstheorie auf empirischer Basis, setzte sich ein von der aristotelischen Politik und der Scholastik abgelöster Politikbegriff und eine am schöpferischen Individuum orientierte Entwicklungsidee der Geschichte durch. Dabei leistete die verwandelnde Aneignung der antiken Quellen unschätzbare Hilfe.

II.


Im politischen Denken dieser Zeit nimmt seit jeher unbestritten Niccolò Machiavelli (1469–1527) eine Schlüsselstellung ein. Er ist der «Wegebahner des modernen kontinentalen Machtstaates» (G. Ritter). Er gilt als der eigentliche Begründer der Lehre von den Staatsinteressen, d.h. der Autonomie politischer Entscheidungen gegenüber den Geboten der Moral, der Religion und des Rechts. «Das grundsätzliche Neue in Machiavellis politischer Theorie bestand darin», so fasst Wolfgang Preiser im Wörterbuch des Völkerrechts zusammen, «dass er lehrte, im Falle einer anders nicht zu lösenden Kollision zwischen den Geboten der Moral oder des Rechts auf der einen Seite, elementaren Interessen der Machtbewahrung im Innern oder der Erhaltung des Staates gegenüber äußeren Gegnern andererseits dürfe, ja müsse der leitende Staatsmann Moral und Recht hinter der – bald danach von seinem Landsmann Francesco Guicciardini erstmals so genannten – «Staatsräson» zurücktreten lassen; keine moralische oder vertragliche Bindung dürfe eine Rolle spielen, wenn die politische Notwendigkeit verlange, dass man sich von jenen Bindungen freimache. Erst auf dieser Grundlage konnte sich der Staat der Neuzeit zu jenem «selbstzweckhaften» extrem souveränen Gebilde entwickeln, dessen internationale Bindungen entweder überhaupt nicht als rechtliche aufgefaßt wurden oder doch nach den Grundsätzen der Clausula rebus sic stantibus im konkreten Fall leicht abzustreifen waren.»[9]

Es ist deshalb nicht überraschend, dass die eingangs genannte Maxime des Lysander bei Machiavelli wieder auftaucht und von ihm zu einer besonders knappen und plastischen Metapher des «modernen Fürsten» verdichtet wird. In dem für die Nachwelt so anstößigen Kapitel 18 des Principe (1513)[10] sagt er zur Frage der Bindung des Fürsten an das gegebene Wort, ein Fürst müsse «verstehen gleicherweise die Rolle des Tieres und des Menschen durchzuführen. Diese Lehre haben die Schriftsteller des Altertums den Fürsten verhüllt gegeben, wenn sie berichten, daß Achilles und viele andere Fürsten der Vorzeit dem Zentaur Chiron zur Erziehung anvertraut wurden. Daß ein Fürst einen Lehrmeister bekommt, der halb Mensch halb Tier ist, soll nichts anderes heißen, als daß er verstehen muß, die Natur beider zu vereinigen, und das eine allein keinen Bestand hat. Da also ein Fürst imstande sein muß, die Natur eines Tieres anzunehmen, so muß er sich den Fuchs und den Löwen aussuchen; denn der Löwe ist wehrlos gegen Schlingen, der Fuchs gegen Wölfe. Man muß also Fuchs sein, um die Schlingen zu kennen und Löwe, um die Wölfe zu schrecken. Diejenigen, die sich einfach nach dem Löwen richten, verstehen ihre Sache schlecht.»[11] Wer immer sein Wort halten wollte, käme angesichts der Schlechtigkeit der Menschen zu Schaden; deshalb: «wer am besten verstanden hat den Fuchs zu spielen (usare la golpe) ist am besten weggekommen. Man muß nur verstehen, der Fuchsnatur ein gutes Aussehen zu geben (bene colorire) und ein Meister sein in Heuchelei und Verstellung.»[12] Kurz darauf bezieht sich Machiavelli bei Bemerkungen zu Kaiser Septimius Severus (146–211 n. Chr.) nochmals hierauf: «Da er als neu zur Herrschaft gelangter Fürst Großes verrichtete, will ich kurz darlegen, wie ausgezeichnet er es verstand, den Fuchs und den Löwen zu spielen, die der Fürst, wie oben gesagt, beide zum Vorbild nehmen muß.»[13]

Die in die Metapher von Löwe und Fuchs gekleidete Maxime, der politisch Handelnde müsse Kraft und Intelligenz, Stärke und List, Mut und Kalkül verbinden, ist nicht nur von der unübersehbaren Machiavelli-Literatur der Neuzeit,[14] sondern auch von den Zeitgenossen als besonders aufschlussreich bzw. decouvrierend für Machiavellis Denken empfunden worden. Indem man seine Lehre in gröbster Vereinfachung auf diese Sätze konzentrierte, war es einfach, ihn zum zweckorientierten amoralischen Pragmatiker der Macht zu stempeln. Die lange Kette der Machiavelli-Deutungen in politischer Absicht nimmt hier ihren Anfang.

Vor der Frage nach Reaktionen auf jene Maxime wäre zu klären, aus welcher Quelle sie Machiavelli geschöpft hat. Sowohl die Verwendung einer sprichwörtlichen Redensart[15] als auch die direkte Übernahme aus Plutarch sind möglich. Sichere Aussagen sind hierbei schwer zu gewinnen, doch gibt es Anhaltspunkte: Während seiner zweiten diplomatischen Mission zu Cesare Borgia nach Imola, die sich von Oktober 1502 bis Januar 1503 hinzog, beschaffte sich Machiavelli die griechisch-römischen Biographien Plutarchs in einer lateinischen Übersetzung aus Venedig.[16] Cesare Borgia, das Urbild des zugleich mutigen und verschlagenen Herrschers («ich wüßte für einen neuen Fürsten keine besseren Lehren als das Beispiel seiner Taten»[17]), beeindruckte Machiavelli tief und zwar gerade durch die Skrupellosigkeit seines Wechsels zwischen Stärke und List.[18] Die heimtückische Ermordung seiner Gegner im Winter 1502/03 – hierüber hat Machiavelli im so genannten Valentino berichtet[19] – zeigten, wozu dieser Mann auf dem Gipfel seiner Macht fähig war. Machiavelli kommentierte die Ereignisse mit dem Hinweis, Cesare Borgia habe angesichts des damaligen...