Mörderische Idylle - Ein Bäckström-Krimi

von: Leif GW Persson

btb, 2015

ISBN: 9783641164270 , 544 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Mörderische Idylle - Ein Bäckström-Krimi


 

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Die Zeugin, die das Opfer gefunden und die Polizei alarmiert hatte, wurde gegen zehn Uhr an diesem Vormittag erstmals von zwei Kriminalinspektoren von der Bezirkspolizei vernommen. Die Vernehmung wurde auf Band aufgezeichnet, und die Ausschriften wurden noch am selben Tag angefertigt. Sie füllten an die dreißig Seiten: Margareta Eriksson, fünfundfünfzig, Witwe, keine Kinder, wohnhaft im Obergeschoss des Hauses, wo auch das Opfer und dessen Mutter wohnten.

Als letzter Punkt der Vernehmung war notiert worden, dass die Zeugin über das sogenannte Schweigegebot, Kapitel 23 der Vorschriften, § 10, informiert worden sei. Nichts jedoch war darüber vermerkt, was sie zu dem Hinweis gesagt hatte, dass niemand erfahren dürfe – »widrigenfalls sie sich strafbar mache« –, was bei dieser Vernehmung zur Sprache gekommen war. An sich vielleicht nicht so unverständlich. Solche Äußerungen wurden niemals notiert, und außerdem hatte die Zeugin genauso reagiert wie die meisten bei dieser Mitteilung. Sie hatte nämlich gesagt, sie sei wirklich keine, die mit solchem Klatsch hausieren gehe.

Das Haus, das aus Keller, vier Wohngeschossen und Dachboden bestand, gehörte einer Wohnungsgenossenschaft, deren Vorsitzende die Zeugin war. Zwei Wohnungen befanden sich je in den drei unteren Geschossen, und eine doppelt so große war oben, eben die der Zeugin. Also insgesamt sieben Wohnungsbesitzer oder -besitzerinnen, alle mittleren Alters oder älter, Alleinstehende und Paare mit erwachsenen und anderweitig wohnenden Kindern. Die Mehrzahl war zum Zeitpunkt des Mordes im Urlaub gewesen.

Die Mordwohnung gehörte der Mutter des Opfers, und der Zeugin zufolge wohnte das Opfer dort zeitweise. In letzter Zeit hatte die Zeugin sie ziemlich oft gesehen, da die Mutter selbst Urlaub hatte und die meiste Zeit in ihrem Sommerhaus auf Sirkön, zwanzig Kilometer südlich von Växjö, verbrachte.

Die Wohnung, vier Zimmer und Küche, lag im Erdgeschoss, auf der Seite Richtung Straße und Haustür, aber da sich das Haus auf Souterrainniveau befand, lag die Wohnung auf der Hofseite eine Treppe hoch. Der Hof grenzte übrigens direkt an eine kleine, von Villen und einzelnen Mietshäusern umgebene Grünanlage.

Die Zeugin war Hundebesitzerin, und ihrer Aussage bei der Vernehmung nach galt Hunden seit vielen Jahren schon ihr großes Interesse. In den letzten Jahren hatte sie zwei gehabt, einen Labrador und einen Spaniel, die sie jeden Tag viermal Gassi führte. Schon gegen sieben Uhr morgens machte sie meistens mit ihnen einen längeren Spaziergang von mindestens einer Stunde.

»Ich bin ein Morgenmensch, und das frühe Aufstehen hat mir noch nie Probleme bereitet. Ich hasse es, morgens lange im Bett herumzulungern.«

Wenn sie von diesem Spaziergang zurückkehrten, frühstückte die Zeugin und las die Morgenzeitung, während für die Hunde die »Morgenfütterung« auf dem Plan stand. Gegen zwölf Uhr war es wieder so weit. Noch ein Spaziergang von ungefähr einer Stunde mit den Hunden, und nach ihrer Rückkehr aß sie dann zu Mittag, während ihre beiden vierbeinigen Freunde mit einem »getrockneten Schweineohr oder einem anderen Leckerbissen zum Kauen« belohnt wurden.

Gegen fünf Uhr wurde es wieder Zeit, aber dann fiel der Spaziergang kürzer aus. Ungefähr eine halbe Stunde, denn sie wollte in aller Ruhe zu Abend essen und »Peppe und Pigge ihr Abendbrot verpassen«, ehe die Fernsehnachrichten begannen. Danach stand noch das abschließende »Abendpipi« zwischen zehn und elf Uhr abends an, abhängig davon, was das Fernsehen zu bieten hatte.

Feste Gewohnheiten, die im Wesentlichen wohl von ihren Hunden bestimmt wurden. In den freien Stunden dazwischen erledigte sie allerlei Besorgungen in der Stadt, traf sich mit Bekannten – »vor allem Freundinnen und anderen Hundemenschen« – oder arbeitete in ihrem Büro in der Wohnung.

Ihr zehn Jahre zuvor verschiedener Mann war Buchprüfer mit eigener Firma gewesen, in der sie als Teilzeitbeschäftigte mitgearbeitet hatte. Seit seinem Tod betreute sie noch immer einige alte Mandanten. Ihre wichtigste Einkunftsquelle war jedoch die ihr von ihrem Mann hinterlassene Pension.

»Ragnar war da immer sehr umsichtig, und deshalb leide ich wirklich keine Not.«

Die Vernehmung wurde in ihrer eigenen Wohnung durchgeführt. Die Polizisten, die sie vernahmen, hatten Augen zu sehen, und es gab keinen Grund, ihr in diesem Punkt zu misstrauen.

Alles wies darauf hin, dass Ragnar für seine hinterlassene Gattin gut gesorgt hatte.

Gegen elf Uhr am Vorabend, im Zusammenhang mit dem sogenannten Abendpipi, hatte sie das Opfer aus dem Haus kommen und zu Fuß in Richtung Innenstadt gehen sehen.

»Sah aus, als ob sie auf ein Fest wollte, aber ich finde, das tun im Moment die meisten jungen Leute, egal zu welcher Tageszeit.«

Sie selbst hatte dreißig Meter entfernt auf der Straße gestanden, und die beiden hatten keinen Gruß ausgetauscht, dennoch war sie überzeugt, das Opfer erkannt zu haben.

»Sicher hat sie mich nicht gesehen, sie hatte es wohl eilig. Sonst hätte sie mir bestimmt guten Abend gesagt.«

Fünf Minuten später war die Zeugin in ihre Wohnung zurückgekehrt, und nach ihren üblichen Gewohnheiten war sie zu Bett gegangen und ziemlich bald eingeschlafen, und das war so ungefähr alles, woran sie sich vom vergangenen Abend erinnerte.

Dieser unwahrscheinliche Sommer hatte bereits im Mai eingesetzt und schien kein Ende nehmen zu wollen. Tag für Tag nicht der geringste Windhauch, die Sonne heiß wie ein Gartengrill, der Himmel von blassem Blau, schonungslos ohne Wolken und Schatten, immer neue Hitzerekorde, und am nächsten Morgen war sie mit ihren Hunden schon gegen halb sieben losgezogen.

Das war zwar früher als sonst gewesen, aber im Hinblick auf den »vollkommen unwahrscheinlichen Sommer … denn ich bin wohl nicht die Einzige, die das so sieht … wollte ich dem Schlimmsten entgehen.« Und das wussten wirklich alle verantwortungsbewussten Hundemenschen, dass Anstrengung bei zu großer Hitze für Hunde gar nicht gut war.

Sie war denselben Weg gegangen wie immer. Zuerst, sowie sie das Haus verlassen hatte, nach links, die Straße entlang, vorbei an den Nachbarhäusern und dann auf den Fußweg rechts von dem größeren Waldgebiet, das sich nur einige hundert Meter hinter ihrem Haus hinzog. Eine halbe Stunde später, und nun war es bereits unerträglich heiß, obwohl es doch weiterhin erst kurz nach sieben war, beschloss sie, wieder nach Hause zu gehen. Peppe und Pigge hechelten beide besorgniserregend, und auch ihr Frauchen sehnte sich nach dem Schatten in der Wohnung und einem kalten Getränk.

Ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu dem sie beschlossen hatte kehrtzumachen, hatte der Himmel sich plötzlich bewölkt und war schwarz geworden, der Wind hatte an Sträuchern und Bäumen gerissen und der Donner in nächster Nähe zu grollen begonnen. Als die ersten schweren Tropfen fielen, war sie nur noch einige hundert Meter von zu Hause fort, und sie rannte los, obwohl das eigentlich unnötig war, denn auf die ersten Tropfen folgte der pure Wolkenbruch, und als sie die Grünfläche hinter dem Hof hinter sich gebracht hatte, war sie bereits triefnass. Und nun sah sie auch, dass das Schlafzimmerfenster der Nachbarin offen stand und im Wind hin und her schlug und dass die Vorhänge im Zimmer bereits durchweicht waren.

Sowie sie das Haus betreten hatte – »und da war es wohl ungefähr halb acht, wenn ich das richtig berechnet habe« –, klingelte sie deshalb mehrmals an der Tür der Nachbarin, es machte jedoch niemand auf.

»Ich dachte, sicher hat sie das Fenster offen gelassen, als sie heute Nacht spät nach Hause gekommen ist. Wozu auch immer das gut sein soll … draußen ist es doch viel heißer als drinnen. Als wir uns gestern zum Abendpipi aufgemacht haben, war das Fenster jedenfalls geschlossen, das habe ich gesehen.«

Da niemand aufgemacht hatte, war sie mit dem Fahrstuhl zu ihrer eigenen Wohnung hochgefahren. Hatte den Hunden die ärgste Nässe abgewischt und selber trockene Kleidung angezogen. Außerdem war sie schlechter Laune gewesen.

»Das ist nun einmal eine Wohnungsgenossenschaft, und Wasserschäden sind kein Spaß. Außerdem haben wir noch das Einbruchsrisiko. Es sind zwar einige Meter bis zur Fensterbank, aber es vergeht doch kaum ein Tag, ohne dass man in der Zeitung von solchen Fassadenkletterern liest, die alles stehlen, was die Leute nur haben, und selbst wenn sie richtig mit Drogen voll sind, können sie sich doch immer noch von irgendeinem Kumpel eine Leiter leihen.«

Aber was sollte sie nun machen? Bei der nächsten Begegnung der Tochter ins Gewissen reden? Die Mutter anrufen und klatschen? Vierzehn Tage zuvor hatte es einen ähnlichen Wolkenbruch gegeben, aber schon nach zehn Minuten hatte der ebenso plötzlich aufgehört, wie er angefangen hatte, die Sonne hatte abermals von einem blauen und wolkenlosen Himmel gestrahlt, und eigentlich war der Guss für Rasen und andere Gewächse ja nur gut gewesen. Aber diesmal war das nicht so, und nach einer Viertelstunde, während sie die Fressnäpfe der Hunde und ihre eigene Kaffeemaschine füllte und es draußen noch immer wie aus Kannen goss, hatte sie ihren Entschluss gefasst.

»Wie schon gesagt, bin ich doch die Vorsitzende unserer Genossenschaft, und wir hier im Haus helfen uns immer gegenseitig, alles im Auge zu behalten. Vor allem jetzt im Sommer, wo viele im Urlaub sind. Und deshalb habe ich Ersatzschüssel für alle Wohnungen im Haus.«

Sie hatte also den Schlüssel geholt, den die Mutter des Opfers ihr anvertraut hatte, und war mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren, hatte noch einige Male an...