Hedwig Courths-Mahler - Folge 045 - Die Liebe höret nimmer auf

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783732502875 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 045 - Die Liebe höret nimmer auf


 

Gnädiges Fräulein möchten die Güte haben, zur gnädigen Frau herüberzukommen.“

Flavia Janotta erhob sich sofort und sah den Diener mit großen Augen an.

„Sie ist erwacht?“

„Ja, gnädiges Fräulein.“

„Und wie geht es ihr?“

Der Diener zeigte ein besorgtes Gesicht.

„Wenn ich mir eine Meinung erlauben darf, ich glaube, es geht recht schlecht. Die Schwester und der Arzt sehen sehr besorgt aus.“

Damit öffnete der Diener die Tür und ließ Flavia an sich vorübergehen. Er geleitete sie einen langen Gang hinunter bis zum Ende des schlossähnlichen Gebäudes. Die Fenster auf diesem Gang gaben den Blick auf eine breite Säulenhalle frei, von der man die Aussicht auf ein herrliches Gebirgspanorama hatte.

Haus Rittberg, die schöne, schlossähnliche Villa des Großindustriellen Herbert Rittberg, lag in halber Höhe eines bewaldeten Berges, an dessen Fuß sich ein zauberhafter See ausbreitete. Noch war freilich alles kahl, aber Frühlingsahnen lag doch in der Luft.

Flavia Janotta ließ ihren Blick, wie so oft schon, über das herrliche Bild schweifen.

Weiter oben auf dem Berg lagen, im Wald versteckt, die Wirtschaftsgebäude, das Forsthaus und ganz oben die Sennhütten. Das alles gehörte zu dem großen Grundbesitz des vor Jahresfrist verstorbenen Herbert Rittberg, eines jener Industriefürsten, deren Reichtum fast märchenhaft war.

Und all seine Reichtümer hatte er sich selbst erworben, kraft seiner Tüchtigkeit, seiner Intelligenz, seines Fleißes und seiner unerhörten Energie. Und doch war dieser Mann, den so viele beneideten, nicht glücklich gewesen.

Flavia Janotta war seine einzige Verwandte außer seiner Frau und seinem Sohn. Sie war die Tochter einer seiner Kusinen, mit der er sich immer sehr gut verstanden hatte und die die Gattin eines bekannten Violinvirtuosen gewesen war. Er hatte bei einem Unglücksfall den rechten Arm gebrochen, und zwar so unglücklich, dass er für immer gelähmt blieb. Er war unfähig gewesen, seine Kunst weiter auszuüben und war ein verbitterter Mensch geworden, der frühzeitig starb. Seine Witwe und seine Tochter blieben in sehr bescheidenen Verhältnissen zurück, und als bald darauf auch Flavias Mutter starb, hatte sie Aufnahme im Haus ihres Onkels gefunden, der sich ihrer liebevoll annahm. Flavia hätte sich hier sehr wohl fühlen können, alles atmete Schönheit, Reichtum und Behagen, aber sie hatte mit ihrem feinen Empfinden nur zu bald herausgefühlt, dass im Haus ihres Onkels das Glück fehlte. Der Onkel und seine Gattin lebten aneinander vorbei. Wenn auch einer dem andern nichts zuleide tat, so tat man sich auch nichts zuliebe. In formeller Höflichkeit verkehrten sie miteinander, und zwischen diesem seltsamen Ehepaar stand der einzige Sohn, Hans Rittberg, der betrübt, aber völlig hilflos, das seltsame Missverhältnis seiner Eltern zueinander mit ansehen musste.

Als Flavia Janotta ein Jahr im Haus weilte, starb ihr Onkel. Seit seinem Tod war nun abermals ein Jahr vergangen, und nun lag schon seit Wochen seine Gattin auf dem Krankenlager. Erst glaubte man nur an eine leichte Erkältung, aber es war, als lebe in Eleonore Rittberg seit dem Tod ihres Gatten kein Lebenswille mehr. Sie dämmerte dahin, und plötzlich verschlimmerte sich ihr Zustand bedenklich. Die herbeigerufenen Ärzte machten besorgte Gesichter, und der Hausarzt hielt es für nötig, Hans Rittberg herbeizurufen. Das war an diesem Morgen geschehen. Man hatte ihn telefonisch benachrichtigt, und er hatte selbstverständlich sein sofortiges Kommen zugesagt.

Hans Rittberg schien des Vaters geistige Kräfte und Anlagen geerbt zu haben. Fleißig, energisch und zielbewusst war er in des Vaters Fußtapfen getreten und hatte nach seinem Tode die Oberleitung über die Werke übernommen. Sie lagen in der Nähe von München. Im Winter bewohnte die Familie meist das schöne Wohnhaus in München, das von den Werken aus in einer halbstündigen Autofahrt zu erreichen war. Im Sommer nahm man Aufenthalt im Haus Rittberg in den Bergen.

Derzeit weilte Hans Rittberg in München. Seine Mutter aber war seit dem Tod ihres Gatten hier oben in den Bergen. Hier war er gestorben und hier, drüben im Park, stand das Mausoleum, in dem seinem Wunsch gemäß die Urne mit der Asche des Verstorbenen beigesetzt worden war.

Vor diesem Mausoleum hatte Eleonore Rittberg jeden Tag und bei jedem Wetter stundenlang gesessen und sich wohl die Erkältung zugezogen, die sie nun auf das Krankenlager geworfen hatte.

Flavia hatte die Tante liebevoll gepflegt und nichts davon hören wollen, dass Hans eine Krankenpflegerin sende: Er hatte aber darauf bestanden, denn, so sagte er, er wolle nicht, dass auch sie vor Überanstrengung noch krank werden solle.

Flavia hegte eine große Verehrung für ihre Tante, obwohl etwas in ihrem Wesen sie daran hinderte, sich ihr mit dem ganzen Liebesreichtum ihres verwaisten Herzens zu nähern. Von der stolzen Frau ging etwas aus, das alle Vertraulichkeit im Keim erstickte. Stolz und unnahbar war Frau Eleonore Rittberg gegen jedermann, Auch gegen den Gatten und den Sohn war sie nie anders gewesen. Fremd und kalt stand sie ihnen scheinbar gegenüber. Und doch hatte sie ihren Gatten namenlos geliebt. Es lag aber etwas wie ein Geheimnis zwischen ihnen, das eine innige Gemeinschaft unmöglich machte.

Herbert Rittberg hatte seine Frau nur aus Vernunftgründen geheiratet, weil ihr Vermögen zur Vergrößerung seines Unternehmens Wert für ihn hatte und sie in ihrer stolzen Schönheit eine würdige Repräsentantin für das Haus Rittberg war. Geliebt hatte er sie nie. Er hatte immer geglaubt, die Liebe werde nie in seinem Leben eine Rolle spielen, jedenfalls hatte er ihr keine Macht über sich einräumen wollen. Aber er hatte sich über sich selbst getäuscht – auch er hatte ihr nicht entrinnen können, der großen Liebe. Mit der ganzen Leidenschaft seines starken Naturells hatte er sich einige Jahre nach dem Eingehen seiner Ehe, die bisher kinderlos geblieben war, in eine junge Malerin verliebt. Sie hatte keine Ahnung, dass der Mann, der in ihr Dasein trat, verheiratet war, und er vermochte es ihr nicht zu sagen aus Angst, sie würde sich von ihm abwenden, wenn sie es erführe.

Die junge Malerin, eine allein stehende Waise, verlor ebenfalls ihr Herz an ihn, denn er war ein Mann mit bestrickenden Eigenschaften. Vertrauensvoll gab sie sich ihm zu eigen. Ein kurzes, heißes Glück stahl sich Herbert Rittberg in jenem Sommer, während seine Gattin keine Ahnung davon hatte. Sie besuchte damals ein Bad zur Kräftigung ihrer Gesundheit, und Herbert Rittberg folgte der jungen Künstlerin in ein Ostseebad, das sie aufgesucht hatte, um neue Motive zu suchen. Von hier aus schrieb er dann, als er immer mehr einsah, dass er ohne das geliebte Mädchen nicht mehr leben konnte, an seine Gattin und bat sie, ihn freizugeben, da er eine andere liebe. Zugleich gestand er Eva Werner – so hieß die junge Malerin – sein Gebundensein an eine ungeliebte Frau und dass er sie bereits gebeten habe, ihr Verhältnis zueinander zu lösen. Sie wurde bleich und sah ihn fassungslos an, aber sie vermochte nicht, ihn zu verdammen. So schrecklich ihre Lage war, erschien es ihr gleichwohl unmöglich, einer anderen Frau den Gatten zu stehlen. Nach Anhörung seines Geständnisses floh sie zunächst in die Einsamkeit, um sich zu fassen, und als sie ihn dann am nächsten Tag wiedersah, erschrak sie über sein Aussehen.

Stumm reichte er ihr den Antwortbrief seiner Gattin, der endlich nach der Qual tagelangen Wartens eingetroffen war.

Wie tief er seine stolze Frau verwundet hatte, ahnte er nicht, weil er nicht wusste, wie sehr sie ihn liebte. Sie schrieb ihm kalt und stolz, dass sie ihn freigeben würde, wenn – sie sich nicht Mutter fühlte. So aber sei sie nicht in der Lage, ihrem Kind den Vater zu nehmen, der sich um einer leichtsinnigen Künstlerin willen seiner Pflichten entziehen wolle.

Herbert Rittberg war so verzweifelt, dass Eva Werner ihn trösten musste. Sie bat ihn mit einem herzzerreißenden Blick, er möge sich keine Vorwürfe machen. Trotz allem danke sie ihm für seine Liebe, aber sie müssten sich nun beide trennen.

Er versuchte sie zu bestimmen, mit ihrer Entscheidung zu warten, bis er selbst noch einmal mit seiner Gattin gesprochen habe, aber sie lehnte ab. Am nächsten Morgen war sie abgereist, ohne Abschied von ihm zu nehmen. Nur einen Brief hatte sie ihm hinterlassen, in dem sie ihm mitteilte, sie scheide für immer aus seinem Leben. Er möge nicht nach ihr forschen, sie sei fest entschlossen, sich nicht finden zu lassen. Und sie versicherte ihn nochmals ihrer Verzeihung und wünschte ihm alles Gute. Dass sie nie einem anderen Mann angehören werde und ihre Treue ihm bis in den Tod gehöre, versprach sie ihm.

In seiner Verfassung war Herbert Rittberg nicht imstande, seine Gattin wiederzusehen. Er wusste nur, dass sie sich in ein Tiroler Bergdorf zurückgezogen hatte und dort die Geburt ihres Kindes erwarten wollte.

Als er nach Monaten die Nachricht erhielt, dass ihm ein Sohn geboren war, vermochte auch diese Nachricht nicht, ihn über Evas Verlust zu trösten. Er schrieb seiner Gattin, er sei momentan so sehr mit Arbeit überhäuft, dass er nicht kommen könne.

Es vergingen noch fast drei Monate, ohne dass er sein Kind gesehen hatte. Da erhielt er eines Tages wieder einen Brief. Er lag auf seinem Schreibtisch, ohne Poststempel. Ein Bote hatte ihn gebracht. Und dieser Brief trug Eva Werners Schriftzüge.

Bis ins Innerste erregt, öffnete er den Brief. Und als er ihn gelesen hatte, brach er, laut aufstöhnend, zusammen. Er erfuhr, dass Eva Werner schwer erkrankt sei und dass er diesen Brief nur...