Tiefer - Im Sog der Lust

Tiefer - Im Sog der Lust

von: Megan Hart

MIRA Taschenbuch, 2011

ISBN: 9783862780303 , 428 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Tiefer - Im Sog der Lust


 

1. KAPITEL


Jetzt

Das Meer war das gleiche geblieben. Sein Klang und Geruch hatten sich nicht verändert, genauso wenig wie die heranbrandenden und wieder ablaufenden Wellen. Vor zwanzig Jahren hatte Bess Walsh an diesem Strand gestanden und sich auf den Rest ihres Lebens gefreut, und jetzt …

Jetzt war sie nicht sicher, ob sie bereit war für das, was vor ihr lag.

Jetzt stand sie hier, der kalte Sand rieb an ihren nackten Zehen, und die salzige Luft spielte in ihrem Haar. Sie atmete tief ein. Dann sperrte sie die Nacht mit der Dunkelheit hinter ihren Lidern aus und verlor sich in der Vergangenheit, damit sie nicht über die Zukunft nachdenken musste.

Die Nachtluft im späten Mai war immer noch kühl, vor allem, wenn man so nah am Wasser stand und nur mit einem dünnen T-Shirt und einem Jeansrock bekleidet war. Ihre Brustwarzen drückten gegen den Stoff, und sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, um sich ein wenig zu wärmen. Es schien angemessen zu zittern, während sie sich an diesen so lange zurückliegenden Sommer erinnerte. Sich an ihn erinnerte. Zwanzig Jahre lang hatte sie versucht zu vergessen, doch nun war sie wieder hier, und das Vergessen fiel ihr schwerer als jemals zuvor.

Bess wandte ihren Kopf in den Wind, der ihr das Haar aus dem Gesicht blies. Sie öffnete den Mund, um ihn zu trinken, zu essen, als wäre er ein süßes Bonbon. Der Geruch füllte ihre Nase und bedeckte ihre Zunge. Er zog sie effektiver in die Vergangenheit zurück, als es eine einfache Erinnerung gekonnt hätte.

Wie albern. Sie war zu alt, um an Märchen zu glauben. Es gab keine Zeitreisen. Keine Möglichkeit zurückzukehren. Nicht einmal eine Möglichkeit zu bleiben, wo sie war. Ihre einzige Option, jedermanns einzige Option war es, immer weiterzugehen.

Mit diesem Gedanken ging sie vorwärts. Einen Schritt, dann noch einen. Ihre Füße versanken im Sand, und über die Schulter warf sie einen Blick zurück auf die Sicherheit ihrer Terrasse und der einzelnen Kerze, die dort brannte. Der Wind brachte die Flamme zum Flackern, und sie wartete darauf, dass sie ausging, aber in der Geborgenheit ihres Glasgefäßes blieb sie brennen.

Damals hatte das Haus hier ganz alleine gestanden. Nun wurde es von Nachbarn flankiert, die nah genug dran waren, um sie zu treffen, wenn man in die richtige Richtung spuckte, wie ihre Großmutter gesagt hätte. Vier Stockwerke Millionen Dollar teurer Architektur reckten sich drohend hinter ihrem Häuschen auf. Mit Seegras bewachsene Dünen, die vor zwanzig Jahren noch nicht da gewesen waren, erhoben sich zwischen Haus und Strand. Und auch wenn in einigen entfernten Fenstern Lichter leuchteten, lagen die meisten Häuser so früh in der Saison noch im Winterschlaf.

Das Wasser würde zu kalt zum Schwimmen sein. Weiße Haie könnten in ihm lauern. Die Unterströmung wäre stark. Bess ging trotzdem nah heran, gezogen von Erinnerungen und ihrer Sehnsucht.

Am Meer war sie sich ihres Körpers und seiner Zyklen immer bewusster gewesen. Mit seiner engen Verbindung zum Mond, schien der Wandel der Gezeiten so weiblich zu sein. Niemals schwamm sie im Meer, aber in seiner Nähe fühlte sie sich sinnlich und lebendig, wie eine Katze, die sich an einer wohlmeinenden Hand reiben wollte. Das warme Wasser auf den Bahamas, die kalten Wellen des Atlantiks bei Maine, der sich sanft kräuselnde Golf von Mexiko, das göttliche Blau des Pazifiks hatten sie gerufen, aber zu keinem von ihnen fühlte sie sich so stark hingezogen wie zu diesem kleinen Flecken Wasser und Sand.

Zwanzig Jahre später war die Anziehung stärker denn je.

Ihre Füße fanden den hart gepressten Sand, den die letzte Welle zurückgelassen hatte. Sie grub ihre Zehen in seine Kälte. Hier und da glitzerte eine weiße Schaumkrone auf, aber bisher erreichten sie Bess noch nicht. Sie machte einen schleppenden Schritt, ließ ihre Füße ihr den Weg zeigen, damit sie nicht unerwartet auf einen scharfen Stein oder eine Muschel treten würde. Ein weiterer Schritt nach vorne brachte sie auf noch feuchteren Sand. Beinahe matschig. Die rauschenden Wellen sprühten einen feinen Nebel in die Luft, und sie öffnete ihren Mund für ihn, wie sie es vorhin für den Geruch getan hatte.

Als das Wasser endlich ihre Füße berührte, war es nicht kalt. Die Wärme war schockierender, als die Kälte es gewesen wäre, und Bess schnappte nach Luft. Bevor sie einen weiteren Schritt machte, kam eine neue Welle. Wärme wirbelte um ihre Fußgelenke und spritzte an ihren nackten Waden hinauf. Das Wasser zog sich wieder zurück und ließ ihre Füße mit Sand bedeckt zurück. Sie ging weiter, ohne nachzudenken. Schritt für Schritt, bis das Wasser, so warm wie in der Badewanne, so warm wie ein Kuss, ihr bis zu den Oberschenkeln reichte. Es durchnässte den Saum ihres Rocks und spritzte auf ihr T-Shirt.

Lachend beugte Bess sich vor, um das Wasser über ihre Hände laufen zu lassen. Über ihre Handgelenke, ihre Ellenbogen. Es rollte sich unter ihrer Bewegung, entzog sich ihrem Griff. Sie kniete sich hin und ließ sich von den Wellen umspülen.

Sie berührten sie wie tausend Küsse auf einmal. Wie leckende Zungen. Sie spritzten höher, durchnässten ihre Unterwäsche. Bis zur Taille reichte ihr das Wasser, als sie sich hinsetzte. Und es berührte ihren Hals, als sie sich zurücklegte. Dann bedeckte es ihr Gesicht, und sie hielt den Atem an, wartete darauf, dass es sich zurückziehen würde.

Ihre Haare lösten sich aus dem Zopf, aber Bess machte sich keine Gedanken über den Verlust der Spange, die sie zusammengehalten hatte. Wie Algen wirbelte ihr Haar im Wasser herum, kitzelte ihre nackten Arme und bedeckte ihr Gesicht, nur um von der nächsten Welle wieder fortgespült zu werden. Salz und Sand bemalten ihre Lippen. Sie leckte darüber und öffnete sie, wie um den Kuss eines Liebhabers zu empfangen. Bess streckte die Arme aus, aber das Wasser wollte sich nicht aufhalten lassen. Salz brannte in ihren Augen, doch nicht vom Meer. Sondern von den Tränen, die ihr ungehemmt über die Wangen liefen. Sie schmeckten bitter und gar nicht wie die sandige Süße des Ozeans.

Bess öffnete sich dem Wasser und den Wellen. Öffnete sich der Vergangenheit. Jedes Mal, wenn eine neue Welle kam, hielt sie den Atem an und fragte sich, ob die nächste sie wohl überraschen und ihre Lungen mit Wasser füllen würde. Oder sie weiter unter Wasser zöge. Und sie fragte sich, was sie wohl tun würde, wenn das passierte. Ob es ihr etwas ausmachen würde. Ob sie kämpfen oder sich vom Meer davontragen lassen würde, ob sie aufgäbe und sich im Wasser verlieren würde, wie sie sich einst in ihm verloren hatte.

An genau diesem Strand hatten sie sich geliebt, und das Rauschen des Meeres hatte ihre Schreie übertönt. Er hatte seinen Mund und seine Hände eingesetzt, um sie zum Zittern zu bringen. Sie hatte seinen Schwanz in sich geschoben, um ihre Körper miteinander zu verankern, aber egal, wie oft sie miteinander schliefen, es hatte nicht funktioniert. Das Vergnügen hielt nicht ewig. Alles musste irgendwann enden.

Ihre eigenen Hände waren ein schwacher Ersatz, aber Bess benutzte sie trotzdem. Sand rieb an ihren Fingerspitzen, als sie mit ihren Händen unter ihr T-Shirt fuhr, um ihre Brüste zu umfassen. Sie erinnerte sich daran, wie sich sein Mund angefühlt hatte. Tiefer. Wie seine Finger zwischen ihren Schenkeln spielten. Sie öffnete die Beine und ließ sich vom Meer streicheln, wie er einst sie gestreichelt hatte. Ihre Hüften hoben sich, pressten gegen etwas, das den Druck nicht erwiderte. Das Wasser zog sich wirbelnd zurück und entblößte sie in der kühlen Nachtluft.

Mehr Wellen brandeten heran, um sie zu umarmen, während sie sich streichelte. Es war schon lange her, dass sie sich dieses Vergnügen das letzte Mal gegönnt hatte. Sie hatte sich so lange nicht mehr selber geliebt, dass ihre Hände sich wie die eines Fremden anfühlten.

Er war nicht ihr erster Liebhaber gewesen oder der erste Junge, der sie zum Orgasmus gebracht hatte. Er war nicht mal ihre erste große Liebe gewesen. Er war nur der Erste, der alleine mit einem einfachen Lächeln ihr Innerstes nach außen kehren konnte. Der Erste, der sie an sich zweifeln ließ. Er hatte sie tiefer gezogen als jeder zuvor, und doch war sie nicht ertrunken.

Die Affäre war kurz gewesen. Eine Seite im Buch ihres Lebens, nicht einmal ein ganzes Kapitel. Nur die Strophe eines Liedes. Sie hatte mehr Jahre ohne ihn als mit ihm verbracht. Doch auch das war egal.

Als Bess sich selbst berührte, war es sein Lächeln, das sie sich vorstellte. Seine Stimme, die ihren Namen murmelte. Seine Finger, die mit ihren verschlungen waren. Sein Körper. Seine Berührung. Sein Name.

„Nick.“ Das einzelne Wort glitt das erste Mal seit zwanzig Jahren von ihrer Zunge, freigesetzt vom Meer. Diesem Meer. Diesem Sand. Diesem Strand. Diesem Ort.

Nick.

Die Hand, die sich um ihren Knöchel schloss, war so warm wie das Wasser, und für einen Moment dachte Bess, dass sich ein Büschel Seegras um ihren Fuß geschlungen hätte. Einen Augenblick später berührte eine weitere Hand ihren anderen Fuß. Beide glitten an ihren Beinen entlang zu ihren Oberschenkeln. Das Gewicht und die Wärme eines Körpers, fest und nicht wie Wasser, bedeckte sie. Sie öffnete den Mund dem Meer, wie um einen Liebhaber zu empfangen, und wurde von einem echten Kuss begrüßt. Echte Lippen, echte Hände, eine echte Zunge suchte sich einen Weg in ihren Mund und umspielte ihre.

Sie hätte ob dieses Übergriffs schreien sollen. Ob dieses Angriffs eines völlig Fremden. Doch es war kein Fremder. Sie kannte die Berührungen besser als ihre eigenen. Das Gewicht seiner Hände. Die Form seines Schwanzes. Seinen Geschmack.

...