Herzschlag der Nacht - Roman

von: Lisa Kleypas

Heyne, 2013

ISBN: 9783641106638

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Herzschlag der Nacht - Roman


 

Kapitel 1

Hampshire, England, acht Monate später

Alles begann mit einem Brief.

Um genauer zu sein: mit der Erwähnung eines Hundes.

»Was war mit dem Hund?«, fragte Beatrix Hathaway. »Wessen Hund?«

Ihre Freundin Prudence, die schönste junge Dame in ganz Hampshire County, blickte von dem Brief ihres Verehrers Captain Christopher Phelan auf.

Da es wider die guten Sitten war, dass ein Gentleman und eine unverheiratete Dame miteinander korrespondierten, hatten die beiden ein Arrangement getroffen, sich Nachrichten über Phelans Schwägerin zukommen zu lassen.

Prudence bedachte Beatrix mit einem übertrieben beleidigten Blick. »Also wirklich, Bea, du sorgst dich mehr um einen Hund als um Captain Phelan?«

»Captain Phelan bedarf meiner Sorge nicht«, antwortete Beatrix ungerührt. »Um ihn sorgen sich bereits sämtliche heiratsfähige Damen in Hampshire. Überdies hat er beschlossen, in den Krieg zu ziehen, und ich bin gewiss, dass er es weidlich genießt, in seiner eleganten Uniform umherzustolzieren.«

»Sie ist überhaupt nicht elegant«, erwiderte Prudence finster. »Eher würde man sagen, dass die Uniformen seines neuen Regiments geradezu abscheulich aussehen, so sehr schlicht, dunkelgrün mit schwarzen Aufschlägen und ohne jedes Gold oder sonstige Zier. Und als ich fragte, warum sie so sind, sagte Captain Phelan, es sollte den Schützen helfen, sich versteckt zu halten. Das wiederum ergibt überhaupt keinen Sinn, denn jeder weiß, dass ein britischer Soldat viel zu mutig und stolz ist, um sich während der Schlacht zu verstecken. Aber Christopher, also Captain Phelan, sagte, es hätte etwas mit … oh, wie hieß noch dieses französische Wort?«

»Camouflage?«, fragte Beatrix interessiert.

»Ja, woher wusstest du das?«

»Man beschreibt damit, was viele Tiere tun, um sich unsichtbar zu machen. Chamäleons zum Beispiel. Oder Eulen mit ihrem gefleckten Gefieder, das genauso aussieht wie die Rinde der Bäume, in denen sie hocken. Auf die Weise …«

»Du liebe Güte, Beatrix! Nun halt mir bitte nicht schon wieder einen Vortrag über Tiere!«

»Ich höre auf, wenn du mir von dem Hund erzählst.«

Prudence reichte ihr den Brief. »Lies selbst.«

»Aber, Pru«, protestierte Beatrix, als Prudence ihr die kleinen Blätter in die Hand drückte. »Captain Phelan könnte etwas Privates geschrieben haben.«

»Wenn es doch nur so wäre. Nein, sein Brief ist furchtbar düster. Nichts als Schlachten und schlechte Neuigkeiten.«

Auch wenn Christopher Phelan der letzte Mann war, den Beatrix verteidigen wollte, konnte sie nicht umhin zu sagen: »Er kämpft auf der Krim, Pru. Es ist anzunehmen, dass sich inmitten des Kriegstreibens wenig Hübsches zu berichten findet.«

»Nun, mich kümmern fremde Länder nicht, und ich habe niemals etwas anderes vorgegeben.«

Beatrix schmunzelte verhalten. »Pru, bist du dir sicher, dass du die Frau eines Offiziers sein möchtest?«

»Ja, natürlich. Die meisten Offiziere ziehen gar nicht in den Krieg und beschränken sich darauf, elegant auszusehen und vornehm zu sein. Sie können sogar auf halben Sold gehen, was sie von einem Großteil ihrer Pflichten entbindet, sodass sie kaum noch Zeit bei ihrem Regiment verbringen müssen. Captain Phelan war es, bis er in den Auslandsdienst berufen wurde.« Prudence hob eine Schulter. »Nun, Kriege kommen wohl immer zur falschen Zeit. Dem Himmel sei Dank, dass Captain Phelan bald wieder nach Hampshire zurückkehrt.«

»Wird er? Und woher weißt du das?«

»Meine Eltern sagen, dass der Krieg noch vor Weihnachten zu Ende ist.«

»Davon hörte ich auch. Man fragt sich allerdings, ob wir die russische Streitmacht nicht sträflich unterschätzen oder unsere eigene überschätzen.«

»Wie unpatriotisch«, rief Prudence mit einem schelmischen Funkeln in den Augen aus.

»Ich würde indes auch nicht von Patriotismus sprechen, wenn unser Kriegsministerium in seinem Übereifer dreißigtausend Mann auf die Krim schickt, ohne zuvor hinreichend zu planen. Weder verfügen wir über angemessene Kenntnis der örtlichen Bedingungen, noch gibt es eine vernünftige Strategie, wie die Krim einzunehmen ist.«

»Wie kannst du davon wissen?«

»Aus der Times. Jeden Tag wird über den Krieg berichtet. Liest du denn keine Zeitung?«

»Nicht die Artikel über Politik. Meine Eltern sagen, es ziemt sich nicht für eine junge Dame, sich für derlei Angelegenheiten zu interessieren.«

»Meine Familie spricht bei jedem Abendessen über Politik, in Anwesenheit meiner Schwestern und mir.« Beatrix machte absichtlich eine kurze Pause, ehe sie mit einem Grinsen hinzufügte: »Und wir dürfen sogar Meinungen haben.«

Prudence riss die Augen weit auf. »Du liebe Güte! Na, ich sollte mich nicht wundern. Jeder weiß, dass deine Familie … anders ist.«

»Anders« war ein weit freundlicher Ausdruck als jene, mit denen die Hathaway-Familie gewöhnlich beschrieben wurde. Die Hathaways waren fünf Geschwister: auf Leo, den Ältesten, folgten Amelia, Winnifred, Poppy und Beatrix. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sich das Schicksal der Kinder auf verblüffende Weise gewandelt. Sie waren als Bürgerliche geboren, allerdings entfernt verwandt mit einem adligen Zweig der Familie, und infolge einer Reihe von unerwarteten Ereignissen hatte Leo einen Vicomte-Titel geerbt, auf den er und seine Schwestern nicht im Mindesten vorbereitet waren. Diese Erbschaft verschlug sie aus ihrem kleinen Dorf Primrose Place auf das Ramsay-Anwesen in der südlichen Grafschaft Hampshire.

In den vergangenen sechs Jahren lernten die Hathaways gerade genug, um sich in die gehobenen Kreise einzufügen. Doch gelang es bisher keinem von ihnen, wie der Adel zu denken, geschweige denn sich die Werte oder Manieren der Aristokratie anzueignen. Sie besaßen Vermögen, aber dies war nicht annähernd so wichtig wie Erziehung und Verbindungen. Und während eine andere Familie in vergleichbaren Umständen bestrebt wäre, ihren gesellschaftlichen Rang mittels Heirat zu verbessern, hatten sich die Hathaways, die bislang in den Ehestand getreten waren, jeweils für eine Liebesheirat entschieden.

Was Beatrix betraf, war fraglich, ob sie jemals heiraten würde. Man konnte sie bestenfalls als halb-zivilisiert bezeichnen, verbrachte sie doch den Großteil ihrer Zeit im Freien und streifte zu Pferd oder zu Fuß durch die Wälder, Marschen und Wiesen von Hampshire. Die Gesellschaft von Tieren war Beatrix allemal lieber als die von Menschen. Immerfort sammelte sie verletzte oder verwaiste Kreaturen auf und pflegte sie gesund oder zog sie groß. Diejenigen, die nicht allein in der Wildnis überleben könnten, behielt sie als Haustiere, und mit ihrer Hege beschäftigte Beatrix sich beinahe ausschließlich. So kam es, dass sich Beatrix in der Natur glücklich und erfüllt fühlte; wohingegen sie dem Leben in geschlossenen Räumen sehr wenig abgewinnen konnte.

In jüngster Zeit überkam Beatrix zusehends häufiger ein nagendes Gefühl der Unzufriedenheit, gleich einer unbenennbaren Sehnsucht. Das Problem war, dass Beatrix noch nie einem Mann begegnet war, der für sie in Betracht kam. Von den blassen, überheblichen jungen Herren, auf die sie in den Londoner Salons traf, fühlte sie sich eher abgestoßen, und auch wenn die robusteren Männer auf dem Lande schon eher ihren Vorstellungen entsprachen, fehlte ihnen schlicht das gewisse Etwas, nach dem Beatrix sich sehnte. Sie träumte von einem Mann, dessen Willenskraft ihrer eigenen ebenbürtig war, und sie wünschte sich, leidenschaftlich geliebt, herausgefordert und überwältigt zu werden.

Beatrix blickte auf den zusammengefalteten Brief in ihren Händen.

Nicht dass sie gegen Christopher Phelan eingenommen war; vielmehr schien er alles abzulehnen, was sie verkörperte. Gebildet und von privilegierter Geburt, wusste er sich mit einer Geschmeidigkeit in vornehmer Gesellschaft zu bewegen, die Beatrix vollkommen fremd war. Er war der zweite Sohn einer angesehenen hiesigen Familie, konnte einen Earl als Großvater mütterlicherseits vorweisen und väterlicherseits ein beträchtliches, durch Schifffahrt erworbenes Vermögen.

Die Phelans hatten keine Aussicht auf ein Titelerbe, aber immerhin würde John, der Älteste, nach dem Tod des Earls das Riverton-Anwesen in Warwickshire erben. John war ein ernster, nachdenklicher Mann und liebte seine Frau Audrey hingebungsvoll.

Der jüngere Bruder Christopher war von gänzlich anderem Charakter. Wie so oft bei zweiten Söhnen üblich, hatte Christopher sich mit zweiundzwanzig ein Offizierspatent gekauft. Zunächst diente er als Fahnenjunker der Kavallerie, was eine ideale Beschäftigung für solch einen formidablen jungen Burschen war. Seine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, bei Paraden und Übungen die Regimentsfahne zu schwingen. Auch bei den Damen in den Londoner Salons erfreute Christopher sich größter Beliebtheit; dort nämlich hielt er sich fortwährend auf – häufig ohne beurlaubt zu sein – und verbrachte seine Zeit tanzend, spielend, feine Kleider aussuchend oder skandalösen Liebesaffären frönend.

Beatrix hatte Christopher Phelan zweimal getroffen: das erste Mal bei einem Ball hier in Hampshire, wo sie zu dem Schluss kam, dass er der arroganteste Mann im ganzen County sein dürfte. Das zweite Mal begegnete sie ihm bei einem Picknick, auf dem sie ihre Meinung revidierte: Er war der arroganteste Mann auf der ganzen Welt.

»Dieses Hathaway-Mädchen ist ein eigenartiges Geschöpf«, hatte Beatrix ihn zu seinem Begleiter sagen gehört.

»Ich finde sie charmant und originell«, entgegnete sein Gefährte. »Und sie kann mit Pferden umgehen wie keine Frau sonst, die ich kenne.«

»Wen wundert’s? Sie passt...