Liebe verlernt man nicht - Roman

von: Lilli Beck

Aufbau Verlag, 2013

ISBN: 9783841205940 , 320 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Liebe verlernt man nicht - Roman


 

1


»Lieber geh ich Blut spenden!«, grummle ich ungehalten.

Säßen wir bei mir zu Hause, würde ich laut werden, um hemmungslos Dampf abzulassen. Aber hier, in der Konditorei »Windbeutel«, einem angestaubten Tagescafé aus den späten sechziger Jahren, könnte undamenhaftem Benehmen ein Rauswurf folgen. Wo sollte ich mich dann mit meinen Freundinnen zum samstäglichen Cappuccino-Plausch treffen? Zurzeit der einzige Lichtblick meines öden Singlelebens. Der einzige Tag, an dem ich gutgelaunt aufstehe. Der einzige Tag, an dem ich mich aufbrezle, mir die Haare wasche, Make-up auflege und, wie heute, sogar die Zehennägel rot lackiere.

»Verstehe ich sehr gut.« Biggi gibt mir die silberbeschriftete Einladungskarte aus weißem Hochglanzkarton zurück. »Eine Feier mit den falschen Gästen kann einem den ganzen Abend versauen. Vielleicht sogar die Nacht.«

Traudl, die bisher noch nichts gesagt hat, außer um bei der Kellnerin einen Milchkaffee und ein Stück Mohnkuchen zu ordern, blickt mich mit großen Augen an. »Das ist hoffentlich nicht dein Ernst, Paula?« Es ist dieser geduldig-vorwurfsvolle Tonfall, der sanften Frauen wie Traudl zu eigen ist, die drei Kinder mit nichts als milden Worten großgezogen haben. »Das ist doch nicht irgendeine Veranstaltung. Es ist die Verlobung deines einzigen Sohnes!«, fügt sie noch an, als wäre ich komplett verkalkt.

»Daran musst du mich nicht er…« Ich breche ab, als ich die Bedienung mit unserer Bestellung kommen sehe.

Das blonde Mädchen setzt das Chromtablett auf dem Tisch ab. Wahllos verteilt sie Tassen und Kuchen. Wortlos beobachte ich ihr Tun. Auf junge blonde Frauen bin ich momentan nicht gut zu sprechen. Erst recht nicht, wenn sie so hübsch sind wie dieses Geschöpf. Bei denen steigt mir sofort die Galle hoch. Ja, ich bin ungerecht. Sie kann schließlich nichts dafür, dass mein Ex-Mann mit einer schönen jungen Blondine seinen zweiten Frühling genießt.

»Du wurdest unterbrochen«, sagt Traudl, als das Mädchen außer Hörweite ist und wir uns auf die Kuchenteller stürzen.

»Ich wollte bloß sagen, dass ich den Abend emotional nicht überleben würde«, erkläre ich zwischen zwei Bissen. »Nicht mal mit einer Überdosis Beruhigungspillen.« Biggi kramt in ihrer monströsen geblümten Tasche, in der sie wie immer tausend Unnötigkeiten mit sich herumschleppt. Sekunden später drückt sie mir einen glatten rosa Stein in die Hand. »Hier, das hilft.«

»Huch, das nenne ich mal eine Riesenpille. Aber im Ganzen bekomme ich die niemals runter.« Ich unterdrücke ein Grinsen.

Biggi ist Heilpraktikerin, sie hält Edelsteine für DAS Allheilmittel schlechthin. So weit ich es beurteilen kann, helfen sie gar nicht. Leider. Schaden tun sie aber auch nicht. Es sei denn, man schluckt tatsächlich einen hinunter, der so groß ist wie ein Radieschen.

»Das ist ein Rosenquarz«, erklärt sie, meinen Einwand ignorierend, und legt ihre Hände auf meine. »Trage ihn bei dir, dann verleiht er dir innere Harmonie. Damit bist du gegen alles gewappnet.«

»Danke, das ist wirklich lieb von dir«, antworte ich und gebe ihr das Präsent zurück. »Aber in diesem speziellen Fall würden, wenn überhaupt, nur K. o.-Tropfen helfen. Allein die Vorstellung, das neue Haus meines Ex-Mannes zu betreten, erzeugt bei mir heftigsten Brechreiz. Hab ich euch überhaupt schon erzählt, dass er ein Angeberhaus im Herzogpark gekauft hat? Münchens teuerste Gegend! Bäckermeister Wertheim unter den Millionären. Und wenn ich dieser … dieser … meiner Nachfolgerin nur die Hand schütteln muss, bekomme ich schon Ausschlag. Ich sehe sie genau vor mir, wie sie mich mitleidig ansehen und fragen wird, ob ich allein überhaupt zurechtkäme. Das Schlimme daran ist, dass es wirklich ehrlich gemeint ist. Fairerweise muss ich gestehen, dass sie einfach nur freundlich sein möchte. Trotzdem. Ich habe zwei Kinder groß gezogen, den Haushalt gewuppt, nebenbei den ganzen Schreibkram in der Firma erledigt und mich auch noch um das Personal gekümmert. Gnä’ Frau hat eine Haushaltshilfe, eine Putzfrau fürs Grobe und noch nicht mal ein Kind in die Welt gesetzt. Wer weiß, ob sie dazu überhaupt in der Lage wäre. Die jungen Dinger sind heutzutage schließlich lieber auf Facebook unterwegs und klicken dort Babyfotos an als eigenen Nachwuchs zu gebären.«

Wie immer, wenn ich über diese Frau spreche, deretwegen ich verlassen wurde, fühle ich ein unangenehmes Jucken im Hals. Eilig bekämpfe ich es mit einem großen Schluck Kaffee. Vielleicht sollte ich es doch mal mit Edelsteinen versuchen.

»Du bist also fest entschlossen?«, hakt Traudl nach. Diesmal in erstaunlich strengem Ton.

»Bin ich!« Trotzig rühre ich in meinem Cappuccino.

»Du wirst es bis zu deinem letzten Atemzug bereuen«, prophezeit Traudl kopfschüttelnd.

Biggi hat erneut in ihrer Tasche gekramt und lässt jetzt kleine Rosenquarzsteine in ihr Wasserglas plumpsen. »Also ich würde ja hingehen – mit einem tollen Mann.«

»Ha!«, lache ich spöttisch auf und schlage mir dabei mit der flachen Hand auf die Stirn. »Warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen. Ich rufe einfach einen meiner zweiundsiebzig Liebhaber an, und schon ist die Kuh vom Eis. Falls es dir entgangen sein sollte, Biggi: Ich! Bin! Geschieden! Und seitdem ist mir erst bewusst geworden, dass eine achtundfünfzig Jahre alte Frau für die Männerwelt unsichtbar ist. Nicht mal gleichaltrige Männer gucken mich noch an. Von Verabredungen kann ich nur träumen.«

»Denk positiv«, rät die harmonisierte Biggi. »Manchmal begegnet einem das Glück ganz unverhofft. Neulich erst ist mir einer mit dem Rad gefolgt, der mich zum Kaffee einladen wollte.«

Mir entschlüpft ein genervter Seufzer. »Und mir kam neulich ein Geisterradler auf dem Bürgersteig entgegen, der mich beinahe umgefahren hätte. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, Biggi. Also, wo soll ich bitteschön einen Mann auftreiben?«, frage ich herausfordernd.

Traudl nickt verständnisvoll. »Ich werde auch ständig ignoriert. Sogar wenn ich den Männern das Wechselgeld direkt in die Hand drücke, gucken sie durch mich hindurch, als wäre ich Luft. Nur uralte Greise grinsen verschämt, weil ihnen die Kürbiskernpillen gegen Prostata peinlich sind.«

»Dabei bist du erst dreiundfünfzig«, erinnere ich sie, »hast kaum graue Haare und siehst überhaupt viel besser aus als ich.«

Das waren keine leeren Worte, um Traudl zu trösten. Vor zwei Jahren wurde sie nämlich Witwe. Noch dazu an ihrem Geburtstag. Versteht sich von selbst, dass ich es ihr nachfühlen kann. Aber solange sie ihre perfekte Figur in einen schwarzen Witwentalar hüllt und ihre rotblonden Traumhaare zu einem achtlosen Zopf bindet, wird sie unsichtbar bleiben. Dabei ist Traudl eine Naturschönheit mit klaren blauen Augen und zarter Sommersprossenhaut. Sie müsste nur etwas mehr Sorgfalt auf ihr Äußeres verwenden, und die Männer würden vor der Drogeriemarktkasse auf die Knie gehen.

»Graue Haare sind kein auswegloses Schicksal«, Biggi fährt sich demonstrativ durch die hennagefärbte rote Lockenmähne. »Und wenn schon grau auf dem Kopf, sollte man nicht auch noch wie eine graubraune Feldmaus rumlau…«

»Was willst du damit sagen?«, unterbreche ich sie angriffslustig, weil sie mich dabei angesehen hat. Seit ich weiß, dass die Verlobung meines Sohnes bei seinem Vater, respektive meinem Ex stattfindet, bin ich hochexplosiv wie eine Tretmine.

Biggis Harmoniesteinchen scheinen toll zu wirken, denn sie betrachtet mich weiter gleichmütig, als wäre sie ein Dalai Lama. Oder müsste es Dalai Lametta heißen, weil sie so gerne Glitzerschmuck trägt?

»Na ja, du trägst schließlich fast immer braune Klamotten, in Kombination mit den ergrauten Haaren wirkt das …« Sie bricht ab und spielt mit dem Stein, der verwaist auf dem Tisch liegt.

»Na, wie? Raus damit. Tu dir keinen Zwang an.«

»Vielleicht probierst du es einfach mal mit frischen Farben«, antwortet sie ausweichend.

»Würden mich die Radler dann nicht umfahren, sondern auch zum Käffchen einladen?«, frage ich spöttisch.

Sie nickt aufmunternd. »Deine Chancen steigen hundertprozentig. Mal davon abgesehen, dass Farben unsere Stimmung positiv beeinflussen, würdest du super aussehen.«

»Oder wie eine Tüte Smarties«, entgegne ich und widme mich wieder meiner Sachertorte. Braun ist auch bei Kuchen meine Lieblingsfarbe.

Traudl lacht verhalten. »Paula als Smarties.«

Wir stimmen laut lachend ein. Nicht wegen des gelungenen Smartie-Scherzes, sondern mit Traudl, die seit dem Unfalltod ihres geliebten Mannes kaum noch fröhlich ist.

»Von der Klamottenfrage mal abgesehen, Paula«, redet Biggi weiter. »An deiner Stelle würde ich mir für den Abend einen attraktiven Begleiter engagieren und mich so in Schale werfen, dass meinem Ex die Spucke wegbleibt. Vielleicht sogar einen jüngeren Mann.«

»Begleiter engagieren?«, wiederholt Traudl ungläubig und schnappt hörbar nach Luft. »Du meinst doch nicht etwa einen Callboy?«

Callboy oder nicht. Ich kann über so eine Schnapsidee nur schwach grinsen. »Nette Idee, wenn du mir noch den Laden verrätst, wo sogenannte Begleiter angeboten werden«, kontere ich dann. »Aber bitte zum Schnäppchenpreis, denn ich muss mich ja auch noch neu einkleiden, damit es meinem Ex auch wirklich die Sprache verschlägt.« Ich schiebe das halb aufgegessene Tortenstück weg. Seit der Scheidung habe ich...