Mord im besten Alter - Kriminalroman

von: Lisa Lercher

Haymon, 2013

ISBN: 9783709976531 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Mord im besten Alter - Kriminalroman


 

Drei Wochen später


Maja hatte erstaunliche Fortschritte gemacht. Ihre Blessuren waren zur Gänze verheilt. Sie hatte sich die Haare frisch gefärbt und spürte den Frühling in den Knochen. Es ging wieder aufwärts, davon war sie überzeugt. Schon zum zweiten Mal war sie mit nur einer Krücke zum Pavillon im Park des Altersheims unterwegs.

Das Wetter kam ihr dabei entgegen. Nach einer längeren Regenperiode ließ sich endlich wieder die Sonne blicken.

Vorne bei den Heimgebäuden waren Wiesen mit einzelnen Baumgruppen und Sträuchern angelegt. Auch Blumenbeete gab es dort und Bänke, auf denen man es sich gemütlich machen konnte. Weiter hinten grenzte der weitläufige Park an einen für die Gegend typischen Mischwald. Die Mauer, von der das Areal umgeben war, war stellenweise baufällig. Das Tor zum Wald hin blieb meistens versperrt. Neben der Forsythie legte Maja eine Pause ein. Bei ihrem letzten Besuch waren nur vereinzelt Knospen sichtbar gewesen. Nun leuchteten die goldgelben Blüten des Strauchs mit der Sonne um die Wette. Am Wegrand neben dem Zaun wuchs Scharbockskraut. Die Blätter hatte sie oft für ihren Wildkräutersalat verwendet. Sie waren jedoch nur vor der ersten Blüte genießbar, danach schmeckten sie scharf und enthielten auch Giftstoffe.

Sie versuchte sich an einer Tadasana. Viel zu lange hatte sie ihre Yogaübungen schon vernachlässigt. Sie nahm die Berg-Haltung ein und versuchte, die Stärke, Ruhe und Stabilität, die ihr diese Übung geben sollte, zu spüren. Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Ein Rascheln, das von weiter drüben bei den hohen Fichten kam, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie legte den Kopf ein wenig schief, um die Sehschwäche, unter der sie in Folge ihrer Makuladegeneration auf dem rechten Auge litt, auszugleichen.

Dieser Teil des Parks wirkte verwildert. Äste und vermodertes Laub lagen unter den Bäumen, um deren Stämme sich Efeu rankte. Auf den Zweigen einer mächtigen Buche wucherten Misteln. Neben einem der Sträucher bewegte sich etwas. Ein Tier? Es hüpfte rhythmisch vor und zurück. Maja erstarrte, als ihr be­wusst wurde, dass das Tier ein Penis war und zu einem onanierenden Mann gehörte. Offenbar genoss er es, Publikum zu haben. Sein Gesicht war von einer Hutkrempe oder Kapuze verdeckt. Er hielt sein Geschlechtsteil demonstrativ in Majas Richtung. Angewidert wandte sie sich ab. Dann spürte sie, wie sich Ärger in ihr breit machte. Was fiel diesem Kerl ein? Was, wenn eine schreckhaftere Frau, als sie es war, oder gar ein Kind hier entlangkam? Sie hob drohend ihre Krücke. „Verschwinde!“ Der Unhold im Gebüsch unterbrach sein Tun – aber nur für einen Augenblick. Majas Drohung hatte ihn anscheinend angespornt. Wäre Maja fit wie früher gewesen, hätte sie ihn vertrieben. In Anbetracht ihrer körperlichen Verfassung blieb ihr jedoch nichts anderes übrig, als ihn zu ignorieren, um ihn nicht weiter zu ermutigen. Sie nahm sich vor, den Vorfall später zu melden.

Ihre Hüfte schmerzte und sie hätte sich gern hingesetzt. Die Strecke zum Salettl war kürzer als die zurück zum Heim, überlegte sie und entschloss sich, ihren Weg fortzusetzen. Zwar war von einem Exhibitionisten im Allgemeinen keine direkte Bedrohung zu er­­warten. Sollte er aber dennoch auf dumme Ideen kommen, hatte sie für den Fall der Fälle immer noch ihre Krücke. Für eine ordentliche Beule würde es schon reichen, schreien konnte sie notfalls auch.

Maja ließ sich Zeit beim Gehen und legte alle paar Schritte eine Pause ein. Immer wieder drehte sie sich um, um nachzuschauen, ob ihr jemand folgte. Nach der nächsten Wegbiegung war das überdachte Gartenhaus endlich in Sicht. Majas Herz schlug augenblicklich schneller, als sie feststellte, dass die Bank, die innen entlang der halbhohen Wand des Salettls verlief, besetzt war. Auf diese Entfernung konnte sie nicht ausmachen, wer dort saß. Sie umklammerte den Griff ihrer Krücke. Gern hätte sie auf der Stelle kehrtgemacht. Doch schmerzte ihre Hüfte dermaßen, dass sie sich hinsetzen musste. Entschlossen arbeitete sie sich weiter zu dem runden Gebäude vor. Als hätte die Person auf der Bank Majas Näherkommen gespürt, wandte sie sich plötzlich um. Maja war erleichtert, als sie den Mann erkannte. Sie grüßte in seine Richtung.

Moser grüßte zurück und kam ihr langsam entgegen. Der würzige Duft, der von ihm ausging, weckte Erinnerungen. Maja ließ sich von Moser über die Stufe helfen und nahm mit einem erleichterten Seufzer Platz. „Ganz schön anstrengend.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Moser griff in die Tasche seiner abgetragenen Lederjacke und holte Tabak und Zigarettenpapier hervor. „Was dagegen?“, fragte er und hielt den Tabak in die Höhe.

„Nicht, wenn ich auch eine bekomme!“ Maja hatte seit Jahren nicht mehr geraucht.

Moser rollte den Tabak geschickt ins Papier. Den Klebestreifen ließ er sie selbst mit der Zunge befeuchten. Dann drückte er ihn an, reichte ihr die Zigarette und drehte eine weitere für sich. Sie bemerkte seine schön geformten Nägel, die er sehr kurz trug, und die Altersflecken auf seinem Handrücken. Es waren kräftige Männerhände, die bestimmt ordentlich zupacken konnten.

Mit einer lässigen Drehung ließ Moser sein abgegriffenes Zippo-Feuerzeug zuschnappen. Er inhalierte tief. Maja hustete.

„Haben Sie sich schon eingewöhnt?“ Mosers Blick folgte einem Eichhörnchen, das einen Baumstamm hinaufflitzte.

„Geht das denn?“

Moser lächelte amüsiert.

„Je länger ich hier bin, desto mehr glaube ich, dass es einfach nicht passt. Ich bin für solche Zwangs­gemeinschaften nicht geschaffen. Ich brauche meine Privatsphäre und außerdem vermisse ich meinen Garten, das Haus, einfach alles.“ Maja biss sich auf die Lippen. Wieso schüttete sie einem Fremden ihr Herz aus?

„Gibt es eine Möglichkeit, können Sie ausziehen?“ Mosers dunkle Stimme hatte einen beruhigenden Klang.

„Ich weiß nicht. Vielleicht weiß der Direktor Rat. Er hat gesagt, dass wir weitersehen, wenn ich erst wieder fit bin.“

„Wieso sind Sie eigentlich hier?“

Maja grinste verlegen. „Ein Unfall. Ganz blöd. Entschuldigen Sie, aber es ist mir irgendwie peinlich.“

Moser schwieg abwartend.

„Ich bin im Jänner von einem Apfelbaum gefallen.“

Moser schnippte die Asche seiner Zigarette über das Geländer. Der Ärmel seiner Jacke rutschte dabei nach hinten und gab den Blick auf eine Tätowierung frei. Es war ein Schriftzug. Maja konnte die Buchstaben nicht entziffern.

„Welche Sorte erntet man um diese Jahreszeit?“

Maja lachte. „Ich hab geträumt, von Joe. Das ist, das heißt, war mein Mann. Er war Maler und ist auf seinem Hocker vor der Staffelei gesessen und hat nach mir gerufen. Schau dir das an, hat er gesagt und dabei auf einen Apfelbaum vor dem Atelierfenster gezeigt. Es war einer dieser Bäume mit den kleinen roten Früchten, die trotz Frost und Kälte noch am Baum gehangen sind. Die Blätter waren längst abgefallen. Die Äpfel haben im Licht der Nachmittagssonne wie Christbaumschmuck geglitzert.“

Auch bei Moser wurden bei Majas Erzählung Erinnerungen wach. Sie war so lebendig, so voller Elan, dachte er wehmütig.

„Und dann hat er verlangt, dass ich ihm einen dieser Äpfel vom Baum hole. Was dann genau passiert ist, weiß ich nicht. Ich bin im Krankenhaus aufgewacht. Angeblich hat man mich in Gummistiefeln und im Nachthemd im Garten gefunden. Ich bin wohl von der Leiter gefallen, war stark unterkühlt, hab mir einiges gebrochen und dazu jede Menge Prellungen und blaue Flecken geholt. Hätte mich der Nachbar nicht zufällig entdeckt, wär ich wahrscheinlich erfroren.“ Maja nickte bekräftigend. „So ist das. Und jetzt sitze ich hier.“

Moser beförderte den Stummel seiner Zigarette mit Daumen und Mittelfinger in hohem Bogen auf die Wiese. „Von Schlafwandlern auf Dachfirsten hab ich schon gehört, aber Sie sind der erste, den ich kennen lerne. Ich träume manchmal auch. Aber mehr, als dass ich mit dem Fuß gegen die Wand getreten habe, weil ich für meine Mannschaft einen Elfmeter versenken wollte, ist noch nicht passiert.“ Moser grinste.

Maja warf ihre Zigarette ebenfalls auf die Wiese und schob ihre klammen Finger in die Ärmel ihres Mantels.

„Ist Ihnen kalt? Soll ich Sie zurückbegleiten?“

„Wie war das eigentlich, als sie die Mirli gefunden haben?“, fragte Maja unvermittelt.

„Kein schöner Anblick“, sagte Moser knapp.

Maja war bis jetzt keinen Zentimeter weitergekommen. Das Wohlfühlzimmer war seit dem Unfall versperrt. Angeblich sollte es umgestaltet werden. Mit ihren Fragen war sie bei den Mitbewohnern auf Un­verständnis gestoßen und auch Schwester Erika hatte sie abgewimmelt und ihr geraten, sich lieber mit etwas Erfreulicherem zu beschäftigen. „Wo genau ist sie gelegen?“

„Auf der Seite vom Haupthaus, die zum Park hin geht. Neben dem Haus sind gleich die Blumenrabatten. Ihr Genick war gebrochen. Das habe ich aber erst gemerkt, als ich sie berührt hab.“ Moser wandte sich ab und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen?“

„Sie fragen ja wie ein Privatdetektiv“, witzelte Moser.

Maja blieb ernst.

Moser überlegte. „Nein“, sagte er nach einer Weile, „eigentlich nicht.“ Er räusperte sich. „Oder vielleicht doch. Ich hab mich gewundert, warum ihr Stoffhund drüben bei den Ribiselsträuchern liegt. Das ist doch ein Stück von den Blumenbeeten entfernt.“

„Glauben Sie, dass jemand nachgeholfen...