Irischer Liebessommer

von: Maren Frank

édition el!es, 2013

ISBN: 9783956090042 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Irischer Liebessommer


 

Schmerz drang durch ihr Bewusstsein. Es fühlte sich an, als bearbeite jemand von innen sämtliche Teile ihres Kopfes mit kleinen Hämmern. Befand sie sich im Jenseits? Aber dann müsste doch irgendwo ein Tunnel und dahinter Licht sein und Geister oder Engel – oder was auch immer einen erwartete. Nicht diese grässlichen Kopfschmerzen.

Steffi versuchte sich zu bewegen, doch etwas hielt sie davon ab.

»Sie wird wach!«

Wer rief das? Die Stimme klang recht tief und vertraut, als ob sie sie schon einmal gehört hätte. Und war sie damit gemeint? Hielt derjenige oder diejenige sie auch fest? Warum? Sie fühlte sich doch ohnehin viel zu schwach, um aufzustehen. Und dieses schier unerträgliche Hämmern in ihrem Schädel. Ein Königreich für ein Aspirin!

Ihr Mund war so trocken, die Zunge klebte ihr am Gaumen und der Hals brannte.

»Nun komm schon!«, rief die Stimme erneut.

Schnelle Schritte erklangen.

»Zur Seite«, sagte eine andere Stimme, heller und befehlsgewohnt. Der Druck an ihren Schultern ließ nach. Steffi versuchte eine Hand zu heben, doch es gelang ihr nicht. In ihrem Kopf drehte sich alles, und der Schmerz betäubte jegliches Denken. Sie spürte den Abgrund der Schwärze, wollte sich hineinfallen lassen, doch da rief jemand ihren Namen.

»Stefanie? Stefanie, können Sie mich hören?«

Mühsam bewegte sie die Lippen, versuchte ihre Zunge dazu zu bringen, ihr zu gehorchen. Warum gab man ihr denn nichts zu trinken? Und wo war sie überhaupt?

Irgendjemand zog ihr Auge auf und leuchtete mit einer Taschenlampe hinein.

Steffi blinzelte und versuchte den Kopf zur Seite zu drehen. Das Hämmern in ihrem Schädel nahm zu. Das Licht war zu grell und verhinderte, dass sie Einzelheiten erkannte. Nur vage nahm sie die beiden Gestalten wahr. Die eine groß und kräftig, die andere weitaus kleiner und schmaler. Doch mehr ließ sich nicht erkennen.

Die Lampe wurde fortgenommen. Erleichtert schloss Steffi die Augen und wollte sich wieder der Schwärze hingeben.

»Stefanie? Wissen Sie, wer Sie sind?«

Wieder bemühte sie sich, die Lippen zu bewegen und einen Ton herauszubekommen. »Durst«, krächzte sie fast tonlos. Sie hoffte, dass jemand verstanden hatte, was sie wollte.

Offensichtlich schon, denn nun wurde etwas an ihre Lippen gehalten, und Wasser floss in ihren Mund.

Gierig schluckte Steffi, doch da zog man ihr die Tasse auch schon wieder fort. »Nicht so hastig«, tadelte die Stimme.

»Trinken«, brachte Steffi hervor.

Erneut bekam sie etwas Wasser, zwang sich, nur kleine Schlucke zu nehmen, um es nicht sofort wieder entrissen zu bekommen. Das tat gut. So ähnlich mussten sich auch Wüstenreisende fühlen, denen das Wasser schon vor zwei Tagen ausgegangen war und die nun an eine Oase kamen.

»Erinnern Sie sich an das, was geschehen ist?«, fragte die Stimme, nachdem die Tasse leergetrunken war.

Das Denken strengte sie an, verstärkte den Schmerz. Bilder wirbelten durch ihren Kopf. Da waren dunkel gekleidete Gestalten, jemand schrie, dann klappte ein Messer auf. Und Schmerz. Überall in ihrem Körper. Und dann Schwärze, gnädige Schwärze.

Steffi hob eine Hand, tastete nach ihrem Gesicht und fühlte Verbände. Sie verliefen über den Nasenrücken, an ihrem Kinn, sogar an der Stirn. »Mein . . . mein Gesicht«, stammelte sie und versuchte mit den Fingern unter einen der Verbände zu gelangen.

Sofort wurde ihr Handgelenk gepackt und von ihrem Gesicht fortgezogen. »Nicht. Da dürfen Sie jetzt nicht hinfassen.«

»Aber . . . mein Gesicht!« Der Schmerz in ihrem Kopf nahm noch einmal an Stärke zu. Steffi wand sich, versuchte sich zu befreien. Sie musste es sehen, jetzt. Oder wenigstens fühlen können. Musste wissen, was mit ihr war. Sie schlug die Hände zur Seite, die sie festzuhalten versuchten. Sofort packten sie erneut zu, wollten sie daran hindern, ihr Gesicht abzutasten. Aber das durften sie nicht! Sie musste doch wissen, was mit ihr los war.

»Gun, hilf mir!«, rief eine Stimme. Sie gehörte der kleineren Frau. Jener, die ihr eben auch ins Auge geleuchtet hatte.

Im nächsten Moment legten sich Hände wie Schraubzwingen um ihre Oberarme, jede Bewegung wurde unmöglich. Ein anderes Geräusch, dann ein Stich an ihrem Arm. Und die Welt versank erneut in Dunkelheit.

»Danke, Gun«, sagte Jasmin und trat von dem Bett zurück. Sie streifte sich die sterilen Handschuhe ab und warf sie in den bereitstehenden Mülleimer.

Guns Blick ruhte noch auf der nun wieder schlafenden Frau. Rabenschwarz schaute ihr Haar zwischen dem ganzen Weiß von Verbänden und Kopfkissen hervor. Auch ihre Wimpern waren dunkel, sehr lang, dicht und leicht gebogen, obwohl sie in den vergangenen Tagen ganz sicher nicht in die Nähe entsprechender Kosmetika gekommen war.

»Hat sie noch Schmerzen?«

»Nein, im Moment nicht. Ich habe ihr etwas zur Beruhigung gegeben und auch ein Schmerzmittel. Es war wohl vor allem auch die Panik, die sie so reagieren ließ.«

Verständnisvoll nickte Gun. »Kein Wunder. Sie kennt niemanden hier, weiß nicht, wo sie sich befindet und was überhaupt mit ihr los ist.«

Jasmin trat neben Gun und berührte sie sacht am Ellbogen. »Danke für dein schnelles Eingreifen. Es war gut, dass du mich sofort gerufen hast.«

»Ist doch mein Job.«

Jasmin lächelte zu ihr hoch. Sie reichte Gun nicht einmal bis zur Schulter, ein zierliches Püppchen, das aussah, als sei es für den weißen Kittel noch mehrere Jahre zu jung. »Sie wird einige Stunden schlafen. Das ist im Moment auch am besten für sie.« Jasmin seufzte.

»Sind ihre Verletzungen wirklich so schlimm?«, fragte Gun, während sie in den Nebenraum gingen und sich an den Tisch setzten. Durch eine große Glasscheibe hatten sie einen guten Blick auf die schlafende Frau.

»Sie hat riesiges Glück gehabt!«, sagte die Ärztin. »Ein halber Zentimeter weiter links, und jede Hilfe wäre zu spät gekommen.«

»Das habe ich schon gehört. Aber was ist mit ihrem Gesicht?«

Jasmin presste die Lippen kurz zusammen. »Da müssen wir abwarten. Noch kann man nicht sagen, wie schlimm es wirklich ist. Zum Glück ist sie ja direkt versorgt worden. Das ist immer gut, wenn solche Wunden gleich richtig behandelt werden.«

»Sie war ein Model, nicht wahr?«, fragte Gun. Irgendwer hatte das gesagt, Lily vermutlich. Die wusste ja stets über alles bestens Bescheid und hielt mit ihren Informationen nie hinter dem Berg.

»Kennst du sie nicht?« Die Ärztin klang überrascht.

Gun lächelte entschuldigend. »Ich lese keine Modemagazine. Ist nicht so mein Ding. Außerdem bin ich mit 1,88 m zu groß für diese Kollektionen, und schulterfrei steht mir nicht.« Sie spannte kurz ihre Oberarmmuskeln an, so dass sie unter dem schwarzen Hemd sichtbar wurden. Jahrelanges Training hatte ihren Körper in eine athletische, kraftvolle Gestalt verwandelt.

Jasmin wurde ein wenig rot. Sicherlich las sie diese Hochglanzblätter. Und vermutlich sah sie hinreißend in einer Designerkreation aus. »Stefanie G., wie sie genannt wurde, war der Star auf den diesjährigen Modenschauen. Mailand, London, Paris – die Presse war ebenso verrückt nach ihr wie die Modewelt. Man munkelte, dass einige ganz große Verträge anstanden. Sie war auf dem besten Weg, eines der Topmodels zu werden.«

Gun fiel auf, dass die Ärztin in der Vergangenheitsform sprach. »Dann ist ihre Karriere damit nun wohl beendet?«

»Die plastische Chirurgie ist schon sehr weit«, sagte Jasmin. »Aber ich fürchte, sie wird nie wieder so aussehen wie vorher. Dieser Killer hat ihr ja das halbe Gesicht zermetzelt, nachdem er sie fast erstochen hat.« Gänsehaut erschien auf dem sichtbaren Stück ihrer schlanken Arme. »Mir graust bei dem Gedanken, dass er immer noch frei herumläuft. Und vielleicht in diesem Augenblick seine nächste Tat plant.«

Das konnte Gun ihr nachfühlen. Wenngleich sie selbst wünschte, diesen Kerl in die Finger zu bekommen. Dann konnte er mal erleben, was eine umfassend ausgebildete Sicherheitsfrau so alles draufhatte, wenn es darum ging, einen Verbrecher dingfest zu machen.

»Sobald Stefanie vernehmungsfähig ist, muss sie unbedingt aussagen. Mich rufen diese Ermittler von der Mordkommission beinahe täglich an und fragen nach. Aber sie ist nun mal deren einzige Chance, eine Täterbeschreibung zu erhalten.«

»Hast du ihnen etwa deine Nummer gegeben?«

»Irgendwie sind sie daran gekommen.« Sie seufzte und fuhr sich durch das schulterlange braune Haar. »Das wird sicherlich nicht leicht für Stefanie, wenn sie das dann in allen Details erzählen muss. Ich hoffe nur, sie erinnert sich . . .«

»Du meinst, sie könnte einen Gedächtnisverlust erlitten haben?«

»Nicht direkt eine Amnesie. Aber manchmal schaltet das Gehirn schreckliche Erlebnisse einfach weg. Das ist so eine Art Schutzmechanismus.«

»Und kommen diese Erinnerungen denn irgendwann zurück?« Gun dachte an ihre eigenen Kämpfe und die brenzligen Situationen, in denen sie schon gesteckt hatte. Mehr als nur einmal war sie dabei auch verletzt worden, hatte bisher eine Schlüsselbeinfraktur, drei Gehirnerschütterungen und mehr Rippenprellungen, als dass sich das Mitzählen noch lohnte, erlebt. Aber sie konnte sich an jede Einzelheit davon erinnern. Sogar an diesen wahnsinnigen Typen mit seiner Axt erinnerte sie sich. Bei den Albträumen, die sie nach diesem Einsatz gehabt hatte, war es auch nicht möglich, ihn zu vergessen. Dass sie kräftig mitgeholfen hatte, ihn hinter Schloss und Riegel...