Nacht des Begehrens

von: Kresley Cole

LYX, 2011

ISBN: 9783802588020 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Nacht des Begehrens


 

1

Eine Woche später …

Auf einer Insel in der Seine, vor dem Hintergrund einer zeitlosen Kathedrale, kamen die Bewohner von Paris zusammen, um sich zu amüsieren. Emmaline Troy suchte sich ihren Weg durch Feuerspucker, Taschendiebe und die chanteurs de rue. Sie schlenderte durch ganze Scharen schwarz gekleideter Gothics, die Notre Dame umschwärmten, als ob die Kirche ihr Mutterschiff wäre, das sie nach Hause gerufen hätte. Und dennoch erregte sie Aufmerksamkeit.

Die menschlichen Männer, an denen sie vorbeiging, wandten ihr langsam die Köpfe zu, um sie zu betrachten, meist mit gerunzelter Stirn – sie spürten etwas, waren sich aber nicht sicher, was. Wahrscheinlich eine genetisch bedingte Erinnerung aus ferner Vergangenheit, in der sie ihre wildeste Fantasie oder ihren düstersten Albtraum wiedererkannten.

Emma war weder das eine noch das andere.

Sie war eine Studentin in Paris – genauer gesagt, eine frischgebackene Absolventin der Tulane University in New Orleans –, einsam und hungrig. Erschöpft, nachdem sie ein weiteres Mal erfolglos nach Blut Ausschau gehalten hatte, ließ sie sich auf eine Bank unter einer Kastanie sinken, den Blick fest auf eine Kellnerin gerichtet, die im Café gegenüber eine Espressomaschine bediente. Wenn doch Blut nur ebenso leicht fließen würde, sinnierte Emma. Ja, wenn es warm und sättigend aus einem nie versiegenden Hahn fließen würde, dann würde sich ihr Magen nicht schon beim bloßen Gedanken daran vor Hunger zusammenkrampfen.

Hungertod in Paris. Noch dazu ohne einen Freund. Konnte es etwas Schlimmeres geben?

Die Liebespaare, die Hand in Hand über den Kiesweg spazierten, schienen sie in ihrer Einsamkeit zu verspotten. Lag das bloß an ihr oder sahen sich Liebende in dieser Stadt noch verliebter an? Vor allem im Frühling. Krepiert doch alle, ihr Bastarde!

Sie seufzte. Es war nicht deren Fehler, dass sie Bastarde waren, die den Tod verdienten.

Der Blick aus ihrem leeren Hotelzimmer und die Vorstellung, dass sie in der Stadt der Lichter einen neuen Blutdealer finden könnte, hatten sie dazu veranlasst, sich in dieses Getümmel zu stürzen. Ihr früherer Dealer hatte sich aus dem Staub gemacht, er hatte Paris verlassen und war nach Ibiza geflüchtet. Er hatte keine vernünftige Erklärung abgeliefert, warum er seinen Job aufgab, sondern nur gesagt, dass in „gä Pari“ mit der „Ankunft des auferstandenen Königs“ so eine „verdammte Riesenscheiße“ im Anmarsch sei. Was auch immer das heißen sollte.

Als Vampir war sie ein Mitglied des Mythos, jener bunten Schar von Lebewesen, die die Menschen zu der Überzeugung gebracht hatten, dass sie ausschließlich in deren Fantasie existierten. Doch auch wenn hier zahlreiche Angehörige der Mythenwelt anwesend waren, war es Emma bislang nicht gelungen, einen Ersatz für ihren Dealer zu finden. Jedes Geschöpf, das sie aufspürte, um es zu fragen, flüchtete vor ihr, nur weil sie ein Vampir war. Sie machten sich eiligst aus dem Staub, ohne zu ahnen, dass Emma nicht einmal ein Vollblutvampir war, geschweige denn, dass sie ein Feigling war, der noch nie im Leben ein anderes Lebewesen gebissen hatte. Wie ihre grimmigen Adoptivtanten so gerne Gott und aller Welt erzählten: „Emma weint schon rosafarbene Tränchen, wenn sie auch nur einen Schmetterlingsflügel streift.“

Emma hatte darauf bestanden, diese Reise zu machen, doch erreicht hatte sie nichts. Ihre Suche nach Informationen über ihre verstorbenen Eltern – ihre Mutter war eine Walküre und ihr unbekannter Vater ein Vampir – war ein kompletter Fehlschlag. Ein Fehlschlag, der seinen triumphalen Höhepunkt damit erreichen würde, dass sie ihre Tanten anrufen musste, damit die sie abholten. Weil sie nicht einmal in der Lage war, sich selbst zu ernähren. Erbärmlich. Sie seufzte. Damit würde sie sicher die nächsten siebzig Jahre lang aufgezogen werden.

Sie hörte ein Krachen, und noch bevor sie Zeit hatte, die Kellnerin zu bedauern, der man nun bestimmt den Lohn kürzen würde, ein weiteres Krachen und dann noch eins. Voller Neugier wandte sie den Kopf – gerade als auf der anderen Seite des Weges ein Sonnenschirm fünf Meter hoch in die Luft katapultiert wurde, um anschließend in die Seine hinabzuflattern. Ein Ausflugsschiff ließ sein Horn ertönen und gallische Flüche wurden laut.

Im dämmrigen Licht der Fackeln sah sie einen hochgewachsenen Mann, der Tische, die Staffeleien der Künstler und Bücherstände, an denen jahrhundertealte Pornografie verkauft wurde, umstieß. Touristen schrien und flüchteten angesichts der Spur der Verwüstung, die er hinterließ. Mit einem leisen Aufschrei sprang Emma auf, während sie gleichzeitig den Riemen ihrer Tasche über die Schulter streifte.

Er bahnte sich seinen Weg direkt auf sie zu. Sein schwarzer Trenchcoat flatterte hinter ihm her. Seine Größe und seine unnatürlich geschmeidigen Bewegungen ließen sie daran zweifeln, dass er ein Mensch war. Sein dichtes, langes Haar verbarg einen Großteil seines Gesichts, und Bartstoppeln, die wohl schon einige Tage lang ungehindert hatten wachsen dürfen, verdunkelten seine Wangen.

Mit bebender Hand zeigte er auf sie. „Du“, stieß er knurrend hervor.

Sie warf hastige Blicke über beide Schultern zurück, um zu sehen, wer denn wohl dieses bedauernswerte Du sein könnte, an das er sich wendete. Sie. So ein verfluchter Mist, dieser Verrückte meinte sie!

Er drehte die Handfläche nach oben und winkte sie zu sich heran, so als sei er vollkommen davon überzeugt, dass sie dem Folge leisten würde.

„Äh, i-ich kenne Sie doch gar nicht“, brachte sie mit dünner Stimme hervor. Sie versuchte, sich rückwärts von ihm fortzubewegen, stieß aber sofort gegen die Bank.

Unbeirrt kam er weiter auf sie zu, ohne auf die Tische zu achten, die zwischen ihnen standen. Er stieß sie einfach beiseite wie Spielzeug, statt nur einen Schritt vom direkten Kurs auf sie abzuweichen. In seinen hellblauen Augen brannte grimmige Entschlossenheit. Je näher er ihr kam, umso deutlicher spürte sie seine Wut. Sie war zutiefst beunruhigt. Schließlich galt ihre Art als Raubtier der Nacht und nicht als Beute. Und weil sie im Grunde ihres Herzens eben ein Feigling war.

Komm.“ Er spuckte dieses eine Wort aus, als ob es ihn Überwindung kostete, und winkte ihr erneut zu.

Mit weit aufgerissenen Augen schüttelte sie den Kopf. Dann setzte sie rücklings mit einem Satz über die Bank hinweg, wobei sie sich in der Luft drehte, sodass sie ihm den Rücken zuwandte, als sie landete. Sie rannte den Kai entlang. Nach über zwei Tagen ohne Blut fühlte sie sich schwach, aber panische Angst beschleunigte ihre Schritte, als sie kurz darauf die Brücke Pont de l’Archevêché überquerte, um die Insel zu verlassen.

Drei Blocks geschafft … vier. Sie riskierte einen Blick zurück und konnte ihn nicht entdecken. Hatte sie ihn abgeschüttelt? Sie stieß einen Schrei aus, als auf einmal laute Musik in ihrer Tasche losplärrte.

Wer zum Teufel hatte denn bloß den „Crazy Frog“-Klingelton auf ihr Handy runtergeladen? Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Tante Regin. Die unreifste Unsterbliche auf der ganzen Welt, die aussah wie eine Sirene und sich aufführte wie ein alberner Teenager.

Handys wurden in ihrem Koven ausschließlich in dringenden Notfällen benutzt. Das Klingeln würde bei ihrer Jagd in den finsteren Gassen von New Orleans nur stören, und schon ein Vibrationsalarm würde ausreichen, um das zuckende Ohr einer niederen Kreatur auf sich aufmerksam zu machen.

Sie klappte es auf. Wenn man vom Teufel spricht: Regin die Ränkevolle.

„Hab gerade keine Zeit!“, blaffte Emma sie an. Sie warf einen weiteren Blick über die Schulter.

„Lass alles stehen und liegen. Verschwende keine Zeit mit Packen. Annika will, dass du dich auf der Stelle zum Flugplatz begibst. Du bist in Gefahr.

„Öh.“

Klick. Das war keine Warnung – das war eine Zusammenfassung dessen, was eben passiert war.

Nach den Einzelheiten würde sie sich erkundigen, sobald sie an Bord des Flugzeugs war. Als ob sie noch einen Grund brauchte, um nach Hause zu fliegen. Schon die Erwähnung einer Gefahr reichte, damit sie zu ihrem Koven zurückflüchtete, zu ihren Tanten, den Walküren, die jeden töten würden, der sie bedrohte, und alles Böse von ihr fernhielten.

Als sie versuchte, sich an den Weg zum Flugplatz zu erinnern, auf dem sie gelandet war, fing es an zu regnen. Zunächst warm und leicht – die verliebten Paare des April lachten, während sie unter Markisen Schutz suchten –, doch bald prasselten eisige Fluten hernieder. Sie gelangte auf eine Avenue voller Menschen und fühlte sich schon sicherer, während sie sich ihren Weg durch den Verkehr bahnte. Sie wich Autos aus, deren Scheibenwischer und Hupen auf Hochtouren liefen. Ihren Verfolger konnte sie nirgends entdecken.

Da sie nur ihre Umhängetasche dabeihatte, kam sie rasch voran. Sie hatte bereits einige Kilometer zurückgelegt, als sie einen öffentlichen Park erblickte und dahinter den Flugplatz. Sie konnte schon die verschwommene heiße Luft um die Triebwerke herum erkennen, die gerade warmliefen, und sah, dass die Blenden an den Fenstern alle heruntergezogen waren. Fast am Ziel!

Emma war inzwischen davon überzeugt, dass sie ihn abgehängt hatte, weil sie so schnell war. Sie war eine Meisterin in der Kunst, Gegebenheiten...