Vampire sind die beste Medizin

von: Lynsay Sands

LYX, 2011

ISBN: 9783802585579 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Vampire sind die beste Medizin


 

 

1

Marguerite wusste nicht genau, was sie geweckt hatte. Vielleicht ein Geräusch. Vielleicht auch, dass der aus dem Bad ins Zimmer fallende Lichtschein für einen Moment unterbrochen worden war. Möglicherweise aber auch schlicht ihr Überlebensinstinkt. So oder so war sie von einer Sekunde auf die nächste hellwach, riss die Augen auf und bemerkte eine dunkle Gestalt, die sich über sie beugte. Jemand stand neben ihrem Bett, so düster und unheilvoll wie der Tod. Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als sie sah, wie die Gestalt mit beiden Händen etwas in die Höhe hob. Sie erkannte die Geste aus ihrer Jugend wieder, als der Umgang mit Schwertern und ähnlichen Waffen noch an der Tagesordnung gewesen war. Instinktiv rollte sie sich zur Seite, während der Angreifer zum tödlichen Schlag ausholte.

Als Marguerite auf den Boden plumpste, hörte sie, wie die schwere Klinge die Matratze traf. Aus ihrem erschrockenen Aufschrei wurde ein frustrierter Fluch, weil sie sich im Bettzeug verheddert hatte. Da der Unbekannte mit seinem Schwert aufs Bett gestiegen war und erneut ausholte, gab sie den Kampf mit dem Laken auf und griff stattdessen nach der Nachttischlampe, um den Hieb zu blockieren.

Der Aufprall ließ einen dumpfen Schmerz durch ihren Arm schießen, und ein weiterer Schrei kam ihr über die Lippen. Sie wandte den Kopf ab von den Funken, die durch den Kontakt von Metall auf Metall durch die Dunkelheit sprühten, und dankte insgeheim dafür, dass das Dorchester ein Fünf-Sterne-Hotel mit hochwertigen Nachttischlampen war, die einem Schwerthieb standhielten.

„Marguerite?“ Dem Ruf folgte ein Klopfen an die Verbindungstür zum Rest der Suite. Sie und ihr Angreifer hielten gleichzeitig inne und sahen zur Tür. Ihr Angreifer musste sich in dem Moment entschieden haben, es nicht mit zweien ihrer Art aufzunehmen, also sprang er vom Bett und eilte zur Balkontür.

„So nicht, Freundchen“, murmelte sie, ließ die Lampe los und rappelte sich auf. Sie würde ihren Angreifer nicht davonkommen lassen, nur damit der später zurückkehren und einen erneuten Anschlag auf ihr Leben verüben konnte. Dummerweise hatte sie in ihrem Eifer aber das um ihre Beine gewickelte Bettlaken vergessen, sodass sie noch keinen Schritt getan hatte, als sie der Länge nach hinschlug.

Sie biss die Zähne zusammen, um den Schmerz zu unterdrücken, und schaute zur Balkontür, wo soeben die Vorhänge aufgerissen wurden. Sonnenschein fiel durchs Fenster in den Raum, und Marguerite sah, dass ihr Angreifer komplett in Schwarz gekleidet war. Stiefel, Hose, langärmeliges Hemd – alles in Schwarz. Und dazu auch noch ein schwarzes Cape und schwarze Handschuhe. Plötzlich drehte er sich zu ihr um und ließ sie erkennen, dass sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske verborgen war. Dann trat er hinaus auf den Balkon und ließ die Vorhänge genau in dem Moment zufallen, als die Schlafzimmertür aufflog.

„Marguerite?“ Mit sorgenvoller Miene kam Tiny zu ihr gelaufen.

Sie fuchtelte wild mit den Händen herum und zeigte auf die Balkontür. „Er entwischt uns!“

Tiny stellte keine Fragen, sondern änderte prompt seine Richtung und eilte zum Balkon. Marguerite schaute ihm verdutzt nach, da ihr bewusst geworden war, dass der Mann nichts weiter trug als eine Boxershorts aus goldfarbener Seide, auf deren Rückseite ein großes rotes Herz prangte. Vor Erstaunen bekam sie den Mund nicht mehr zu, aber als Tiny zwischen den wallenden Vorhängen verschwand, stockte ihr vor Sorge auf einmal der Atem. Sie hatte einen unbewaffneten und fast nackten Mann auf ihren fliehenden Angreifer gehetzt – der ein Schwert besaß!

Fluchend konzentrierte sie sich darauf, ihre Beine aus dem Laken zu befreien. Jetzt, da ihr Leben nicht länger in Gefahr war, stellte das natürlich überhaupt kein Problem mehr dar. Aufgebracht lief sie ums Bett herum, stürmte zwischen den Vorhängen hindurch und … stieß mit Tiny zusammen, der soeben ins Zimmer zurückkam.

„Vorsicht, es ist helllichter Tag!“, ermahnte er sie, umfasste ihre Oberarme und schob sie vor sich her ins Zimmer.

„Hast du ihn gesehen? Wo ist er hin?“, fragte Marguerite aufgeregt und versuchte, um den breitschultrigen Oberkörper herumzusehen, während Tiny die Balkontür schloss und die Vorhänge zuzog. Durch seine Position wurde der größte Teil des Sonnenlichts von ihr abgehalten, gleichzeitig konnte sie aber auch so gut wie nichts erkennen.

„Ich habe niemanden gesehen. Bist du dir sicher, dass du nicht bloß geträu…?“ Mitten im Satz brach er ab, da er sie im Schein des wenigen Sonnenlichts betrachten konnte, das sich zwischen den Vorhängen hindurch den Weg ins Zimmer bahnte.

Marguerite stutzte angesichts seines seltsamen Blicks, den er über ihr kurzes rosa Nachthemd und dann weiter bis zu ihren rot lackierten Zehennägeln wandern ließ. Und der dann genauso langsam wieder nach oben zurückkehrte und ihre wohlgeformten nackten Beine ebenso erfasste wie ihre Brüste, von denen wegen des großzügigen Ausschnitts zu viel zu sehen war. Dort blieb er schließlich auch hängen, wobei seine Miene einen sorgenvollen Ausdruck annahm.

„Du bist verletzt“, sagte Tiny, nahm ihr Kinn und drückte es sanft nach oben, um ihren Hals besser betrachten zu können. Leise fluchend zog er seine Hand zurück.

„Was ist?“, fragte sie, als er sie am Arm fasste und mit ihr durch den Raum hastete.

Sie sah an sich herab. Blut lief auf ihren Busen und wurde dort vom Stoff ihres Nachthemds aufgesogen. Verwundert tastete sie ihren Hals ab, bis sie eine Schnittwunde entdeckte. Offenbar hatte das Schwert sie doch noch erwischt, als sie zur Seite aus dem Bett gerollt war.

„Sag mir, was passiert ist!“, forderte Tiny sie auf und ging mit ihr ins Badezimmer.

„Ich bin aufgewacht, und da stand neben meinem Bett ein Mann mit einem Schwert in der Hand. Er wollte damit nach mir schlagen, und ich habe mich weggedreht, um mich auf den Fußboden zu schmeißen.“ Sie warf einen Blick zurück ins Schlafzimmer, während Tiny einen Waschlappen nahm und ihn unter den Wasserhahn hielt. Das Adrenalin jagte noch immer durch ihren Körper, und mit einem Mal wurde sie von großer Unruhe erfasst. Sie wollte den Mann verfolgen, der sie im Schlaf angegriffen hatte.

„Nächstes Mal solltest du dich schneller wegdrehen“, meinte Tiny und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, als er damit begann, das Blut wegzuwischen. Mit finsterer Miene ging er dieser Tätigkeit nach und wurde erst ruhiger, als er das wahre Ausmaß ihrer Verletzung feststellen konnte. „Ganz so schlimm ist es nicht. Sieht nicht nach einem tiefen Schnitt aus. Die Haut wurde wohl nur angeritzt.“

„Das wird schnell verheilen“, erwiderte sie beiläufig und kehrte an Tiny vorbei zurück ins Schlafzimmer. Sie war nicht daran gewöhnt, dass sich jemand um sie kümmerte, und es behagte ihr auch nicht.

Sie teilte die Vorhänge und schaute nach draußen auf den sonnenüberfluteten Balkon. Niemand hielt sich mehr dort auf, und sie konnte am Geländer auch kein Seil oder etwas anderes entdecken, was erklärt hätte, wie der Angreifer es bis hier oben schaffen konnte.

Mürrisch betrachtete sie die Skyline. Sie waren im siebten und damit obersten Stockwerk, also musste der Unbekannte vom Dach auf den Balkon gestiegen sein.

„Er wollte dir den Kopf abschlagen.“

Bei dieser Bemerkung ließ Marguerite die Vorhänge los und drehte sich um. Tiny stand über ihr Bett gebeugt und begutachtete den Schnitt in der Matratze.

Allmählich kam wieder Ordnung in ihre Gedanken. Der Angreifer hatte ein Schwert benutzt, also handelte es sich bei ihm eindeutig um einen Unsterblichen. Sterbliche töteten sich gegenseitig für gewöhnlich mit Schusswaffen oder Messern. Wenn sie es auf einen Unsterblichen abgesehen hatten, griffen sie zur klassischen Methode: dem Pflock. Eine Enthauptung mittels Schwerthieb deutete dagegen so gut wie sicher auf einen Unsterblichen als Täter hin.

„Hast du hier in England irgendwelche Feinde, von denen ich nichts weiß?“, fragte Tiny plötzlich und richtete sich auf.

„Das muss mit dem Fall zusammenhängen“, entgegnete sie kopfschüttelnd.

Zweifelnd zog er eine Augenbraue hoch. „Wieso? Wir haben bislang noch gar nichts herausgefunden.“

Marguerite verzog den Mund. Dass sie bislang nicht die kleinste Information über ihren Fall zutage gefördert hatte, gefiel ihr gar nicht. Sie war hergekommen, um Christian Notte zu helfen, einem fünfhundert Jahre alten Unsterblichen, der die Identität seiner verstorbenen leiblichen Mutter in Erfahrung bringen wollte. Anfangs hatte sich das nach einem leichten Auftrag angehört, doch inzwischen war das Gegenteil eingetreten. Seit Christians Geburt war viel geschehen, und er hatte ihnen nur wenige Informationen liefern können. Sie wussten, er war in England zur Welt gekommen, und sein Vater war mit ihm zwei Tage nach seiner Geburt ins heimische Italien zurückgekehrt.

Tiny und Marguerite hatten mit ihrer Suche in England begonnen und die letzten drei Wochen damit zugebracht, staubige Kirchenarchive zu durchsuchen, ob irgendwo seine Geburt verzeichnet war und ob zumindest der Name Notte auftauchte. Sie begannen im südlichsten Zipfel des Landes und arbeiteten sich in Richtung Norden durch, bis sie nach Berwick-upon-Tweed gelangt waren. Dort kam Tiny schließlich auf die Idee, Christian erst noch einmal gründlich zu befragen, ob er nicht irgendeinen Hinweis liefern konnte, der es ihnen ermöglichte, ihre Suche zumindest ein klein wenig einzugrenzen, wenigstens auf eine Hälfte des Landes.

Mit...