Don Camillo und Peppone

von: Giovannino Guareschi

Otto Müller Verlag, 2013

ISBN: 9783701350711 , 319 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 17,99 EUR

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Don Camillo und Peppone


 

HIER WIRD MIT DREI GESCHICHTEN DER SCHAUPLATZ DER HANDLUNG, DAS BESONDERE DER LANDSCHAFT UND IHRER MENSCHEN GESCHILDERT

In meinen jungen Jahren war ich Reporter bei einer Zeitung und trieb mich den ganzen Tag auf dem Fahrrad herum, um etwas Berichtenswertes zu finden.

Dann lernte ich ein Mädchen kennen und verbrachte nunmehr meine Tage mit den Überlegungen, wie sich dieses Mädchen wohl verhielte, wenn ich Kaiser von Mexiko wäre oder sterben würde? Und am Abend füllte ich meine Seiten, indem ich Ereignisse erfand, und diese Ereignisse gefielen den Leuten ganz gut, weil sie viel wahrscheinlicher waren als die wirklichen.

Mein Wortschatz dürfte aus etwa zweihundert Wörtern (auf eines mehr oder weniger kommt es nicht an) bestehen. Es sind dieselben, mit denen ich früher die Geschichte vom Alten, der von einem Radfahrer überfahren wurde, oder die Geschichte von der Bäuerin, die beim Kartoffelschälen ihre Fingerkappe lassen mußte, zu erzählen pflegte.

Keine Literatur also oder ähnliche Ware: ich bleibe in diesem Buch jener Zeitungsberichterstatter und beschränke mich darauf, Tagesereignisse zu erzählen. Es sind erfundene Dinge, und sie sind daher so wahrscheinlich, daß ich in einer Reihe von Fällen eine Geschichte geschrieben und dann nach einigen Monaten gesehen habe, wie sie in Wirklichkeit sich wiederholt. Es ist nichts Außerordentliches dabei; es ist einfach eine Sache der Überlegung: man betrachtet die Umstände, die Jahreszeit, die Mode und den psychologischen Augenblick, und man schließt daraus, daß beim gegebenen Stand der Dinge in einem bestimmten Milieu dieses oder jenes Ereignis sich zutragen könnte.

Diese Erzählungen leben also in einem bestimmten Klima und in einem bestimmten Milieu. Es ist das italienische politische Klima vom Dezember 1946 bis zum Dezember 1947. Im großen und ganzen die Geschichte eines Jahres Politik.

Das Milieu ist ein Stück der Poebene. Und da muß ich klarstellen, daß der Po für mich bei Piacenza beginnt.

Die Tatsache, daß es von Piacenza aufwärts noch immer derselbe Fluß ist, bedeutet gar nichts: auch die Via Emilia ist zwischen Piacenza und Mailand im Grunde genommen immer dieselbe Straße; und doch ist die wirkliche Via Emilia nur jene zwischen Piacenza und Rimini.

Man kann einen Fluß nicht mit einer Straße vergleichen, weil die Straßen der Geschichte und die Flüsse der Geographie angehören. Na und?

Die Geschichte wird nicht von den Menschen gemacht: die Menschen sind der Geschichte unterworfen, wie sie der Geographie unterworfen sind. Übrigens ist die Geschichte mit der Geographie funktionell verbunden.

Die Menschen versuchen, die Geographie zu verbessern, indem sie die Berge durchbohren und die Flüsse umlenken, und indem sie so tun, bilden sie sich ein, der Geschichte einen anderen Lauf zu geben, ändern aber schon gar nichts, weil eines schönen Tages alles zugrunde gehen wird. Und die Gewässer werden die Brücken verschlingen und die Dämme durchbrechen und die Gruben überschwemmen; die Häuser und die Paläste und die Hütten werden einstürzen, und das Gras wird aus den Ruinen wachsen, und alles wird wieder zu Erde. Und die Überlebenden werden mit Steinwürfen gegen die Tiere kämpfen müssen, und die Geschichte wird wieder beginnen.

Die übliche Geschichte.

Und dann, nach dreitausend Jahren, werden sie unter vierzig Meter Schlamm einen Wasserhahn und eine Fiat-Drehbank entdecken und sagen: »Schau dir das nur einmal an!«

Und sie werden sich schrecklich bemühen, dieselben Dummheiten der vergessenen Vorfahren zustande zu bringen. Weil die Menschen unglückliche Geschöpfe sind, zum Fortschritt verurteilt, und dieser Fortschritt sie unvermeidlich verleitet, den alten Gottvater durch funkelnagelneue chemische Formeln zu ersetzen. Und so wird zum Schluß dem alten Gottvater die ganze Sache lästig, er bewegt um ein Zehntelmillimeter das letzte Glied des kleinen Fingers seiner linken Hand, und die ganze Erde fliegt in die Luft.

Der Po beginnt also bei Piacenza und tut sehr gut daran, weil er der einzige achtenswerte Fluß ist, den es in Italien gibt: die Flüsse, die auf sich selbst etwas halten, entfalten sich in der Ebene, weil Wasser eine Sache ist, dazu geschaffen, waagrecht zu bleiben, und nur wenn es vollkommen waagrecht ist, bewahrt das Wasser seine natürliche Würde. Die Wasserfälle von Niagara sind eine Zirkussensation, so wie Menschen, die auf den Händen gehen.

Der Po beginnt bei Piacenza, und bei Piacenza beginnt auch die »Kleine Welt« meiner Erzählungen, und diese kleine Welt liegt auf jenem Stück Ebene, das sich zwischen dem Po und den Apenninen ausbreitet.

Diese »Kleine Welt« ist aber nicht mein eigenes Heimatdorf, sie steht nirgendwo fest. Der Ort der »Kleinen Welt« ist ein kleiner schwarzer Punkt, der sich zusammen mit seinen Pepponi und seinen Smilzi auf und ab entlang des Flusses auf diesem Stück Erde zwischen dem Po und den Apenninen bewegt. Das Klima bleibt aber dasselbe. Die Landschaft auch. Und in einer solchen Landschaft genügt es, auf der Straße stehenzubleiben und ein Siedlerhaus anzuschauen, das da halb verschwunden in Mais- und Hanffeldern liegt, und schon entsteht eine Geschichte.

Erste Geschichte

Ich wohnte in Boscaccio, in der Tiefebene, mit meinem Vater, meiner Mutter und meinen elf Brüdern. Ich, der Älteste, war kaum zwölf Jahre alt, Chico, der Jüngste, kaum zwei Jahre. Meine Mutter gab mir jeden Morgen ein Stück Brot, ein Säckchen mit Äpfeln oder süßen Kastanien, mein Vater stellte uns im Hof in Reih und Glied auf und ließ uns laut das Vaterunser beten, dann gingen wir mit Gott und kehrten bei Sonnenuntergang zurück.

Unsere Felder hatten kein Ende, und wir hätten den ganzen Tag laufen können, ohne sie zu verlassen. Mein Vater hätte kein Wort gesagt, auch wenn wir ihm ganze keimende Weizenfelder zertrampelt oder eine ganze Reihe von Weinstöcken zertreten hätten. Und trotzdem verließen wir immer wieder die eigenen Felder und trieben dann ziemlich viel Unfug. Auch Chico, der kaum zwei Jahre alt war und einen kleinen rosigen Mund und große Augen mit langen Wimpern und Stirnlocken wie ein Englein hatte, verschonte keine einzige Gans, die er auf Wurfweite erblickte.

Und dann, jeden Morgen, kaum daß wir weg waren, kamen immer wieder alte Weiber zum Elternhof mit Körben voll Gänsen, Hennen und Küken, und meine Mutter ersetzte jeden toten Kopf durch einen lebendigen.

Wir hatten tausend Hühner, die auf unseren Feldern stöberten; wenn wir aber eines in den Topf geben wollten, mußten wir es kaufen.

Meine Mutter schüttelte den Kopf und fuhr fort, tote Gänse durch lebendige zu ersetzen. Mein Vater runzelte die Stirne, zwirbelte sich seinen langen Schnurrbart hoch und fragte barsch die Weiber aus, um in Erfahrung zu bringen, welcher von den zwölfen den Streich gespielt hatte.

Wenn ihm hie und da eines sagte, es sei Chico, der Kleinste, gewesen, ließ sich der Vater die Geschichte dreimal oder viermal erzählen und fragte, wie er denn den Stein geworfen habe und ob der Stein groß gewesen sei und ob er die Gans beim ersten Wurf getroffen habe.

Diese Dinge habe ich erst viel später erfahren. Damals dachte man nicht daran. Ich erinnere mich, wie Chico einmal eine Gans verfolgte, die dumm mitten über eine Wiese spazierte, während ich mich mit den zehn anderen hinter einem Gesträuch versteckt hielt. Da erblickte ich in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Schritten meinen Vater, wie er im Schatten einer großen Eiche seine Pfeife rauchte.

Als Chico die Gans erlegt hatte, ging mein Vater ruhig, mit beiden Händen in den Taschen, davon, und ich und meine Brüder dankten dem lieben Gott.

»Hat nichts bemerkt«, sagte ich leise zu den andern. Ich konnte damals nicht begreifen, daß der Vater den ganzen Tag unsere Spur verfolgt hatte und sich wie ein Dieb versteckt hielt, nur um sehen zu können, wie Chico die Gänse tötete.

Ich verliere aber den Faden. Das kommt davon, daß man zu viele Erinnerungen hat. Ich muß euch sagen, daß Boscaccio eine Gemeinde ist, in der niemand zu sterben pflegte, was der außerordentlichen Luft, die man dort atmete, zuzuschreiben war.

Es schien also unmöglich, daß in Boscaccio ein zweijähriges Kind erkranken könnte.

Und doch erkrankte Chico ernsthaft. An einem Abend, als wir im Begriffe waren heimzukehren, streckte sich Chico plötzlich auf der Erde aus und fing an zu weinen. Dann hörte er auf zu weinen und schlief ein. Er wollte nicht aufwachen, und ich nahm ihn auf den Arm.

Chico glühte wie Feuer. Uns alle überfiel furchtbare Angst. Die Sonne ging unter, und der Himmel war schwarz und rot, die Schatten lang. Wir ließen Chico im Gras liegen und liefen brüllend und weinend davon, als ob uns etwas Schreckliches und Geheimnisvolles verfolgt hätte.

»Chico schläft und brennt! ... Chico hat Feuer im Kopf!« schluchzte ich, als ich vor meinem Vater stand.

Mein Vater, ich sehe es noch heute, holte sein Gewehr von der Wand, lud es, nahm es dann unter den Arm und folgte uns wortlos, während wir eng um ihn herum gingen und uns nicht mehr ängstigten, weil unser Vater imstande war, einen Hasen auf achtzig...