'Was soll ich tun?' - Antworten auf Fragen, die das Leben stellt

von: Anselm Grün

Verlag Herder GmbH, 2010

ISBN: 9783451333248 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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'Was soll ich tun?' - Antworten auf Fragen, die das Leben stellt


 

ELTERN UND KINDER, FAMILIE


Wenn man mit anderen Menschen intensiver und näher ins Gespräch kommt, dann werden fast regelmäßig die Beziehung zu den eigenen Eltern thematisiert. Da gibt es Verletzungen in der Kindheit. Und es gibt die Probleme in der gegenwärtigen Beziehung zu den Eltern. Es ist natürlich, dass es Verletzungen gibt. Doch irgendwann sollten wir die Wunden nicht mehr den Eltern vorwerfen, sondern die Verantwortung für unsere Kindheit übernehmen. Sie war so, wie sie war, mit ihren positiven und negativen Erfahrungen, mit den gesunden Wurzeln und mit den Kränkungen, die wir erfahren haben. Es ist unsere Aufgabe, uns mit den Verletzungen auszusöhnen und die Wunden – wie die hl. Hildegard von Bingen sagt – in Perlen zu verwandeln. Gerade dort, wo wir verletzt worden sind, können wir auch unsere persönlichen Fähigkeiten entdecken und entwickeln. Es ist eine Weisheit schon der griechischen Antike, dass nur der verwundete Arzt zu heilen vermag. Denn wer die Schmerzen kennt, ist fähig zum Mitgefühl.

Häufig wirken sich die Verletzungen der Kindheit auch auf die gegenwärtige Beziehung zu den Eltern aus. Nur wenn ich mich ausgesöhnt habe mit meiner Geschichte, kann ich die Eltern so lassen, wie sie sind, ohne ihnen Vorwürfe wegen erlittener Verletzungen zu machen. Damit ich die Eltern lassen und auch ihre guten Seiten sehen kann, muss ich mich zuvor von meinen Erwartungen an die Eltern verabschieden. Wir alle haben die Erwartung an eine ideale Mutter und an einen idealen Vater. Doch diesen Erwartungen entsprechen unsere Eltern nicht. Sie müssen ihnen auch nicht entsprechen. Manchmal müssen wir auch betrauern, dass unsere Eltern so sind, wie sie sind, dass die Mutter kalt ist und der Vater so schwach, dass er uns keinen Halt geben kann. Wenn wir das betrauern, was wir als Defizit an den Eltern erleben, werden wir auch ihre Stärken entdecken. Immerhin haben sie ihr Leben gemeistert. Wir werden neugierig, ihre Lebensphilosophie zu entdecken. Was hat sie getragen? Wie kamen sie mit den Herausforderungen von außen zurecht? Wie haben sie sich arrangiert mit ihren eigenen Verletzungen? Welche Lebenskunst haben sie für sich entwickelt? Das Betrauern befreit uns davon, die Eltern anzuklagen oder uns selbst zu bedauern, dass wir diese Eltern haben. Vielmehr macht es uns neugierig, ihr Leben zu bedenken, ihr Gewordensein, ihre Art und Weise, mit Schwierigkeiten umzugehen, und die Liebe und Sorge anzuerkennen, die sie für die Familie aufgebracht haben.

Ein anderes großes Thema ist die Beziehung zu den eigenen Kindern. Alle Eltern haben den besten Willen, ihre Kinder gut zu erziehen. Aber sie kommen nicht selten an ihre eigenen Grenzen. Sie haben manchmal den Eindruck, dass ihre Kinder ihnen entgleiten, dass sie ganz andere Wege gehen. Dann kommen Schuldgefühle hoch. Gerade in der Erziehung von Kindern und der Begleitung von jungen Menschen erleben wir, dass wir auf den Segen Gottes angewiesen sind. Ob das, was wir für die Kinder tun, wirklich Segen bringt, hängt nicht allein von uns ab. Da bringt es nicht viel, auf die „Autorität“ von Erziehungsbücher zu setzen und sich in Vorwürfe zu vergraben, dass man irgendwelchen Idealbildern nicht entspricht. Viel entscheidender ist, Kinder mit aller Sorge und Liebe zu erziehen und dabei auch dem eigenen Gefühl zu trauen. Und viel wichtiger ist, darauf zu vertrauen, dass der Samen, den wir in die Kinder hinein gelegt haben, irgendwann auch einmal aufgehen wird. Und wenn sich die Kinder anders entwickeln, dürfen Eltern darauf vertrauen, dass ihre Kinder einen Engel haben, der sie auf allen Umwegen und Irrwegen begleitet und sie irgendwann auf den Weg führen wird, der für sie stimmt und sie zum Leben bringt.

Wir haben uns immer sehr um unser Kind gekümmert und es gefördert. Schulisch haben wir es mit allem Möglichen probiert, mit Überreden, mit Belohnung, mit teurem Nachhilfeunterricht. Aber mein Kind schafft den Übergang ins Gymnasium nicht. Ich selber stamme aus einfachen Verhältnissen, konnte durch glückliche Umstände studieren und weiß, wie sehr es in unserer Gesellschaft darauf ankommt, „mitzukommen“. Natürlich will ich unser Kind keinem allzu großen Druck aussetzen, andererseits kommt man vermutlich ohne Druck auch nicht weiter.

Wie sehr dürfen wir

unser Kind fordern?

Jedes Kind ist einmalig und hat seine besondere Begabung. Es muss nicht immer die intellektuelle Begabung sein. Wenn Ihr Kind den Übertritt ins Gymnasium nicht schafft, ist das kein Beinbruch. Es hat vermutlich andere Begabungen, die es zu entdecken und zu fördern gilt. Sie sollten auch die eigenen Erwartungen nicht in das Kind hinein projizieren. Viel hilfreicher ist es, sich in das Kind hinein zu meditieren. Was hat es für Stärken? Wo blüht es auf? Was möchte in ihm fließen? Vertrauen Sie darauf, dass Ihr Kind seinen Weg für sich finden wird, auf dem das Leben gelingt. Das Gelingen muss aber nicht immer so aussehen, wie wir uns das vorstellen. Manchmal gibt es auch Spätzünder, die erst später aufwachen und dann auf das Gymnasium gehen oder andere Kurse belegen, auf denen sie sich weiterbilden. Es gibt viele Wege zum gelingenden Leben. Vertrauen Sie dem Kind und vertrauen Sie, dass Gott seine gute Hand über es hält und dass sein Engel es begleitet und es auf den Weg führt, auf dem es in seine Einmaligkeit und Einzigartigkeit hinein wächst.

Entscheidend ist,

dass wir uns fragen, was das Kind braucht, damit es seine Begabungen auch entwickelt.

Sie sprechen von dem Druck, ohne den wir nicht weiter kommen. Natürlich kann sich Ihr Kind nicht einfach seinen Launen überlassen. Es braucht die Herausforderung. Und es braucht Grenzen, an denen es sich reibt. Ohne Herausforderung und ohne Grenzen wird das Kind nicht wachsen. Aber es ist für die Eltern immer eine Gratwanderung: Wie eng setze ich die Grenzen und wie viel ist von den Kindern zu fordern? Entscheidend ist, dass wir nicht unsere Erwartungen in das Kind hinein legen, sondern uns fragen, was das Kind braucht, damit es seine Begabungen auch entwickelt. Es gibt leider auch Kinder, die ihre schwächere Begabung als Ausrede benutzen und sich einfach nur hängen lassen. Das tut ihnen jedoch nicht gut. Fordern Sie das Kind also heraus, aber so, dass das, was in ihm steckt, wachsen kann. Und glauben Sie an Ihr Kind. Der Glaube lässt es wachsen. Und Sie brauchen die Hoffnung auf das, was Sie noch nicht sehen. Hoffen meint nicht, bestimmte Erwartungen an das Kind zu haben. Ich hoffe vielmehr für das Kind und auf das Kind, dass es das, was noch verborgen in ihm ist, auch entfalten wird. Ihre Hoffnung ist der beste Dünger für den verborgenen Samen, der im Kind aufblühen möchte.

Ich habe in meiner Jugend, vor allem was Sexualität angeht, eine ziemlich rigide und mit vielen Verboten belastete Erziehung „genossen“ und leide noch heute darunter. Meinen Kindern möchte ich eine solche angst- und drohungsbesetzte Erziehung ersparen. Sie würden das auch nicht akzeptieren. Und andererseits will ich doch nicht in bloße Beliebigkeit verfallen, die ich allenthalben in unserer Umgebung bemerke.

Wo sollte ich

Grenzen setzen?

Gerade in unserer Welt,

in der alles erlaubt scheint, sehnen sich Kinder nach Klarheit.

Sprechen Sie mit Ihren Kindern darüber, was sie über Sexualität denken. Und dann erzählen Sie von Ihrer Erfahrung mit der Sexualität, natürlich auch von der rigiden Erziehung, aber auch von den Maßstäben, die Sie beim Erleben der Sexualität selber als stimmig erlebt haben. Wenn Sie sich einig sind über den Sinn der Sexualität, dann können Sie auch Grenzen setzen. Die Grenzen sind nicht willkürlich. Sie erinnern mit den Grenzen Ihre Kinder nur an den wahren Sinn der Sexualität, auf den Sie sich im Gespräch geeinigt haben. Wenn Sie im Gespräch keine Einigung erzielt haben, dann trauen Sie Ihrem Gefühl. Wenn die Kinder noch zu jung sind, um verantwortliche Entscheidungen bezüglich der Sexualität zu treffen, dann können Sie sich einfach auf Ihr Gefühl verlassen. Sie können den Kindern durchaus zumuten, dass Sie es nicht erlauben können, dass die Freundin, die noch keine 16 Jahre alt ist, mit Ihrem Sohn in einem Zimmer übernachtet. Es kann sein, dass Ihre Kinder Sie als eng und altmodisch bezeichnen. Wenn Sie von etwas überzeugt sind, dürfen Sie sich von solchen Vorwürfen nicht verunsichern lassen. Das ist der Versuch, Sie zu drängen, Ihre Entscheidungen rückgängig zu machen. Aber eigentlich sehnen sich Kinder nach klaren Grenzen. Auch wenn sie darüber schimpfen, werden die Kinder Sie achten und sich gleichzeitig an den Grenzen reiben. Natürlich kann es nicht darum gehen, Grenzen willkürlich zu setzen. Dazu bedarf es reiflicher Überlegung. Gerade in unserer Welt, in der alles erlaubt zu sein scheint, sehnen sich Kinder nach Klarheit. Aber sie sehnen sich auch nach Verstandenwerden. Sie möchten ernst genommen werden. Fragen Sie daher Ihre Kinder, wie sie selbst die Sexualität sehen und was sie sich von ihr erhoffen. Viele Jugendliche haben durchaus ein gesundes Gespür für das Wesen der Sexualität, die nur dort als beglückend erlebt werden kann, wo ich Sicherheit, Bindung, Akzeptanz und Treue erfahre.

Wir haben drei Kinder. Wie kann es uns gelingen, unsere Kinder zu wertbewussten, dankbaren, hilfsbereiten und religiös sensiblen Menschen zu erziehen – wenn das...