Meine kaukasische Schwiegermutter

von: Wladimir Kaminer

Manhattan, 2010

ISBN: 9783641048778 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Meine kaukasische Schwiegermutter


 

"Meine Schwiegermutter in Berlin (S. 94-95)

Die großen überdachten Kaufhallen für Lebensmittel, die sogenannten Supermärkte, sind im Nordkaukasus verpönt. Der einzige Lebensmittelladen im Dorf meiner Schwiegermutter hat die Größe einer Berliner Eisdiele. Die Hälfte des Platzes nimmt die Verkäuferin in Anspruch, die andere Hälfte ist mit Brot, Makkaroni, Zucker, Salz und Zigaretten vollgestellt. Es werden außerdem noch Milch und Butter verkauft, die von der eigenen Kuh der Verkäuferin kommen.

Das dekadente Lebensmittelsortiment eines Supermarktes, die Armee von Joghurts mit gesundheitsfördernden Bakterien, die Fleischpasteten aus der Leber exotischer Tiere, die Barrikaden aus Ananaskonfitüre finden in der ländlichen Gegend des Kaukasus keine Abnehmer. Hier wird nur etwas verkauft, was die Bewohner jeden Tag zum Leben brauchen. Bei uns in Berlin wundere ich mich seit zwanzig Jahren über die Menge der Lebensmittel, die in den Hallen der großen Supermärkte ausliegt.

Das eindrucksvolle Sortiment tut mir leid und lässt außerdem viele Fragen offen. Ich glaube nicht, dass diese Mengen jemals tatsächlich verkauft werden können. Wer soll das alles lagern und essen? Selbst wenn jeder Berliner eine Kaufkraft von der Stärke einer Atombombe und den Magen eines Mammuts hätte, würde man es nicht schaffen, alle Regale in den Supermärkten leer zu kriegen. Jemand, der am Ende des Tages als letzter Kunde in einem Supermarkt vorbeischaut, findet die Regale genauso voll, wie sie am Vormittag waren, als hätten die Kunden gar nichts nach Hause mitgenommen.

Dabei sind die meisten Produkte in diesen Kaufhäusern schnell verderblich, sie können nicht ewig im Regal liegen. Es gibt nur eine Erklärung: Irgendwo tief unter der Erde muss es unter jedem Supermarkt einen Joghurt-Drachen geben, dem alle übrig gebliebenen Produkte mit überschrittenem Verfallsdatum in den Rachen geschoben werden. Oft, wenn ich einkaufen gehe, stelle ich mir diesen Drachen vor, der Joghurts frisst. Es scheint mir, als könnte ich hören, wie er unter dem Supermarkt schwer atmend auf die neue Tagesration wartet. Deswegen gehe ich ungern in Berlin in großen Läden einkaufen.

Meine Schwiegermutter dagegen ist von den Berliner Kaufhallen begeistert. Je größer, desto besser. Sie geht jeden Tag einkaufen, wenn sie uns in Berlin besucht, ein Grund findet sich immer. Die Familie ist groß, irgendetwas fehlt dauernd. In Berlin wohnen wir zwischen zwei großen Einkaufscentern, einem im Westen und einem im Osten der Stadt. Beide sind gleich weit von unserem Haus entfernt, deswegen geht meine Schwiegermutter abwechselnd an einem Tag gen Osten und am nächsten Tag gen Westen einkaufen, um beiden Läden gerecht zu werden. Der tägliche Einkaufsbummel macht ihr großen Spaß. Wie eine Disko, in der die Menschen kommunizieren, ohne"