Blutkind - Die Rachel-Morgan-Serie 7 - Roman

von: Kim Harrison

Heyne, 2010

ISBN: 9783641039653 , 784 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 11,99 EUR

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Blutkind - Die Rachel-Morgan-Serie 7 - Roman


 

1
Der blutige Handabdruck war verschwunden. Vom Fenster, wenn auch nicht aus meiner Erinnerung, und es machte mich wütend, dass jemand saubergemacht hatte. Als würden sie versuchen, mir das bisschen Erinnerung an die Nacht zu nehmen, in der er gestorben war. Wäre ich ehrlich zu mir selbst, müsste ich eingestehen, dass die Wut hauptsächlich projizierte Angst war. Aber ich war nicht ehrlich zu mir selbst. An den meisten Tagen war es auch besser so.
Ich unterdrückte ein Schaudern von der Dezemberkälte, die jetzt in dem verlassenen Schiff herrschte, das nicht länger auf dem Wasser lag, sondern im Trockendock. Ich stand in der winzigen Küche und starrte die milchige Plastikscheibe an, als könnte ich nur durch meinen Willen den verschmierten Fleck zurückholen. Nicht weit entfernt konnte ich einen Dieselzug hören, der über den Ohio fuhr. Fords Schuhe kratzten hart über die Metallleiter, und Sorge ließ mich die Stirn runzeln.
Das Federal Inderland Bureau hatte die Akte zu Kistens Mord offiziell geschlossen – die Inderland Security hatte nicht mal eine aufgemacht -, aber das FIB wollte mich trotzdem nicht ohne eine offizielle Begleitung auf ihr Gelände lassen. Nachdem Edden der Meinung war, ich bräuchte noch psychiatrische Beobachtung, ich aber nicht mehr zu weiteren Sitzungen kam, war das in diesem Fall der intelligente, unbeholfene Ford. Ich kam nicht mehr, seitdem ich auf der Couch eingeschlafen war und das gesamte Büro von Cincinnati mich schnarchen gehört hatte. Ich brauchte keine Beobachtung. Was ich brauchte, war etwas – irgendwas -, das mein Gedächtnis wiederherstellte. Wenn es dafür einen blutigen Handabdruck brauchte, dann sollte es wohl so sein.
»Rachel? Warte auf mich«, rief der FIB-Psychiater, was meine Sorge in Verdruss verwandelte. Als könnte ich nicht damit umgehen? Ich bin ein großes Mädchen. Außerdem gab es gar nichts mehr zu sehen; das FIB hatte alles saubergemacht. Ford war offensichtlich schon vor mir hier gewesen – zu schließen aus der Leiter und der unverschlossenen Tür – und hatte sichergestellt, dass vor unserer Verabredung alles angemessen aufgeräumt war.
Das Klappern von Ledersohlen auf Teak trieb mich vorwärts. Ich entschränkte meine Arme und streckte eine Hand nach dem kleinen Tisch aus, um mich abzustützen, während ich aufs Wohnzimmer zuhielt. Der Boden bewegte sich nicht, was sich seltsam anfühlte. Jenseits der kurzen grauen Vorhänge vor den jetzt sauberen Fenstern sah ich schmutzig graue und leuchtend blaue Abdeckplanen von Booten im Trockendock und den Boden fast zwei Meter unter uns.
»Würdest du bitte warten?«, fragte Ford wieder und verdunkelte den Eingang, als er eintrat. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du einen Raum weiter bist.«
»Ich warte ja«, grummelte ich, blieb stehen und zog meine Schultertasche zurecht. Obwohl er versucht hatte, es zu verstecken, hatte Ford seine Schwierigkeiten damit gehabt, die Leiter zu erklimmen. Ich fand die Vorstellung von einem Psychiater mit Höhenangst witzig, bis das Amulett um seinen Hals sich leuchtend pink verfärbt hatte und sein Gesicht vor Scham rot angelaufen war. Er war ein guter Mensch, der seine eigenen Dämonen zu beherrschen hatte. Er hatte es nicht verdient, dass ich ihn aufzog.
Fords Atmung beruhigte sich in dem kühlen Schweigen. Bleich, aber entschlossen, griff er nach dem Tisch. Sein Gesicht war weißer als sonst, was seine kurzen schwarzen Haare und seine braunen, seelenvollen Augen noch betonte. Meinen Gefühlen zuzuhören war anstrengend, und ich wusste es zu schätzen, dass er durch meinen emotionalen Dreck watete, um mir dabei zu helfen, herauszufinden, was passiert war.
Ich schenkte ihm ein dünnes Lächeln, und Ford öffnete die ersten paar Knöpfe seines Mantels, um ein schlichtes Baumwollhemd und das Amulett freizulegen, das er immer bei der Arbeit trug. Der metallene Kraftlinienzauber war eine sichtbare Darstellung der Emotionen, die er empfing. Er spürte die Gefühle, egal, ob er den Zauber trug oder nicht, aber die Leute um ihn herum hatten zumindest eine Illusion von Privatsphäre, wenn er es abnahm. Ivy, meine Mitbewohnerin und Geschäftspartnerin, hielt es für dämlich, zu versuchen, Hexenmagie mit menschlicher Psychologie zu bekämpfen, um mein Gedächtnis wiederherzustellen, aber ich war verzweifelt. Ihre Versuche, herauszufinden, wer Kisten umgebracht hatte, führten zu nichts.
Fords Erleichterung, wieder von Wänden umgeben zu sein, war fast greifbar. Als ich sah, dass er seine Umklammerung am Tisch löste, ging ich auf die enge Tür zum Wohnzimmer und dem Rest des Bootes zu. Der entfernte Geruch von Vampir und Nudeln stieg mir in die Nase – eine Einbildung, ausgelöst von Erinnerungen. Es war fünf Monate her.
Ich biss die Zähne zusammen und hielt meine Augen auf den Boden gerichtet, weil ich den zerbrochenen Türrahmen nicht sehen wollte. Auf dem Teppich waren Schmutzspuren, die vorher nicht da gewesen waren. Flecken, die nachlässige Leute hinterlassen hatten, die Kisten nicht gekannt hatten, ihn niemals lächeln gesehen hatten, nicht wussten, wie seine Augenwinkel kleine Falten warfen, wenn es ihm gelungen war, mich zu überraschen. Eigentlich lag ein Inderlander-Tod ohne menschliche Beteiligung außerhalb der Zuständigkeiten des FIB, aber nachdem es der I. S. völlig egal war, dass mein Freund in ein Blutgeschenk verwandelt worden war, hatte sich das FIB nur für mich die Mühe gemacht.
Mord verjährte nicht, aber die Ermittlung war offiziell abgeschlossen worden. Dies war die erste Chance, die ich hatte, hier rauszukommen und zu versuchen, mein Gedächtnis aufzufrischen. Jemand hatte meine Unterlippe angeschnitten, in dem Versuch, mich an ihn zu binden. Jemand hatte meinen Freund zweimal getötet. Jemand würde in einer Hölle von Schmerz leben, wenn ich herausfand, wer er war.
Mit einem flauen Gefühl im Magen schaute ich an Ford vorbei zu dem Fenster, wo der blutige Handabdruck gewesen war. Er war hinterlassen worden wie ein spöttisches Warnschild, ohne uns irgendwelche brauchbaren Fingerabdrücke zu geben. Feigling.
Das Amulett um Fords Hals kippte zu einem wütenden Schwarz. Er suchte meinen Blick, während er die Augenbrauen hochzog, und ich zwang meine Gefühle, sich zu beruhigen. Ich konnte mich an nichts erinnern. Jenks, meine Rückendeckung und ebenfalls mein Geschäftspartner, hatte mich mit einem Trank vergessen lassen, damit ich Kistens Mörder nicht verfolgte. Ich konnte es ihm nicht übelnehmen. Der Pixie war nur zehn Zentimeter groß, und es war für ihn die einzige Möglichkeit gewesen, mich von einer Selbstmordmission abzuhalten. Ich war eine Hexe mit einer ungebundenen Vampirnarbe, und damit konnte ich mich keinem untoten Vampir entgegenstellen, egal, wie man es auch drehte und wendete.
»Bist du dir sicher, dass du dafür schon bereit bist?«, fragte Ford. Ich zwang meine Hand dazu, meinen Oberarm freizugeben. Wieder. Er pulsierte in einem längst vergangenen Schmerz, als eine Erinnerung sich bemühte, an die Oberfläche zu kommen. Angst breitete sich in mir aus. Die Erinnerung daran, dass ich auf der anderen Seite dieser Tür gestanden und versucht hatte, sie einzutreten, war alt. Es war fast die einzige Erinnerung, die ich an diese Nacht hatte.
»Ich will es wissen«, sagte ich, aber meine Stimme klang sogar in meinen eigenen Ohren unsicher. Ich hatte diese verfickte Tür eingetreten. Ich hatte den Fuß benutzt, weil mein Arm zu wehgetan hatte, um ihn zu bewegen. Ich hatte zu dieser Zeit geheult, und meine Haare hatten vor meinem Gesicht gehangen. Ich hatte die Tür eingetreten.
Eine weitere Erinnerung tauchte auf, und mein Puls raste, als etwas hinzugefügt wurde: Ich war rückwärts gefallen und gegen eine Wand geknallt. Mein Kopf war gegen eine Wand geschlagen. Ich hielt den Atem an und starrte durch das Wohnzimmer und auf die nichtssagende Wandverkleidung. Genau da. Ich erinnere mich.
Ford kam mir ungewöhnlich nah. »Du musst es nicht auf diese Art machen.«
In seinen Augen stand Mitleid. Mir gefiel nicht, dass er es meinetwegen empfand. Sein Amulett wurde silbern, als ich meinen Willen sammelte und durch den Türrahmen trat. »Doch«, sagte ich entschlossen. »Selbst wenn ich mich an nichts erinnere, könnten die FIB-Kerle etwas übersehen haben.«
Das FIB war fantastisch darin, Informationen zu sammeln, sogar besser als die I. S. Das mussten sie auch sein, weil die menschlich geführte Behörde sich darauf verlassen musste, Beweise zu finden, statt den Raum auf Gefühle zu untersuchen oder Hexenzauber zu verwenden, um festzustellen, wer das Verbrechen begangen hatte und warum. Aber jeder konnte einmal etwas übersehen, und das war einer der Gründe, warum ich hier war. Und um mein Gedächtnis wiederzufinden. Jetzt, wo ich hier war, hatte ich Angst. Mein Kopf war gegen die Wand geschlagen … genau da drüben.
Ford kam hinter mir in den Raum und beobachtete mich, während ich das Wohnzimmer mit der niedrigen Decke scannte, das sich von einer Seite des Bootes bis zur anderen zog. Es sah völlig normal aus, mal abgesehen von der Skyline von Cincy, die durch die schmalen Fenster sichtbar war. Ich legte eine Hand auf den Bauch, als mein Magen sich verkrampfte. Ich musste das tun, egal, woran ich mich erinnerte.
»Ich meinte«, sagte Ford, »dass es noch andere Wege gibt, sich zu erinnern.«
»Wie Meditation?«, fragte ich. Es war mir immer noch peinlich, dass ich in seinem Büro eingeschlafen war. Ich spürte die Anfänge von Stress-Kopfweh und stiefelte an der Couch vorbei, auf der Kisten und ich zu Abend gegessen hatten, an dem Fernseher mit dem lausigen Empfang – nicht,...