Das Spiel des Sängers - Historischer Roman

von: Andrea Schacht

Blanvalet, 2010

ISBN: 9783641046866 , 640 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Das Spiel des Sängers - Historischer Roman


 

Der erste Tag
O Fortuna
rasch wie Luna
wechselhaft und wandelbar,
ewig steigend
und sich neigend:
Fluch der Unrast immerdar!
Eitle Spiele,
keine Ziele,
also trügst den klaren Sinn;
Not, Entbehren,
Macht und Ehren
schwinden wie der Schnee dahin.2

Die Ankunft des Helden


Den morgendlichen Dunst über dem Rhein durchdrang die Sonne, und ihr Licht spielte neckisch auf den kleinen Wellen der Strömung. Wir warteten auf die Fähre nach Langel, die sich an ihrer langen Kette gemächlich über den Fluss schwang.
»Ziemlich mickrig, die Burg da drüben!«, murrte Ismael neben mir.
»Wird sich zeigen. Du bist anspruchsvoll geworden, mein Junge.«
Er grinste, und drei Wäschermädchen blieben stehen, um ihn mit bewundernden Blicken anzustarren.
Ismaels Gesicht war das eines gefallenen Engels, der sich beim Aufprall auf dem irdischen Boden einen Schneidezahn angeschlagen hatte.
Dieser kleine Makel verlieh ihm einen besonderen Zauber. Seine Wangen, fast bartlos noch, waren tief gebräunt, seine Augen dunkel, sein Haar glänzte schwarz und fiel ihm glatt auf die Schultern. Die würden vielleicht mit den Jahren noch etwas breiter werden, denn er hatte eben siebzehn Lenze gesehen. Abwechslungsreiche Lenze, die ihn klüger als manchen Älteren hatten werden lassen.
Er war so etwas wie mein Diener, Begleiter, Schutzbefohlener oder vielleicht auch mein dunkler Engel. Jetzt hielt er unsere Pferde im Zaum und warf den Wäscherinnen freche Scherzworte zu.
Neben uns versammelten sich weitere Gestalten, die zum anderen Ufer übersetzen wollten. Die Fähre war groß genug, um auch Wagen und Tiere aufzunehmen, und das Entladen brauchte seine Zeit. Ein magerer Kerl mit stechenden Augen drängte sich an unseren Rössern vorbei, eine Krämerin zeterte, weil er ihre Kiepe angerempelt hatte, ein behäbiger Handwerker wich ihm aus und trat einem Bierkutscher auf den Fuß. Dessen Kommentar war lehrreich für uns alle.
Endlich konnten auch wir unsere Pferde auf die hölzernen Bohlen der Fähre führen. Ismael entrichtete den Lohn aus seinem Beutel, und das Gefährt machte sich, von der Strömung getrieben, auf seinen beschaulichen Weg zum linken Rheinufer auf.
Unsere Tiere waren ausgezeichnet ausgebildet, sie zeigten keine Aufregung, selbst als der magere Mann sich ihnen näherte.
Ich blieb ebenso gelassen, doch als ich seine Hand an meinem Gürtel bemerkte – eine windhauchzarte Berührung nur -, erlaubte ich mir, sie zu fassen, ihm das Gelenk umzudrehen und ihn auf die Knie zu zwingen.
Er stöhnte gepeinigt auf. Gut so; ich wusste, was wehtat. Freundlich lächelte ich ihn an.
»Ein Beutelschneider!«
»Aber nein, Herr«, winselte der Magere. »Es war nur das Schwanken der Fähre.«
Doch die Aufmerksamkeit der anderen Passagiere war geweckt, und ein jeder tastete nach seiner Barschaft. Die Krämerin, der Handwerker und der Bierkutscher hatten daraufhin nichts dagegen, dass ich den Kerl in den Fluss warf.
Der Fährmann zuckte mit den Schultern, als ein Pfaffe zu protestieren begann.
»Er wird in der nächsten Biegung ans Ufer gespült, wenn er nicht so dumm ist unterzugehen«, beschied der Flussmann ihn.
»Und beschwerendes Gut trägt er ja auch nicht mehr bei sich«, erklärte Ismael und händigte den drei Bestohlenen ihre Beutel aus.
So viel zu Taschendieben.
 
Die Burg Langel ragte in der Stromschleife über dem Auenwald auf. Nicht eine Anhöhe schützte sie vor Eindringlingen, sondern ein Wassergraben, der sich rund um die trutzigen Ringmauern zog. Wir ritten in gemütlichem Schritt auf sie zu, und in stillem Einvernehmen schlugen wir nicht den direkten Weg zur Torburg ein, sondern umrundeten die Anlage zunächst einmal. Es war eine Erfahrung aus vielen Jahren, dass es immer gut war, sich mit dem Gelände vertraut zu machen, auf dem man die nächste Zeit verbringen würde.
Gen Süden schlossen sich an die langgestreckte Mauer mit dem Wehrgang die Felder an, deren saftig grüne Halme im leichten Wind wie Wellen wogten. Hier ragte auf der Landseite der Palas auf, ein viereckiger Wohnturm, doch zinnenbewehrt. Wenige Schritt weiter hatten wir den östlichen Wehrturm umrundet und trafen auf das Dörfchen, das sich im Schutz der Burg angesiedelt hatte. Kein großes Dorf, nur eine lockere Ansammlung von Häusern um eine Kirche, von deren Turm das blecherne Scheppern einer gesprungenen Glocke erklang.
»Da scheint jemand was zu verkünden zu haben«, sagte ich und wies mit dem Kinn auf die Gruppe von Weibern, Kindern und in staubigen Kitteln steckenden Landarbeitern.
»Euer Kommen, Meister?«
»Kaum, Junge. Eher das Kommen eines großen Unheils.«
»Meinte ich doch.«
»Bengel!«
Wir blieben in gebührendem Abstand stehen, um der laut tragenden Stimme des Predigers zuzuhören, der das Publikum in seinen Bann geschlagen hatte. Da er seine feurige Rede vor der Kirche hielt, nahm ich an, dass es sich nicht um den örtlichen Pfarrer handelte, sondern um einen der zahllosen Wanderprediger, die derzeit das kosmische Geschehen zum Anlass nahmen, die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, um sie dann für ihre Erlösung zahlen zu lassen.
Und richtig: Auch hier war der fallende Stern, der seit zehn Tagen am nächtlichen Himmel seinen immer länger werdenden Schweif zeigte, Gegenstand der Mahnungen. Wortreich beschwor der Mann das Ende der Welt, die Vernichtung der Sünder, das Kommen von Seuchen und Überschwemmungen, Hunger, Elend und plötzlichen Tod. Es verfehlte nicht seine Wirkung, das gutgläubige Volk seufzte und schauderte, heulte und klapperte mit den Zähnen.
Und mit den Münzen.
Ein billiges Spiel, und so gefahrlos. Denn der Stern würde nicht fallen, sondern seine Bahn über das Firmament ziehen, so wie die Gelehrten es vorhersagten. Aber das war für die einfältigen Bauern nicht einsichtig, sie glaubten lieber an die hereinbrechenden Katastrophen. Das war bei Weitem unterhaltsamer, vor allem, wenn man sich ausmalen konnte, wie es den sündigen Nachbarn traf.
»Reiten wir weiter, Ismael, sonst betrachten sie dich noch als den Boten der Hölle.«
»Mich, Meister?«
»Du hast ein diabolisches Grinsen.«
»Und Ihr seht aus wie die Sünde, Meister, und die Weiber erkennen in Euch den höllischen Versucher.«
»Ich sehe nicht aus wie die Sünde, ich bin eine Augenweide«, stellte ich richtig und trieb mein Ross an. Manchmal war es angebrachter, den lüsternen Augen die Weide zu entziehen, vor allem, wenn fanatische Priester in der Gegend waren.
Wir erreichten unbehelligt den nördlichen Wachturm, hinter dem hoch der runde Bergfried aufragte. Entlang der Wehrmauer schloss sich hier ein kleiner Lindenhain an; ein liebliches Wäldchen, in dem es honigsüß aus den kleinen weißen Blüten duftete und das von Bienen summte.
Ich lenkte mein Pferd ein wenig näher an den Wassergraben. Mochten die Mannen auf dem Wehrgang uns ruhig sehen, wir waren geladene Gäste, die in Kürze am Tor Einlass erhalten würden. Immerhin gab es Wachen, die einen Blick über das Land hielten. Ich sah ihre Helme im Sonnenlicht blinken.
»Hübsch hier, wenn man ein Plätzchen zum Tändeln sucht«, meinte Ismael kenntnisreich und ließ seinen Blick über das weiche Grün am Boden schweifen.
»Mach dir nicht zu viele Hoffnungen. Die Burgfräulein haben den Ruf, sehr sittsam zu sein.«
Der Blick, den ich mit dieser Bemerkung erntete, sprach Bände. Der Junge war eindeutig bis ins Mark verdorben. Und um sein Seelenheil besorgt hielt ich mein Ross an und stieg ab. Am Rande des Wassergrabens hatte ich ein Heiligenhäuschen erspäht.
»Ihr wollt beten, Meister?«
»Für deine Errettung, Junge.«
»Da ist nichts mehr zu retten, Meister, bemüht Euch nicht. Aber vielleicht hilft’s Euch ja noch.«
»Weiß man’s? Schaden kann es nie. Sieh, es ist die Madonna im Ährenkleid, die hier ihre schützende Hand über das liebliche Fleckchen hält. Und wie es den hohen Frauen gebührt, wollen wir ihr ein Blütenopfer bringen. Runter vom Pferd, Junge. Frommer Minnedienst ist gefordert.«
Man musste dem Schlingel zugute halten, dass er manche Dinge nicht nur willig, sondern auch gerne und äußerst geschickt erledigte. Maiblumen und Veilchen schmückten bald den Kranz, den ich aus wildem Efeu geflochten hatte. Noch weitaus geschickter aber erwies Ismael sich darin, das starke Gitter vor dem Standbild in dem kleinen Häuschen zu öffnen. Der Riegel und die Scharniere waren verrostet, doch Ismael war für solche Probleme wie immer gerüstet. Mit einem Krüglein Öl und seinem langen Messer hatte er die alte Gittertür bald bezwungen.
»Scheint kaum noch jemand zu interessieren, die Ährenmadonna.«
»Sieht so aus. Schade, denn es ist eine hübsche Statue.«
Ich räumte ein altes Vogelnest zu Mariens Füßen weg, kehrte die trockenen Lindenblätter von ihrem Sockel und Spinnweben von ihrem Haupt. Von ihrer Krone war die Vergoldung fast ganz abgeblättert, das Blau ihres faltenreichen Gewandes verblichen, die Ähren darauf kaum noch zu erkennen. Doch der eiserne Sockel, auf dem sie stand, war unversehrt, und ihr Antlitz strahlte ruhige Güte aus. Demütig hielt sie den Blick gesenkt, ein liebliches Bild vollendeter Weiblichkeit, wie Männer es sich immer ersehnen. Manche. Nicht alle.
»Die Jungfrau mag für Eure Seele bitten, aber ehrlich, Meister, ein keckes Mädchen bereitet mehr...