Jahrbuch Musikpsychologie - Band 17 Musikalische Begabung und Expertise

von: Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen, Helga de la Motte-Haber (Hrsg.)

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2004

ISBN: 9783840914539 , 205 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 26,99 EUR

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Jahrbuch Musikpsychologie - Band 17 Musikalische Begabung und Expertise


 

Musikalische Begabung aus Sicht der Cultural Studies  (S. 50-51)
Jan Hemming
Zusammenfassung

Ein wichtiger Bestandteil der Cultural Studies ist die Identifikation und die Kritik essentialistischer Begriffe, zu denen auch der Terminus Begabung gezählt werden muss. Zu diesem Zweck wird eine Analyse des Gebrauchs dieses Begriffes in wissenschaftlichen, aber auch in alltäglichen Zusammenhängen vorgenommen. Diese Erschließung des „Diskursfeldes" ermöglicht zunächst einen alternativen Blick auf die Geschichte der Begabungsforschung. Daraus wird ersichtlich, dass die traditionelle Musikauffassung und der traditionelle Begabungsbegriff sich gegenseitig in ihrem kulturellen Wertesystem bestätigen. So wie die westlich-abendländische, tonale Musik als natürlich empfunden wird, erscheint auch Begabung als naturgegebene Anlage für eben diese Musik. In einer kulturwissenschaftlichen Argumentation, die vereinfacht als konsequente Anwendung der Frage „Begabung Ð wozu eigentlich?" charakterisiert werden kann, wird der Begriff dann aus seinem traditionellen Kontext herausgelöst. Der resultierende semantisch entleerte Begriff von Begabung ist der Ausgangspunkt für eine mögliche Neufassung des Begriffs, um diesen beispielsweise auf den Bereich der populären Musik übertragen zu können.

Abstract

Among the central strategies of Cultural Studies is the identification and the critique of essentialist notions in language, such as the term Begabung. Starting point is an analysis of the usage of this and related terms in academic and also in everyday language. Charting the ,discursive field‘ around central notion of Begabung helps to develop an alternative view of the history of research on giftedness and talent. It becomes clear that the traditional (classical) concept of music and the traditional notion of Begabung are reaffirming each other in their system of cultural values. Just as Western, tonal music is found to be most natural, giftedness and talent are considered to be the natural (re-)sources for exactly this kind of music. Based on a Cultural-Studies-critique which can most easily be understood as a continuous reiteration of the question „Begabung for what?", the term can be unchained from its traditional context. The resulting, semantically emptied notion of Begabung serves as a point of departure for a new conception of this term and possible applications in the domain of popular music.

Die Auseinandersetzung innerhalb der Psychologie hinsichtlich ihres Selbstverständnisses als Naturwissenschaft oder als Geisteswissenschaft reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück. In den heute dominierenden Ausrichtungen wie etwa der klinischen und der empirischen Psychologie wird auf Exaktheit und Genauigkeit der Verfahren großer Wert gelegt, wodurch eine deutliche Nähe zur Naturwissenschaft (z.B. Eysenck 1985) entsteht. So ist fachintern etwa von der „Messung von Selbstkonzepten" (Mummendey 1979, S. 171), von „measures of natural abilities" (Gagne´ 1995, S. 108), von „Measurement of musical talent" (Seashore 1919) oder von „Measures of musical abilities" (Bentley 1968, S. 12) die Rede. Gerade aber die Vorstellungen von Exaktheit und Messbarkeit müssen mit Nachdruck hinterfragt werden, wenn sie auf geistige oder gar künstlerische Phänomene bezogen werden Ð ein Problem, auf das etwa Adorno in seiner Rezension von Seashores „Psychology of Music" bereits eindringlich hingewiesen hat (Adorno [1940] 1997).