Vampire Earth - Tag der Finsternis - Roman

von: E. E. Knight

Heyne, 2010

ISBN: 9783641043117 , 464 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 7,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Vampire Earth - Tag der Finsternis - Roman


 

2
Nordminnesota, im neununddreißigsten Jahr der kurischen Herrschaft: Er wuchs in der ländlichen Umgebung der Seen des oberen Minnesota auf. David Stuart Valentine war während eines der unendlich langen Winter in einem stabilen Ziegelhaus am Lake Carver zur Welt gekommen. Die verstreuten Siedlungen dieser Region verdanken ihr Überleben weniger dem Widerstand als der Unzugänglichkeit des Geländes. Die Kur mögen die Kälte nicht und überlassen es ihren Quislingen, den Bereich hin und wieder in Augenschein zu nehmen. Die Schlächter kommen nur im Sommer, in einer makaberen Imitation der Angler und Camper, die früher zwischen Mai und September die Seen aufsuchten.
In den ersten paar Jahren nach der Niederlage lebten unzählige Flüchtlinge zwischen den Seen und Wäldern dieser Gegend, die als Boundary Waters bekannt war. Sie säuberten die von Rasern heimgesuchten Zonen, aber sie weigerten sich die Guerilleros zu unterstützen, denn die meisten von ihnen hatten bereits anderswo die Vergeltungsmaßnahmen der Schlächter kennengelernt. Sie wollten nichts weiter als in Ruhe gelassen werden, und hier wurden sie nur vom Wetter beherrscht. In jedem Herbst gab es eine hektische Erntezeit, und wenn der Schnee kam, drängten sich die Familien für den Winter zusammen. Eisfischen war schon lange kein Sport mehr, sondern diente dem Überleben. Im Sommer zogen sie sich tief in die Wälder zurück, weit entfernt von den Straßen, und kehrten erst wieder in ihre Häuser zurück, nachdem die Schlächter erneut von der Kälte nach Süden vertrieben worden waren.
Die Familie des jungen David war typisch für die Diaspora, die in dieser Gegend Zuflucht gefunden hatte. Er hatte skandinavische, indianische und sogar asiatische Ahnen in einem Stammbaum, dessen Wurzeln sich von Quebec bis nach San Francisco erstreckten. Seine Mutter war eine schöne, sportliche Sioux aus Manitoba, sein Vater ein ehemaliger Marinepilot.
Die Geschichten seines Vaters machten die Welt für David zu einem größeren Ort, als sie es für die meisten Kinder seines Alters war. Er träumte davon, über den Pazifik zu fliegen, wie andere Jungen davon träumten, Pirat zu werden oder ein Floß zu bauen und den Mississippi entlangzuschippern.
Seine Kindheit endete abrupt, als er elf Jahre alt war, an einem kühlen Septembertag, der den ersten Frost des Herbstes brachte. Die Familie war gerade wieder aus ihrer Sommerzuflucht in ihr Heim zurückgekehrt, aber ein oder zwei Quislingpatrouillen waren immer noch unterwegs. Den Reifenspuren nach zu schließen, die David später fand, waren zwei LKWs – wahrscheinlich die langsamen, alkoholbetriebenen Fahrzeuge, die die ländlichen Patrouillen bevorzugten – zum Haus gekommen. Vielleicht wurden auch die Insassen vom Alkohol getrieben. Die Patrouille leerte die Speisekammer und beschloss dann, den Rest des Nachmittags damit zu verbringen, Davids Mutter zu vergewaltigen. Aufmerksam geworden durch das Motorengeräusch, war sein Vater vom Seeufer heraufgekommen und in einem Kugelhagel gestorben. David hatte die Schüsse im Wald gehört, wo er wilden Mais sammelte. Er eilte nach Hause, begleitet von wachsender Angst um seine Familie.
David erforschte das viel zu stille Haus. Der Geruch von Tomaten, die seine Mutter gekocht hatte, erfüllte die Vier-Zimmer-Hütte. Als Erstes fand er seine Mutter, geschändet und mit durchgeschnittener Kehle. Aus Bosheit oder Gewohnheit hatten die Eindringlinge auch seinen kleinen Bruder getötet, der gerade gelernt hatte, seinen Namen zu schreiben, und seine Schwester, noch ein Baby, war ebenfalls tot. David weinte nicht – elfjährige Männer weinen nicht, sagte sein Vater immer. Er ging um das Haus herum und fand seinen Vater tot im Hinterhof. Eine Krähe saß auf der Schulter des ehemaligen Piloten und pickte an dem Gehirn, das durch ein baseballgroßes Loch im Hinterkopf sichtbar war.
David ging zum Padre. Es bereitete ihm Mühe, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen; aus irgendeinem Grund hätte er sich am liebsten einfach nur hingelegt und geschlafen. Dann tauchte der vertraute Pfad zum Haus des Padre auf. Das Zuhause des Priesters diente als Schule, Kirche und öffentliche Bibliothek der Region. David kam aus der kalten Abendluft nach drinnen und erzählte dem Geistlichen, was er gesehen und gehört hatte, dann bot er an, mit dem Padre zu seinem Haus zurückzukehren. Der Priester bereitete dem Jungen im Keller ein Bett. Dieser Raum wurde für den Rest von Davids Jungenzeit sein Zuhause.
Ein schlichtes Grab nahm die vier Opfer alter Sünden auf, die von den neuen Herren wieder auf die Welt losgelassen worden waren. David warf die erste Erde auf die Leichentücher, die verbargen, wie gewaltsam seine Familie gestorben war. Nach dem Begräbnis, als kleine Gruppen von Nachbarn nach und nach aufbrachen, ging auch David davon, die tröstende Hand des Padre auf seiner Schulter. Er blickte zu dem Priester auf und beschloss, die Frage zu stellen, die ihn beunruhigte.
»Vater Max, hat jemand ihre Seelen gefressen?«
 
 
An jedem Schultag hatten sie einen Bibelvers, ein Sprichwort oder ein Zitat auswendig lernen müssen. Häufig genug schrieben sie es ab, nahmen es aber mit dem Auswendiglernen nicht so genau. Manchmal hatten die Zeilen etwas mit dem Unterrichtsthema zu tun, manchmal nicht. Das Zitat dieses verregneten letzten Schultags hatte eine besondere Bedeutung für die älteren Schüler, die noch eine Woche blieben, nachdem die Grundschüler dem feuchten Klassenzimmer für den Sommer entkommen waren. Man hätte diese besondere Lektion »Tatsachen zum Thema Tod« nennen können. Der Padre hoffte, ein paar von den Fehlinformationen korrigieren zu können, die aus Gerüchten und Legenden entstanden waren, und dann die Wissenslücken darüber zu schließen, was seit der Niederlage geschehen war, als der Homo sapiens seine Position am oberen Ende der Nahrungskette verlor. Das Thema war für einige der jüngeren Schüler zu bedrückend, und die Eltern anderer hatten etwas dagegen, also nahmen nur wenige an dieser letzten Unterrichtswoche teil.
Nun deutete der Padre, um mit der Diskussion dieses Nachmittags zu beginnen, noch einmal auf das Zitat. Vater Maximillian Argent war mit seinen langen, geschickten Armen und muskulösen Schultern dafür gebaut, auf etwas zu deuten. Dreiundsechzig Jahre und viele lange Meilen von seinem Geburtsort in Puerto Rico entfernt, zeigte das Haar des Padre erst jetzt die grau melierte Färbung des Alters. Er war die Art von Stütze, auf die sich eine Gemeinschaft verlassen konnte, und wenn er bei Versammlungen sprach, lauschten die Bewohner der Region seiner klaren und melodiösen Stimme und seiner präzisen Aussprache so aufmerksam wie seine Schüler.
Auf der Tafel standen an diesem Tag siebzehn Worte in Vater Max’ ordentlicher Handschrift: JE WEITER MAN IN DIE VERGANGENHEIT BLICKT, DESTO BESSER KENNT MAN DIE ZUKUNFT – WINSTON CHURCHILL. Normalerweise hätte sich Valentine für die Lektion interessiert, denn er mochte Geschichtsunterricht. Aber sein Blick wurde immer wieder vom Fenster angezogen, hinter dem es nicht aussah, als wollte es aufhören zu regnen. Er hatte sogar das undichte Dach als Ausrede benutzt, um sein Pult weiter nach links zu schieben, so dass es sich jetzt direkt an der Wand unter dem Fenster befand, und in die weiße Schüssel mit dem Haarriss, die dort stand, wo sich sonst sein Pult befand, war inzwischen genug Regenwasser von der Decke getropft, so dass hier und da ein Plopp! den Vortrag des Padre interpunktierte. Valentine suchte am Himmel nach einem Anzeichen, dass es bald aufhören würde zu regnen. Heute war der letzte Tag des Sportfestes, und das bedeutete Querfeldeinlauf. Wenn die Ratsherren das Sportfest wegen des Wetters vorzeitig beendeten, würde David keine Gelegenheit mehr haben, über seinen jetzigen Platz – den Dritten – hinauszukommen.
Jedes Jahr im Frühling versammelten sich die jungen Leute aus der gesamten Zentralregion der Boundary Waters, um mit anderen aus ihrer Altersgruppe zu wetteifern, als Teil des allgemeinen Festes, das das Ende des Winters und den Beginn des großen Versteckens kennzeichnete. Dieses Jahr hielt Valentine es für möglich, den ersten Preis zu gewinnen. Auf dem zweiten und dritten Platz bekam man einen festen Händedruck und einen Blick aus der Nähe auf die Trophäe, die der Erste mit nach Hause nehmen durfte. Der Preis für Jungen von sechzehn bis achtzehn war eine echte Schrotflinte, keine Jagdmuskete, mit fünfzig Schrotpatronen. Ein gutes Gewehr bedeutete eine gute Jagdzeit. Der Padre und David konnten Hilfe gebrauchen. Vater Max unterrichtete mehr oder weniger umsonst, und Valentine verdiente nicht viel damit, endlos Feuerholz für die Nachbarn zu hacken. Wenn Valentine gewann, würden er und der Padre bis lange nach dem ersten Schneefall Gänse, Enten und Fasane essen.
»Mr. Valentine«, sagte Vater Max und riss David aus seiner imaginären Mahlzeit, »bitte schließen Sie sich der Klasse wieder an. Wir sprechen über ein sehr wichtiges Thema: Ihre Vergangenheit.«
»Dave«, flüsterte Doyle ein Pult hinter ihm, »ich hätte nie gedacht, dass du so was wie ein Mann mit Vergangenheit bist.«
Plopp, fügte die Schüssel rechts hinzu.
Der Padre ballte die Faust, so dass seine Fingerknöchel knackten; Doyles schlechte Witze waren so selbstverständlich wie das Wasser, das bei Regen ins Klassenzimmer tröpfelte. Offenbar kam der Lehrer zu dem Schluss, er sollte beides ignorieren, und konzentrierte sich weiter auf David.
»Tut mir leid, Vater«, sagte Valentine mit so viel Bedauern, wie ein...