Vampire Earth - Donnerschläge - Roman

von: E. E. Knight

Heyne, 2010

ISBN: 9783641043131 , 464 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Vampire Earth - Donnerschläge - Roman


 

2
New Orleans, City Center: Welchen Status er auch unter der kurischen Herrschaft innehat, ein Mensch muss stets an die Risiken denken, die damit einhergehen, sich bei Dunkelheit im Freien aufzuhalten, selbst in dem geschäftigen Geflecht aus Straßen und Bahnlinien im Zentrum der Stadt. Bei Nacht leuchtet die Lebensaura für die Sinne der Schlächter klar und deutlich und lockt sie ebenso an wie das Verlangen, das sich hinter ihren Augen verbirgt. Der Schlächter, groß, hager und in einen Umhang gehüllt, schnappt sich sein Opfer mit schmerzhaftem Griff und bohrt ihm seine lange Zunge in den Hals. Scharfe Zähne geben ihm Halt, während sich die Zunge zu dem wild pochenden Herzen tastet.
Dieser »letzte Tanz«, wie die Einheimischen sagen, lässt das Opfer blutleer zurück. Das rudimentäre Verdauungssystem der Schlächter absorbiert die nahrhafte Flüssigkeit, während die Lebensaura auf den kurischen Lord übergeht, der den Schlächter steuert. Der Kur ist ein Puppenspieler, der die Millionen synaptischer Bahnen des Nervensystems seines Schlächters steuert. Gerüchte besagen, dass Schmerz und Furcht eines Opfers die Aura für den Kur aufwerten. Es ist bekannt, dass Schlächter sich bisweilen an ihr Futter heranschleichen und mit ihm spielen, ja, es sogar in das Refugium ihres Meisters schleppen, um eine »sauberere« Verbindung für die Übertragung herzustellen. Spekulationen über die Qualen, die der Schlächter dem Opfer zufügen mag, um seine Aura zu würzen wie eine raffinierte Speise, sind alles andere als angenehm.
 
 
Valentines Nacht begann mit einem Besuch in der Bahnhofspension. Für ein Gefängnis zu behaglich, für ein Hotel zu reglementiert, bot die Bahnhofspension den Ehefrauen und Familien der Seemänner eine Unterkunft. Den Traditionen des Römischen Reiches folgend, standen die Familien der Männer, die bei der Küstenwache dienten, bis zur Rückkehr der Seeleute unter Hausarrest. Der Schutz vor den Schlächtern, den der Seedienst seinen Angehörigen bot, forderte im Gegenzug die Garantie, dass die Männer ihre Pflichten mit der gebotenen Tüchtigkeit erfüllten. Die Kur hatten sich für Geiselnahme entschieden. Zwar bot diese Art der Geiselhaft ein warmes Bett und ausreichend Nahrung, doch das minderte nicht die unausgesprochene Drohung, wie bürgerlich das Umfeld auch scheinen mochte.
Wieder und wieder spielte sich die grausige Szene in der Gasse vor seinem geistigen Auge ab, und Valentine wünschte sich nichts mehr als ein paar Stunden Schlaf und zuvor vielleicht einen starken Drink, der ihm helfen konnte, wieder zur Ruhe zu kommen. Sicher hätte er auch alles in den Armen einer Frau vergessen können, aber selbst, wenn er die Zeit dazu gehabt hätte, waren Huren einfach nicht nach seinem Geschmack. Schon vor Anbruch der Morgendämmerung war er auf den Beinen gewesen, hatte sich per Boot und zu Fuß zu seinem Rendezvous am Stadtrand durchgeschlagen. Wieder war das Dutzend Wölfe nicht aufgetaucht, womit sie nun neun Tage überfällig waren. So lange er es wagen konnte, hatte er in der Nässe der Ruinen unterhalb des alten Wasserturms gewartet. Mit Rost überzogen prangten die groß geschriebenen Blockbuchstaben »ORWOE« noch immer etwas bedrohlich an der Fassade. Als er wieder in der Stadt war, erstand er eine Portion Reis mit Okraschoten an einem Straßenstand. Fleischgerichten, die noch im Winter von Fliegen umschwärmt wurden, traute er nicht. Es fing an zu regnen, und so beschloss er, auf dem nassen, ermüdenden Rückweg zum Schiff eine kleine Pause einzulegen und einen Drink in einem strategisch günstig gelegenen Lokal, von dem ihm seine Marinesoldaten erzählt hatten, einzunehmen: das Easy Street.
Nun mochte die Jagd eröffnet worden sein, und er selbst war die Beute. Er würde den Plan ausführen müssen, über den er bereits nachdachte, seit die Wölfe achtundvierzig Stunden überfällig gewesen waren. Auch Reparaturarbeiten am Schiff ließen sich nur eine begrenzte Zeit vorschieben, wie einfallsreich der Cheftechniker bei seiner Verzögerungstaktik auch vorgehen mochte. Der Kapitän hätte beinahe einen Schlaganfall erlitten, als er erfahren hatte, dass die Thunderbolt noch einige Tage an ihrem Liegeplatz würde bleiben müssen, weil Ersatzteile fehlten. Weitere Verzögerungen könnten zu einem Austausch des Cheftechnikers führen, was für Valentines Mission noch verheerender wäre als das Ausbleiben der Wölfe.
Immer wieder kehrten Valentines Gedanken zurück zu den Einzelheiten seiner Begegnung mit Alistar. Der Glanz des Eherings an der Hand des toten Mannes – wie viel von der Geschichte über seine Frau entsprach der Wahrheit? Valentine wünschte, er könnte die Frau kennenlernen, und in seiner überreizten Fantasie malte er sich aus, er würde ein persönliches Gespräch mit ihr führen, ihr sein Bedauern über den Tod ihres Mannes ausdrücken und ihr erklären, welche bitteren Entscheidungen vor einigen Stunden und vor sechs Jahren am Ende zu seinem Tod hatten führen müssen.
Der Regen ließ nach, als sich Valentine der Bahnhofspension näherte. Der Name resultierte aus der Nähe zum Bahnhof, ein sonderbarer Ort für Leute, die überwiegend von der Küste abhängig waren. Als er auf den Eingang zuging, gab er sich ganz locker und ahmte das zielstrebige Stolpern eines Mannes nach, der sich in einer Kneipe hatte volllaufen lassen.
Ein Wachmann stand hinter der verschlossenen Tür statt auf seinem üblichen Posten auf der ersten Stufe. Der Regen hatte ihn zu diesem geringfügigen Pflichtversäumnis getrieben, aber in der Bahnhofspension gab es nichts von Wert zu bewachen. Die hiesigen Sicherheitskräfte konzentrierten sich vorwiegend darauf, dass die Familien der Angehörigen der Küstenwache bei Nacht im Haus blieben.
Valentine klopfte mit einem gelassenen Lächeln auf den Lippen an das Glas zwischen den zusätzlich angebrachten Gitterstäben. »Hey, Ed, mach auf, ja?«
Der Wachmann, auf dessen Namensschild HINKS, P. zu lesen war, zuckte mit den Schultern und breitete in einer hilflosen Geste die Hände aus. »Ich bin nicht Ed, Mr. Rowan, Sir. Ich bin Perry.«
Valentine runzelte die Stirn. »Ist Ed krank? Er hat Freitagnacht sonst immer Dienst.«
»Stimmt, aber heute ist Donnerstag, Sir.«
»Wie auch immer, Perry, lässt du mich rein? Ich möchte zu meiner Frau.«
»Mr. Rowan, Sir, Sie kennen die Regeln. Ein Aufenthalt über Nacht muss vorher genehmigt werden.«
»’türlich weiß ich das«, sagte Valentine. »Aber ich will doch gar nich’ die ganze Nacht blei’m. Nur’ne Schtunde oder zwei. Du weißt schon. Schiff is’ bereit, Teile sin’ angekommen, und morgen legen wir ab. Sei kein Unmensch – werd’ drei Monate drauß’n sein.«
»Mr. Rowan, Sir, Sie werden als derzeit diensthabend gelistet. Sie sollten auf Ihrem Schiff sein, nicht an Land.«
»Sei kein Unmensch«, wiederholte Valentine. »Muss’ mich ja nur nich’ eintragen. Du kriegst kein’ Ärger, weil du jemanden reingelass’n hast, und ich krieg kein’ Ärger, weil ich hergekommen bin.«
»Dürfte schwer sein, das zu erklären, wenn Sie wieder gehen.«
Valentine rang sich einen Rülpser ab. »Du hast doch bis vier Schicht, oder? Um drei bin ich wieder weg. Nicht eingetragen, nicht ausgetragen.«
»Und was, wenn Sie aufgehalten werden?«
»Pass auf, du rufst Mrs. Rowan an. Die gibt dir ihr Wort, dass ich um drei weg bin. Du kennst sie doch – wenn sie dir was verspricht, dann sorgt sie auch dafür. Ich bin bald drei Monate weg, verdammt nochmal.«
»Und die Anmeldung?«
»Da komm ich schon dran vorbei. Hab so eine Abmachung mit Turnip. Die Captainsstreifen müssen doch zu mehr als nur zu einem vorderen Platz in der Schlange vor der Versorgungsstelle gut sein, was?«
»Sir, so regelt man vielleicht die Dinge oben bei den Great Lakes, aber hier nicht.«
Valentine hielt die Luft an, zwang sich Farbe ins Gesicht und Härte in den Ton. »Steht man hier im Trockenen auf Posten?«
Hinks erbleichte. »Äh … Sir, ich bin kein …«
»Unmensch?«, beendete Valentine den Satz an seiner Stelle.
Der Wachmann sah sich auf dem Korridor um. »Okay, Mr. Rowan, drei Uhr früh. Wenn Sie fünf Minuten nach drei nicht hier sind, rufe ich an, einverstanden? Mr. Turner ist so oder so nicht am Empfang. Der sitzt wieder auf dem Scheißhaus und liest. Wenn Sie jemanden melden wollen, fangen Sie mit ihm an.«
»Vergiss es, Ed … äh … Perry. Bist ein guter Junge. Bring dir irgendwann’ne Flasche Rum oder so mit, was häls’n davon?«
»Gehen Sie nur bitte, bevor meine Schicht endet, sonst werde ich ungemütlich.«
»Hey«, lallte Valentine. »Hab ich doch versprochen, oder? Nur’n kurzer Besuch, und wir ha’m nich’ viel zu quatschen.«
Der Wachmann öffnete die Tür. »Mrs. Rowan ist schon’ne tolle Frau, Sir. Ich hoffe, ich kann mir ein paar passende Abzeichen verdienen, damit ich auch mal so was bekomme.«
»Das is’ die richt’ge Einstellung, Perry«, sagte Valentine, trat aus dem Regen ins Gebäude und strich sich das Haar zurück. »Eine Möglichkeit, um vorwärtszukomm’, is’, einem höhergestellten Kameraden’n Gefall’n zu tun. Vielleicht kann ich dich bei der Küstenmarine unterbring’n. Da wird man schnell befördert. Viel Dischsiplin brauchst auch nicht, wenn du deine Arbeit machst.«
Der Wachmann schüttelte den Kopf. »Mir gefällt’s ganz gut in meiner Truppe, Sir. An die Küste zu gehen und Blockhäuser voller Gesetzloser anzugreifen, ist nicht gerade das, wovon ich...