John Sinclair 664 - Satan in Weiß

von: Jason Dark

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2010

ISBN: 9783838702698 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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John Sinclair 664 - Satan in Weiß


 

* * * (S. 31-32)

Kommissar Harry Stahl fuhr längst keinen Trabi mehr. Er hatte es geschafft, einen guten Gebrauchtwagen zu einem günstigen Preis zu ergattern und sich dabei für einen Audi 80 entschieden. Dunkelgrün, mit getönten Scheiben, Drei-Wege-Kat und dem ABS-System. Er war nicht mit einem Trabi zu vergleichen, und auch den oft schlechten Belag der Fahrbahnen spürte man bei diesem Fahrzeug nicht mehr so intensiv wie bei den alten Schunkeln, die knatterten und die Luft mit widerlichen Abgasen verpesteten.

Er rollte von Leipzig in Richtung Wittenberg und hatte das Glück, die Autobahn nehmen zu können. Sie führte durch ein Gebiet, dessen schlechte Luft berühmt-berüchtigt war. Gerade an trüben Novembertagen war es besonders schlimm. Da hatten manche Menschen das Gefühl, überhaupt nicht mehr atmen zu können. Noch mehr litten Asthmakranke, und sie verließen ihre alten Häuser kaum. Grau und Braun herrschten als Farben vor. Die Wolken hingen tief. In sie hinein quoll der Rauch aus zahlreichen Schornsteinen. Bitterfeld, das Zentrum der Luftverschmutzung, lag nicht weit entfernt.

Bei klarem Wetter waren die Ausläufer der Stadt von der Autobahn zu sehen, an diesem Tage nicht! Die Landschaft verschwand im Dunst, im Schmutz, in den dicken, gesundheitsschädlichen Wolken, durch die zahlreiche Autos mit eingeschalteten Scheinwerfern krochen wie Wesen, die von irgendwelchen fremden Planeten gekommen waren. Er fuhr vorbei an Wolfen, ließ Dessau links liegen und nahm die Abfahrt Coswig, wobei ihn zur linken Seite, einige Male sichtbar, das schmutziggraue Band der Elbe verfolgte.

Es hatte keinen Sinn, sich über die Umwelt in diesem Augenblick Gedanken zu machen. Um die Natur halbwegs in Ordnung zu bringen, waren viel Geld und viel Arbeit, aber auch rasche Entscheidungen notwendig. Stahl hatte mit anderen Umweltsündern zu tun, denn Verbrecher zählte er irgendwie auch zu dieser Sorte. Über die Landstraße 187 fuhr er auf Wittenberg zu, vorbei an schmutzig wirkenden Feldern, alten Gehöften, mal durch einen winzigen Ort, wo kaum jemand auf der Straße zu sehen war.

Der Wagen rollte über Kopfsteinpflaster – die Schlaglöcher ließen grüßen – und von gezeichneten Mittelstreifen war nur hin und wieder etwas zu sehen. Vor Wittenberg verdichtete sich der Verkehr. Noch herrschten die Ostautos, die Trabis und Wartburgs, vor. Sie sahen aus, als würden sie Nebelwolken hinter sich herziehen. Keine Welt, in der sich gut leben ließ, aber das würde sich ändern. Davon waren er und zahlreiche andere Menschen überzeugt. Man würde die Ärmel hochkrempeln und anpacken.

Er konnte die Lutherstadt Wittenberg bereits sehen, als ihm etwas auffiel. An der rechten Seite der Straße, genau eingepaßt in die Lücke zwischen zwei Bäumen, stand ein Wagen. Es war ein alter VW-Bus, in dem mehrere Personen Platz hatten. Neben dem Wagen stand ein Mann, wahrscheinlich der Fahrer, hatte die Arme in die Hüften gestemmt und schüttelte den Kopf. Das sah nach einer Panne aus. Der Kommissar gehörte zwar nicht zu den Fachleuten, was Autos anging, er wollte trotzdem fragen und auch versuchen zu helfen. Hinter dem VW-Bus stellte er seinen Audi ab und stieg aus.

Von der Wärme stieg er in die feuchte Kälte aus, die tatsächlich widerlich war, denn diese naßkalten Temperaturen dicht über dem Gefrierpunkt waren für manche Menschen nur schwer zu ertragen. Harry Stahl trug eine gefütterte Jacke im Parka-Stil. Der Fahrer war mit einem grauen Kittel bekleidet. Sein Haar hatte er glatt nach hinten gekämmt. Es waren nur wenige Strähnen, die sich wie Schatten auf der Kopfhaut verteilten. Er drehte sich um, als Harry Stahl neben ihm stehenblieb. Der Kommissar schaute in ein breitflächiges Gesicht, in dem besonders die dicken Lippen auffielen. »Guten Tag. Kann ich helfen?«

Der Fahrer zog die Nase hoch. »Wobei?« »Sie haben doch eine Panne.« »Kann sein.« Stahl wunderte sich und wollte wissen, ob der Mann immer so freundlich war. »Wie meinen Sie das denn?« »Ich hatte gedacht, Ihnen helfen zu können.« »Das brauchen Sie nicht.« »Okay. Darf ich trotzdem fragen, was los ist?« »Nein. Und jetzt verschwinden Sie wieder. Ich möchte gleich weiterfahren.« »Danach sieht es mir nicht aus.« »Ist doch mein Problem – oder?« »Ja, im Prinzip haben Sie recht.« Stahl schüttelte den Kopf, als er sich wieder zurückzog. Sehr langsam ging er an dem abgestellten Wagen vorbei und versuchte auch, durch die Scheiben in das Innere des Fahrzeugs zu schauen, was gar nicht so einfach war, denn auf dem Glas klebte ein dicker Schmutzfilm.