Weiblicher Narzissmus - Der Hunger nach Anerkennung

von: Bärbel Wardetzki

Kösel, 2012

ISBN: 9783641084615 , 304 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 16,99 EUR

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Weiblicher Narzissmus - Der Hunger nach Anerkennung


 

Der Hunger nach Anerkennung

»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Dieser Satz aus dem Märchen Schneewittchen ist die zentrale Frage, die sich eine Frau stellt, die unsicher oder besser gesagt verunsichert ist, sobald eine andere ähnlich oder noch schöner ist als sie. Die Antwort »Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land« beruhigt sie und stellt ihr inneres Gleichgewicht wieder her. Sie ist zufrieden mit sich und der Welt, denn sie ist etwas Besonderes.

Dieser Widerspruch zwischen die Schönste sein wollen und der Angst, eine andere sei attraktiver und man selbst daher schlecht, hässlich, minderwertig, ist ein zentraler narzisstischer Konflikt. Die narzisstische Störung ist ihrem Wesen nach eine Beeinträchtigung des Selbsterlebens, des Selbstwertgefühls beziehungsweise der Selbstliebe. Eine Frau mit einer weiblich-narzisstischen Struktur leidet unter einem instabilen Selbstwertgefühl, das starken Schwankungen unterliegt. Auf der einen Seite hält sie sich für die Größte oder die Schönste, auf der anderen Seite glaubt sie, wenig oder nichts wert zu sein. Das Erleben pendelt zwischen Grandiosität und Minderwertigkeit hin und her. Einmal fühlt sie sich großartig und unübertroffen, das andere Mal zweifelt sie an sich, wertet sich ab, fühlt sich minderwertig und depressiv. Alice Miller, die eindrücklich das Schicksal narzisstisch gestörter Menschen nachempfunden hat, hält Grandiosität und Depression für zwei Seiten einer Medaille11. Ob die Frau nun Größenphantasien hat oder sich minderwertig vorkommt, beides ist Ausdruck eines gestörten Selbstwertgefühls. Die Größenphantasien sollen vor der Minderwertigkeit schützen und diese wiederum vor dem tiefen Schmerz, der mit dem Selbstverlust verbunden ist.

Das bedeutet, dass eine narzisstische Frau nicht gelernt hat, ihre Person angemessen einzuschätzen. Im Grunde hält sie sich für minderwertig, schwach, schlecht und unattraktiv. Da das Eingeständnis, minderwertig zu sein, jedoch außerordentlich unangenehm ist, rettet die Größenphantasie über das schlechte Gefühl hinweg. Indem sie sich besonders attraktiv macht, versucht, gute Leistungen zu erbringen, besonders anpassungsfähig und liebenswürdig erscheint, macht sie sich und den anderen vor, ein wertvoller Mensch zu sein. Also eben gerade nicht minderwertig.

Die Grandiosität zeigt sich in dem Verlangen nach ständiger Bewunderung und dem Gefühl, ohne diese nicht leben zu können. Die Bewunderung glaubt die grandiose Persönlichkeit aber weniger für ihre Person zu erhalten, weil sie so ist, wie sie ist, sondern vielmehr für ihre Schönheit, Leistungsfähigkeit, Intelligenz oder andere Fähigkeiten. Und nur diese Eigenschaften schätzt sie selbst an sich – so, wie die Königin im Märchen Schneewittchen davon abhängig ist, die Schönste sein zu müssen. Droht nun der Verlust der Bewunderung beziehungsweise der bewundernswerten Fähigkeiten und Eigenschaften oder tritt dieser tatsächlich ein, dann kann das Selbstwertgefühl zusammenbrechen. Frauen mit einer weiblich-narzisstischen Struktur streben daher ständig danach, gut auszusehen, körperlich topfit, immer auf der Höhe und gut drauf zu sein, mit anderen Worten, die ewige Jugend, Schönheit und Leistungsfähigkeit zu besitzen. Sicherlich, wer träumte nicht davon? Das Dilemma liegt allerdings darin, dass narzisstische Menschen vom Erreichen dieses Ziels abhängig sind, um sich gut zu fühlen. Es ist sozusagen ihre Lebensbasis, schön, erfolgreich und bewundernswert zu sein. Beim Ausbleiben äußerer narzisstischer Zufuhr in Form von Bewunderung, Anerkennung und Lob kann es zu schweren Depressionen kommen. Solche Situationen treten zum Beispiel infolge von Erkrankungen auf, aber auch beim Älterwerden oder beim Wechsel der Lebensumstände wie dem Auszug der Kinder, bei Trennung vom Freund oder Ehemann, bei Versagen im Beruf, bei Kritik oder Zurückweisung.

Alle diese Fälle haben eins gemeinsam: sie sind mit Abschied von bestimmten liebenswerten Eigenschaften oder Menschen verbunden, die eine Quelle von Anerkennung waren. Solange eine alternde Frau noch jünger aussieht als sie ist, steckt sie Komplimente ein und füttert damit ihr negatives Selbstbild: Wenn sie schon alt ist, was für sie schlimm genug ist, dann sieht sie wenigstens jung aus, wird dafür bewundert und fühlt sich dadurch attraktiver. Beim Auszug der Kinder kann es zu depressiven Reaktionen kommen, weil nun eine Konfrontation mit dem Alter und der damit zusammenhängenden neuen Rolle erfolgt. Wenn Kinder ausziehen, bedeutet das für narzisstische Menschen, dass sie alt und nicht mehr gebraucht werden. Und Alter bedeutet vor allem in unserer auf Jugend, Schönheit und Fitness ausgerichteten Gesellschaft eine Einbuße, weil »man« beziehungsweise »frau« nicht mehr so viel wert ist. Hängt nun das Selbstwertgefühl hauptsächlich von äußeren Eigenschaften und der eigenen Leistungsfähigkeit ab, dann erstaunt es nicht, dass Älterwerden von dem Gefühl der Minderwertigkeit begleitet wird. Jedoch nicht nur diese eher gravierenden Formen von Enttäuschung werden depressiv verarbeitet, sondern auch geringere. Lehnt ein anderer etwa eine gemeinsame Unternehmung ab, so kann sich die Betroffene tief gekränkt und zurückgestoßen fühlen. Viele Frauen glauben tatsächlich, dass die Ablehnung ihres Wunsches gleichbedeutend sei mit einer Ablehnung ihrer Person.

Ein anderes Beispiel ist der hohe Leistungsanspruch, den narzisstische Frauen an sich richten. Erreichen sie in der Arbeit nur ein gutes, aber nicht ein brillantes Ergebnis, kann das zu einem beißenden Gefühl des Versagens führen. Denn sie befürchten, dass sie es nicht mehr wert seien, geliebt beziehungsweise geachtet zu werden, wenn sie einmal nicht großartig waren. Sie glauben, nur dann liebens- und achtenswert zu sein, wenn sie besonders sind und so erscheinen, wie sie meinen, dass andere sie haben möchten.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Panik vieler Frauen zu verstehen, wenn sie morgens auf der Waage sehen, dass sie ein Kilo oder einige Gramm zugenommen haben. Gemäß ihrem Selbstbild fühlen sie sich nur liebenswert, wenn sie schlank sind. Die Gewichtszunahme rührt daher tief an ihrem Selbstwertgefühl. Mehr Gewicht bedeutet dick zu sein; das wiederum bedeutet, nicht attraktiv zu sein, nichts zu haben, weshalb man sie mögen könnte. Auch sie selbst lehnen sich ab, finden sich hässlich und unansehnlich.

Wenn ich morgens auf der Waage sehe, dass ich zugenommen habe, ist der ganze Tag ruiniert. Ich denke dann sofort, wie ich das Gewicht wieder runterbringen kann. Wenn ich eine Verabredung für diesen Tag habe, bin ich besonders verzweifelt, weil ich mir nun gar nicht mehr gefalle. Am liebsten würde ich absagen und mich verkriechen.

In diesem Zitat wird die überdimensionale Bedeutung der äußeren Erscheinung als Quelle von Bewunderung deutlich. Hierbei geht es nicht um den Wunsch, gut auszusehen und dafür Komplimente zu bekommen. Sondern es geht um die Absolutheit des Denkens und Fühlens, bei dem ein bestimmtes Gewicht verlangt wird, um in den eigenen Augen zu bestehen: liebenswert ist sie nur bis maximal fünfundfünfzig Kilo. Darüber hinaus muss sie sich verkriechen. Das heißt auch, mit sechsundfünfzig Kilo entzieht sie sich die Achtung und Zuneigung. Und dann bleibt nichts als ein Gefühl von Minderwertigkeit.

Bei narzisstisch gestörten Menschen liegt eine »tragische Verknüpfung von Bewunderung und Liebe« vor, die zu trennen nicht möglich erscheint.12 Sie setzen Bewunderung und Liebe fälschlicherweise gleich, das heißt, ohne Bewunderung fühlen sie sich ungeliebt. Sie versuchen alles, um Anerkennung und Zustimmung zu erhalten. Nur dann fühlen sie sich angenommen, bestätigt und gemocht. Die Suche nach Bewunderung muss jedoch unbefriedigend bleiben, weil Bewunderung und Liebe eben nicht identisch sind. Bewunderung ist an besondere Merkmale gebunden, Liebe dagegen richtet sich auf den ganzen Menschen mit seinen Stärken und Schwächen. Bewunderung bleibt daher eine Ersatzbefriedigung für den eigentlichen, nie erfüllten Wunsch nach Achtung, Annahme und Liebe.

Auch Erfolg und Anerkennung dienen narzisstischen Menschen als Kompensation für ihre alte Wunde oder ihr narzisstisches Loch13 und sollen den geschwächten Selbstwert ausgleichen. Das gelingt vorübergehend, führt jedoch zu keiner lang anhaltenden Befriedigung, da der eigentliche Mangel fortbestehen bleibt. Ich möchte damit nicht sagen, dass das Streben nach Erfolg und Anerkennung nur eine Folge der narzisstischen Störung eines Menschen ist. Das wäre sicherlich falsch, es gehört zu einem ausgefüllten Leben. Und noch mehr: Die Erhöhung des Selbstwertgefühls ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen. Das Problem liegt mehr in der Funktion, die dem Erfolg und der Anerkennung zugeschrieben wird. Sie sollen einen Mangel der Psyche ausgleichen, was ihnen jedoch nur zum Teil gelingt. Es bleibt eine tiefe Sehnsucht nach Angenommen- und Geliebtwerden, die mit noch so viel Leistung nicht gestillt werden kann. An dieser Stelle geht die Rechnung nicht auf. Dieser seelische Mangel ist das, was Miller mit Selbstverlust bezeichnet. Die narzisstische Persönlichkeit hat das Pech, nie wirklich bei sich selbst angekommen zu sein und sich gefunden zu haben.

Sobald der Selbstwert eines Menschen betroffen ist, haben wir es mit einer narzisstischen Thematik zu tun. Ein gesunder Narzissmus zeichnet sich durch ein angemessenes Selbstwertgefühl aus, das an der Realität erprobt ist. Dieser Mensch weiß um seine Stärken, kann aber auch seine Begrenzungen respektieren. Eine narzisstische Störung dagegen geht mit einem instabilen Selbstwertgefühl einher,...