Die normannische Braut - Roman

von: Elizabeth Chadwick

Blanvalet, 2010

ISBN: 9783641035471 , 608 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Die normannische Braut - Roman


 

1
Festung von Rouen, Normandie,
Fastenzeit 1067
 
»Wie die Engländer wohl sind?«, fragte Sybille nachdenklich, während sie das Band am bestickten Leinenunterhemd ihrer Herrin schnürte.
»Sie haben mehr Haare und Bart als eine Herde wilder Ziegenböcke, wenn man nach denen urteilt, die wir bisher getroffen haben«, entgegnete Judith geringschätzig ihrer Magd. Als Nichte des Herzogs Wilhelm der Normandie, nun König von England, war sie sich ihres Ranges nur ach zu bewusst. »Bei unseren Männern sieht man wenigstens sofort, was sich in ihnen verbirgt, und man kann die Läuse leichter in Schach halten.« Sie warf einen Blick zum Fenster, wo der Jubel der Menge durch die offenen Läden wehte wie ein Sommerwind durch die Blätter eines Baumes. Am Fuße der hoch aufragenden Festungsmauern drängte sich die gesamte Einwohnerschaft von Rouen in den Straßen. Keiner wollte die triumphale Rückkehr des Herzogs verpassen, der in England den Thronräuber Harold Godwinsson bezwungen hatte.
Das Interesse ihrer Magd an den Engländern – und ihr eigenes, um die Wahrheit zu bekennen – rührte daher, dass ihr Onkel Wilhelm nicht nur schwer beladen mit angelsächsischer Beute in sein Herzogtum zurückkehrte, sondern auch in Begleitung hochgeborener Geiseln – englische Lords, denen er nicht traute und sie deshalb nicht aus den Augen lassen wollte.
»Aber es ist schön, einem Mann mit den Fingern durch den Bart zu fahren, findet Ihr nicht auch?«, fuhr Sybille mit funkelnden Augen fort. »Ganz besonders, wenn er jung ist und gut aussieht.«
Judith zog missbilligend die Stirn in Falten. »Nicht dass ich wüsste«, antwortete sie abschätzig.
Nicht im Geringsten eingeschüchtert warf die Magd übermütig den Kopf in den Nacken. »Dann habt Ihr ja nun Gelegenheit, es herauszufinden.« Sie holte das Kleid aus blutrotem Tuch, das Judith so gut stand, aus der Truhe, wo es zwischen Schichten getrockneter Rosenblüten und Zimtrinden aufbewahrt war, und half ihr hinein.
Judith ließ voller Wohlgefallen die Handflächen über das prächtige, weiche Tuch gleiten. Aus den Augenwinkeln verfolgte sie, wie sich ihre Mutter an ihrer Schwester Adelaide zu schaffen machte und an ihr zupfte und zerrte, um jede Kleiderfalte einzeln in Form zu bringen.
»Gott behüte, dass auch nur ein Haar nicht an seinem Ort ist«, murmelte Sybille und bekreuzigte sich zum Spaß.
Als ihre Mutter auf sie zukam, stieß Judith einen Seufzer aus. Sybille machte einen sittsamen Knicks vor der älteren Frau und vertiefte sich mit Eifer darin, Judiths Haar zu zwei festen, glänzenden Zöpfen zu flechten. Dann legte sie ihr einen seidenen Schleier um, der von Nadeln aus geschmiedetem Gold gehalten wurde.
Adelaide, Gräfin von Aumale, begutachtete das Werk der Magd mit Augen so hart und schneidend wie Scherben braunen Glases. »Das genügt«, sagte sie barsch zu Judith. »Wo ist dein Umhang?«
»Hier, Mutter.« Judith nahm das Gewand von ihrem Kleiderständer. Das dunkelgrüne Tuch war mit Biberpelz gefüttert und mit Zobel eingefasst, wie es ihrem Rang gebührte. Adelaide beugte sich vor, um die mit Granaten besetzte goldene Schließe zurechtzurücken und zupfte einen nicht vorhandenen Fussel von dem angerauten Gewebe.
Judith widerstand dem Drang, die Hand ihrer Mutter abzuwehren, doch Adelaide hatte es wohl gespürt, denn sie warf ihrer Tochter einen frostigen Blick zu. »Wir sind Frauen aus dem herzoglichen Haus«, sagte sie. »Und es steht uns an, das zu zeigen.«
»Das weiß ich, Mutter.« Judith war klug genug, ihre Gereiztheit nicht zu zeigen, doch hinter ihrer pflichtbewussten Fassade kochte sie vor Wut. Sie war mit fünfzehn Jahren im heiratsfähigen Alter, besaß die Rundungen einer Frau und bekam ihre monatlichen Blutungen, doch noch immer behandelte ihre Mutter sie wie ein Kind.
»Dann ist es ja gut.« Adelaide sah einschüchternd über ihre lange, spitze Nase hinab. Mit einem Nicken, das an ihre Töchter gerichtet war, rauschte sie davon, um sich den anderen Frauen aus dem Gefolge von Herzogin Matilda anzuschließen, die sich bereitmachten, sich zu der Menge zu begeben und ihre heimkehrenden Männer zu begrüßen. Adelaides Gemahl befand sich allerdings nicht unter ihnen. Er gehörte jener normannischen Streitkraft an, die zurückgeblieben war, um die Interessen des neuen Königs in England während seiner Abwesenheit zu wahren. Judith konnte sich vorstellen, dass ihre Mutter darüber nicht gerade unglücklich, vielleicht sogar erleichtert war. Ihr selbst war es egal. Er war ihr Stiefvater, und sie kannte ihn kaum, denn auch als er noch zu Hause gewesen war, hatte er selten die Frauen in ihren Gemächern besucht und sich lieber im großen Saal und bei den Wachleuten aufgehalten.
Ein stürmischer Märzwind fegte über den Burghof, fuhr respektlos in die Schleier und machte die peinlich genauen Vorbereitungen wie zum Hohn zunichte. Leuchtende Seidenbanner knallten wie Peitschen gegen die Turmzinnen, und darüber flogen die Wolken so schnell über den blauen Himmel, dass Judith vom Zusehen ganz schwindlig wurde.
Während sie im Windschatten einer Mauer Schutz suchte, fragte sie sich, wie lange es wohl noch dauern würde. Ihre Vettern Richard, Robert und Wilhelm, die Söhne des Herzogs, waren losgeritten, um ihren Vater in der Stadt zu empfangen. Nur zu gerne wäre sie mit ihnen gekommen, doch das hätte sich nicht geschickt, und die Form zu wahren stand, wie ihre Mutter sagte, für ein wichtiges Mitglied des höchsten Hauses im Lande an allererster Stelle.
Die Rufe der Menge hatten sich zu einem regelrechten Beifallssturm gesteigert. Judiths Herz schwoll vor Stolz an. Das war ihr Geschlecht, dem sie zujubelten, ihr Onkel, der nun durch Gottes Gnaden und seine eigene Entschlossenheit König geworden war.
Unter den Fanfarenstößen der Trompeten erreichten die ersten Reiter des Zuges den Burghof. Ihre Helme und Kettenhemden blitzten in der Sonne auf, Seidenfähnchen flatterten an den polierten Heften ihrer Lanzen. Unter den wogenden Farben des päpstlichen Banners kam ihr Onkel Wilhelm auf einem spanischen Hengst geritten, dessen Fell tiefschwarz glänzte. Er trug keine Rüstung, und seine mächtige Gestalt erstrahlte in einem karmesinroten Wollumhang, der von Goldstickereien überzogen war. Der Wind wehte ihm das dunkle Haar in die Stirn, und dass er die Augen zum Schutz vor dem Wind zusammenkniff, unterstrich noch das Adlerhafte seines Gesichts. Ein Knappe rannte los, um ihm die Zügel abzunehmen. Wilhelm sprang sicher vom Pferd und wandte sich dann den wartenden Frauen zu.
Herzogin Matilda eilte vor und sank in einem tiefen Knicks vor ihm nieder. Adelaide zog ermahnend an Judiths Umhang, woraufhin diese ebenfalls ihr Knie auf den harten Boden beugte.
Wilhelm streckte die Hand aus, zog seine Frau hoch und murmelte etwas, das Judith nicht verstand, das aber die zierliche Herzogin zum Erröten brachte. Er küsste seine Töchter Agatha, Constance, Cecilia und Adela und gab dann den anderen Frauen des Hauses das Zeichen, sich zu erheben. Seine Augen musterten sie der Reihe nach und ließen in ihrer Tiefe ein Lächeln erahnen, doch sein Mund blieb aus lange währender Gewohnheit und strenger Selbstbeherrschung ernst und geschlossen.
Der Burghof füllte sich zunehmend mit Wilhelms Gefolgschaft, die hinter ihm hereingeritten kam. Flankiert von Wachen trafen die englischen »Gäste« ein. Bärte und langes Haar, stellte Judith fest. Was sie zu Sybille gesagt hatte, stimmte also. Sie ähnelten tatsächlich einer Herde wilder Ziegenböcke, allerdings musste sie auch zugeben, dass die Stickereien auf ihren Gewändern die erlesensten waren, die sie jemals gesehen hatte.
Ein prächtig gekleideter Geistlicher, den Judith an dem reich verzierten Kreuz auf seinem Stab als Erzbischof erkannte, sprach mit zwei jungen Männern, die nach der Ähnlichkeit ihrer Gesichtszüge zu urteilen Brüder sein mussten. Auf einem gescheckten, gedrungenen Pferd saß ein strohblonder Junge mit feinen Zügen, der etwas verdrießlich dreinblickte. Er musste von sehr vornehmer Abstammung sein, weil er einen Rock in jenem seltenen Purpurrot trug, das dem Königshaus vorbehalten war, und eine Kappe mit einem Besatz aus Hermelinfell. Sie musterte ihn, bis ihr die Sicht von einem mächtigen kastanienbraunen Hengst verstellt wurde, auf dem ein junger Mann saß, der in Größe und Kraft seinem Pferd beinahe gleichkam.
Er hatte auf Kappe und Kapuze verzichtet, und der Wind wehte ihm das kupferblonde Haar ins Gesicht. Sein Bart, der die Konturen eines freundlichen Mundes und eines ausgeprägten Unterkiefers nachzeichnete, schimmerte rotgolden und ließ sie Sybilles freche Bemerkung in ganz neuem Licht betrachten. Wie würde er sich wohl anfühlen? Weich wie Seide oder kratzig wie Besenreisig? Die Vorstellung faszinierte und verwirrte sie gleichermaßen. Der Mann trug seine kostbare Kleidung mit einer Achtlosigkeit und Selbstverständlichkeit, die sie für verwerflich hätte halten müssen, doch stattdessen empfand sie Bewunderung und einen Anflug von Neid....