Elitesoziologie - Eine Einführung

von: Michael Hartmann

Campus Verlag, 2008

ISBN: 9783593407012 , 205 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

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Preis: 15,99 EUR

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Elitesoziologie - Eine Einführung


 

Durch die von der SPD initiierte Debatte über die so genannten Eliteuniversitäten hat die Elitendiskussion in Deutschland einen neuen Schub erfahren. Plötzlich fordern Politiker, Manager und Journalisten fast unisono auch hierzulande Elitehochschulen, ein deutsches Harvard oder ein deutsches Princeton. Die berühmten privaten Eliteuniversitäten der USA werden zum unhinterfragten Vorbild für die gewünschte und bereits geplante Umgestaltung der hiesigen Hochschullandschaft. Ganz neu ist diese Vorliebe für den Begriff der Elite nicht. Schon seit Beginn der neunziger Jahre erfreut er sich einer stetig steigenden Unterstützung durch die maßgeblichen Medien, aber auch prominente Wirtschaftsvertreter und Politiker. Ihrer Ansicht nach bedarf Deutschland dringend handlungsfähiger Eliten, soll es im internationalen Wettbewerb Schritt halten und nicht im Mittelmaß versinken. Das mediale Dauerfeuer zeitigt inzwischen auch in der breiten Bevölkerung Wirkung. Zwar steht eine Mehrheit dem Begriff Elite nach wie vor kritisch bis ablehnend gegenüber, die Minderheit, die ihn bejaht, wächst aber kontinuierlich. So konnte die FAZ im letzten Oktober stolz vermelden, dass inzwischen 54 Prozent der Bundesbürger dafür seien, besonders begabte Schüler in Eliteklassen oder Eliteschulen zu fördern, und nur noch 33 Prozent dagegen. Das ist eine beachtliche Veränderung innerhalb weniger Jahre. Dennoch bleibt bei der Mehrheit der Bevölkerung ein Unbehagen, wenn von Eliten die Rede ist. Man assoziiert damit doch immer noch in erster Linie ungerechtfertigte Privilegien (wie zum Beispiel die horrenden Gehälter, Abfindungen und Pensionszusagen in den Chefetagen der deutschen Großkonzerne), Abgehobenheit und Arroganz der Macht. Man denkt an Personen wie die ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Mannesmann 8 und der Bundesagentur für Arbeit, Klaus Esser und Florian Gerster. Das Verhalten solcher Spitzenmanager scheint den meisten typisch zu sein für die Eliten. Wenn der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Josef Ackermann, vor jenem Gericht in Düsseldorf, das die außerordentlich hohen Abfindungen für die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder von Mannesmann verhandelt, den Satz formuliert, Deutschland sei 'das einzige Land, wo die Leute, die Werte schaffen, vor Gericht kommen', und dabei lächelt, dann bestätigt er, wenn auch ungewollt, diesen Eindruck. Ist von Elite die Rede, dann beeilen sich die Befürworter deshalb auch stets zu versichern, es dürfe sich dabei auf keinen Fall um Herkunftseliten handeln, die nur ihre Privilegien zu verteidigen suchten. Man wolle vielmehr Leistungseliten, so die übliche Formulierung, oder aber Werteliten, wie es hin und wieder auch ausgedrückt wird. Was aber verbirgt sich hinter all diesen Begriffen? Was ist unter Eliten zu verstehen? Gibt es sie und, wenn ja, wer zählt dazu? Auf all diese Fragen eine Antwort zu finden, bemüht sich die Soziologie schon seit mehr als einem Jahrhundert. Ihre Beschäftigung mit dem Thema hat dabei eine wechselvolle Geschichte. Sie kennt ausgesprochene Hochkonjunkturen wie um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in den dreißiger Jahren, nach dem Zweiten Weltkrieg oder in jüngster Zeit, aber auch lange Phasen weitgehenden Desinteresses, aus ihrem Blickfeld verschwunden ist die Thematik aber nie. Die Frage, welche Personen eine Gesellschaft führen, wie sie das tun und woher sie kommen, hat zu allen Zeiten . mal mehr, mal weniger . die Phantasie der soziologischen Betrachter angeregt. Schaut man zwecks einer ersten begrifflichen Klärung zunächst in einschlägige Enzyklopädien wie etwa die von Brockhaus oder Meyer, dann findet man folgende Definition. Mit Elite, einem vom französischen Wort élire (auswählen) stammenden und seit dem 17. Jahrhundert in Frankreich geläufigen, seit dem 18. Jahrhundert auch in die deutsche Sprache übernommenen Begriff wird dort eine soziale Gruppe bezeichnet, 'die sich durch hohe Qualifikationsmerkmale sowie durch eine besondere Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft ' (Brockhaus Enzyklopädie) beziehungsweise 'durch bes. Wert oder Leistung auszeichnet' (Meyers Enzyklopädisches Lexikon) und zudem die gesellschaftliche Entwicklung maßgeblich bestimmt. Historisch gesehen wurde der Begriff Elite im 18. Jahrhundert vom aufstrebenden französischen Bürgertum als demokratischer Kampfbegriff gegen Adel und Klerus entwickelt. Die individuelle Leistung sollte an Stelle der familiären Abstammung die entscheidende Voraussetzung für die Bekleidung gesellschaftlicher Spitzenpositionen bilden. Im 19. Jahrhundert veränderte sich die Verwendung des Elitebegriffs dann tief greifend. Er wurde nun als Gegenbegriff zu dem der Masse benutzt. Das Bürgertum und mit ihm die bürgerlich akademische Intelligenz waren damals zutiefst beunruhigt über das Phänomen der städtischen Massen, die mit der Bevölkerungsexplosion in Europa entstanden waren und einhergingen mit der Entstehung der industriellen Arbeiterklasse. Sie sahen die herrschende Ordnung durch politische Unruhen und revolutionäre Bestrebungen der Massen gefährdet. Die auf diesem Hintergrund formulierten klassischen Elitetheorien von Mosca, Michels und Pareto1 bildeten mit ihrer Gegenüberstellung von Elite und Masse später eine wichtige ideologische Grundlage für den aufkommenden Faschismus in Italien und Deutschland. Die von ihnen vertretene Überzeugung, dass die Herrschaft einer kleinen Elite über die große Mehrheit unumgänglich sei, wurde von den faschistischen Parteien als zentrale Begründung für das Führerprinzip benutzt. Die Diskreditierung des Elitebegriffs durch den Faschismus und der Konflikt mit dem sozialistischen Lager führten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer umfassenden Neubestimmung. Nachdem man sich zunächst (vor allem in Deutschland) auf den Begriff der Wertelite zurückbesonnen hatte, unter Elite, zumindest in öffentlichen Verlautbarungen, nur eine durch bestimmte moralische und ethische Qualitäten ausgezeichnete Minderheit verstand, ging man in den Sozialwissenschaften relativ schnell und später dann auch in der Öffentlichkeit dazu über, die in den USA gebräuchliche funktionalistische Definition von Eliten zu übernehmen. Diese Sichtweise dominiert bis heute, obwohl in jüngster Zeit wieder stärkere Anklänge an die klassische Dichotomie von Elite und Masse zu vernehmen sind. Ein stärker dichotomisches Weltbild erfreut sich gerade unter den Angehörigen des akademischen Bürgertums in den letzten Jahren einer deutlich wachsenden Beliebtheit. Das lässt sich an einer Reihe von Stellungnahmen im Rahmen der Diskussion über die Eliteuniversitäten ablesen. Typisch ist in dieser Beziehung der Prorektor der Universität Heidelberg, Karlheinz Meier, der seine Forderung nach einer freien Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen mit der Aussage zu untermauern suchte: 'Elite und Masse passen nicht zusammen'. Es gibt ihr zufolge keine einzelne Elite mehr, die als auserwählte Minderheit der Masse gegenübersteht, und auch keine herrschende Klasse, sondern nur noch funktionale Sektor- oder Teileliten. Deren Mitglieder unterschieden sich vom Rest der Bevölkerung dadurch, dass sie wegen der von ihnen besetzten Spitzenpositionen in den verschiedenen Bereichen in der Lage seien, die gesellschaftliche Entwicklung maßgeblich zu beeinflussen. In diese Positionen seien sie dabei allein aufgrund ihrer individuellen Leistung gelangt. Es handele sich also, hier variieren die verwendeten Begriffe etwas, um leistungsabhängige Positions- oder Funktionseliten. Zu ihnen zählt die funktionalistische Eliteforschung die Inhaber der jeweils höchsten Positionen aus Politik (Mitglieder der Bundes- und Landesregierungen, Fraktions- und Parteivorstände), Verwaltung (Staatsekretäre, Ministerialdirektoren, Präsidenten wichtiger Behörden), Wirtschaft (Vorstands- und zum Teil auch Aufsichtsratmitglieder großer Unternehmen, Präsidenten und Vizepräsidenten der großen Verbände), Justiz (Bundesrichter), Medien (Eigentümer, Herausgeber, Geschäftsführer, Intendanten, Direktoren und Chefredakteure der wichtigen Medien), Wissenschaft (Hochschulrektoren und Leiter der Groß-forschungseinrichtungen), Militär (Generalität und Admiralität) und Gewerkschaften (Vorsitzende und Stellvertreter). Im Kern wird diese Auflistung von allen, das heißt auch den kritischen Eliteforschern geteilt. Einzig die Einbeziehung der Gewerkschaftsspitzen ist nicht unumstritten. Zwar finden sie in allen großen deutschen Elitestudien Berücksichtigung, sie werden aber nicht nur von kritischen Elitetheoretikern wie Mills oder Bourdieu nicht zu den gesellschaftlichen Eliten gerechnet, sondern durchaus auch von funktionalistisch orientierten wie Suzanne Keller. Das Beispiel Keller zeigt, dass sich nicht nur Theoretiker wie Bourdieu, die Eliten immer in einem engen Zusammenhang mit dem Begriff der herrschenden Klasse sehen, gegen die Klassifizierung der führenden Gewerkschafter als Elite wenden. Auch andere, weniger gesellschaftskritisch ausgerichtete Autoren beschleicht angesichts der realen Machtverhältnisse diesbezüglich zumindest ein ungutes Gefühl. Das ist nur zu verständlich, betrachtet man den Einfluss der Gewerkschaftsführungen auf politische Entscheidungen heutzutage. Wie die Stellung der Spitzengewerkschafter wirklich ist, hat letztes Jahr auch die Suche der IG Metall nach einem neuen Vorsitzenden gezeigt. Alle Arbeitsdirektoren, bei denen man angefragt hat, ob sie zu einer Kandidatur bereit seien, haben dankend abgewinkt. In Gewerkschaftskreisen wird kolportiert, sie hätten ihre Absage durchweg damit begründet, dass ein solcher Wechsel nicht nur (mehr oder minder) spürbare Einkommenseinbußen beinhalten, sondern auch einen sozialen Abstieg bedeuten würde. Es ist noch eine zweite Einschränkung erforderlich. Auch die Medienelite lässt sich bei näherem Hinsehen nicht als gesonderte Elite charakterisieren. Die Medienlandschaft wird nach dem Durchbruch der kommerziellen Anbieter in jenen Ländern, die bis vor zwei, drei Jahrzehnten nur öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunkanstalten kannten, heute in allen führenden Industriestaaten von großen Kapitalgesellschaften (wie Bertelsmann, Disney oder Time-Warner) oder Medientycoons (wie Berlusconi oder Murdoch) dominiert. Da die verbleibenden öffentlich-rechtlichen Institutionen gleichzeitig immer stärker von politischen Interessen beherrscht werden, kann von einer wirklich eigenständigen Rolle der Medienelite eigentlich keine Rede mehr sein. Berücksichtigt man zudem noch das seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich gesunkene Gewicht der militärischen Elite . so haben die Einwände des US-amerikanischen und des britischen Generalstabs gegen einen Irak-Krieg weder an dessen Beginn noch an dessen Verlauf etwas Nennenswertes ändern können . und die zurzeit wieder klar zu erkennende Abhängigkeit der Wissenschaftselite von Wirtschaft und Politik, dann kristallisieren sich letzten Endes die Spitzenvertreter aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Justiz als die entscheidenden gesellschaftlichen Eliten heraus. Ihnen wird daher im empirischen Teil das besondere Augenmerk gelten. Die vorliegende Einführung in die Elitesoziologie besteht aus zwei großen Teilen. In den Kapiteln zwei bis vier wird die soziologische Diskussion über die Eliten in ihren Grundzügen nachgezeichnet und kritisch beleuchtet. Zu diesem Zweck werden sowohl die Klassiker Michels, Mosca und Pareto als auch die funktionalistischen Ansätze (von Lasswell/Kaplan und Kornhauser über Dahrendorf, Stammer und Keller bis hin zu Hoffmann-Lange und Field/Higley) und die elitekritischen Theorien (Mills und Bourdieu) einer näheren Betrachtung unterworfen. Die Kapitel fünf und sechs widmen sich dann am Beispiel der fünf größten Industriestaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan und die USA) einer empirischen Analyse sowohl der Rekrutierungsmechanismen für die entscheidenden Elitepositionen (speziell der Rolle der Bildungsinstitutionen in diesem Prozess) als auch der Stellung der wichtigen Eliten zueinander sowie im Verhältnis zur übrigen Gesellschaft. In diesem Zusammenhang wird abschließend noch der Versuch unternommen, anhand der aufgezeigten Differenzen und Defizite der bisherigen Eliteforschung für einige zentrale Punkte Lösungsansätze zu formulieren.