Europa in der Karikatur - Deutsche und britische Darstellungen im 20. Jahrhundert

von: Priska Jones

Campus Verlag, 2009

ISBN: 9783593407593 , 323 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 45,99 EUR

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Europa in der Karikatur - Deutsche und britische Darstellungen im 20. Jahrhundert


 

Karikaturen in Deutschland und Großbritannien In seiner Autobiographie bemerkte der in Neuseeland geborene britische Karikaturist David Low zum britischen Publikum und zur Situation der britischen Bildsatire in den 1920er Jahren: The English, by all evidence, had much more appreciation of humor than of wit.Wit was rather the diversion of intellectuals, narrowed to more or less obscure or esoteric references and associations. In 1920 there was no radio and Hollywood was young; and the British masses still had not only music, songs, plays, pictures but especially their own local jokes, farce and broad comedy, none of it yet overlaid by streamlined American imports. [. . . ] By the time the world had arrived at 1920, the original ribald rowdy fun of the old masters in this department, Gillray and Rowlandson, had considerably watered down. Leech, Doyle, Tenniel, Sambourne and Partridge had rubbed the rough places off the genuine article, and substituted dignity and grace for strength and power in political caricature. [. . . ] The translation of the art of Caricature from periodical to the daily newspaper had begun in many ways an even more restricting and emasculating change. [. . . ] A world war had just passed, taking, by the feel of things, the old social order with it. It did not require a New Zealander standing on London Bridge to see that much of pre-war inspiration of graphic wit and humor was outdated, overtaken and run down by events. In diesem Zitat treten vor allem drei Aspekte zu Tage: Erstens wird die Karikatur- Tradition der Briten beschrieben, ihre Vorliebe für die sowohl niveauvolle als auch derbe Bildsatire in der Tradition des frühen 19. Jahrhunderts mit James Gillray und Thomas Rowlandson, und nicht so sehr für die zurückhaltende und stilisierte Bildkunst vieler Karikaturisten der viktorianischen Ära. Ein zweiter Aspekt ist die veränderte mediale Situation der Bildsatire mit ihrer Verlagerung von Satiremagazinen wie dem Punch hin zur Publikation in Tageszeitungen. Der Verlust des Publikationsmonopols für Karikaturen von Satiremagazinen ging auch mit strukturellen Veränderungen der Bildsatire einher: In den Tageszeitungen wurden weder ganzseitige Karikaturen abgedruckt, noch hatte der Zeichner eine ganze Woche Zeit für die Produktion der nächsten Karikatur, denn das Medium der Tagespresse zwang den Karikaturisten zur höher frequentierten Produktion. Mit dem Einzug der Bildsatire in die Tagespresse wurde die Karikatur auch zum ersten Mal einem breiteren Publikum zugänglich. Ein dritter Aspekt ist die veränderte externe Lage: Das Ende des Ersten Weltkrieg bewirkte offenbar eine starke Politisierung der Karikatur, die durch ein generelles Bewusstsein für die krisenhaften sozialen Verhältnisse forciert wurde. Damit nahm die Produktion politischer Karikaturen im Verhältnis zu Gesellschaftskarikaturen zu, in denen es vorwiegend um Alltagswitze und Gesellschaftskritik, wie beispielsweise übertriebene Extravaganzen der Mode, ging. Insofern transformierte sich verstärkt nach dem ErstenWeltkrieg in der britischen Tagespresse allmählich das Berufsprofil des Karikaturisten vom Künstler zum ereignisorientierten politischen Zeichner. Mit Karikaturisten wie Vicky, David Low oder Leslie Illingworth trat eine neue Generation britischer Karikaturisten auf, deren Modell der politischen Tageskarikatur oder ?editorial cartoon? bis heute ein etabliertes und maßgebendes Genre geblieben ist. Nachdem Frankreich und Großbritannien im 18. und 19. Jahrhundert durch renommierte Künstler die Szene der Bildsatire bestimmt hatten, galt Deutschland im 20. Jahrhundert als das Land mit den besten Zeichnern und der vielfältigsten satirischen Magazinlandschaft. Während in Großbritannien das konservative Satiremagazin Punch eine gewisse Monopolstellung einnahm, konkurrierten in Deutschland vor allem drei große politische Satiremagazine miteinander. Der 1848 gegründete Kladderadatsch stand dabei eher auf der nationalkonservativen Seite und entwickelte sich in den 1920er Jahren immer radikaler zu einem die nationalsozialistische Propaganda affirmativ unterstützenden Blatt mit unverhohlen antisemitischen Tendenzen. Die Auflage dieses Blattes lag vor dem Ersten Weltkrieg bei 40.000 und baute bis Anfang der 1930er Jahre auf zirka 17.500 Exemplare ab. Der Münchener Simplicissimus entwickelte sich vom bürgerlich-demokratischen Kampfblatt, dessen beliebtestes Opfer in der wilhelminischen Ära der Kaiser gewesen war, in den 1920er Jahren ebenfalls zu einem nationalistischen Organ und ab 1933 schließlich zum »Aushängeschild der neuen Machthaber«. Die Auflage des Simplicissimus lag Ende der 1920er Jahre bei 40.000 und sank seitdem kontinuierlich ab. Als drittes großes Satiremagazin publizierte der Wahre Jacob politische Karikaturen, konzentrierte sich als Organ der Sozialdemokratie auf sozialpolitische Probleme insbesondere der Arbeiterschaft und stand dem aufsteigenden Nationalsozialismus kritisch gegenüber. Die Auflagenzahl des Wahren Jacob lag in den 1920er Jahren bei 80.000, wobei der faktische Leserkreis mit zirka sechs Personen pro Exemplar um ein Vielfaches höher gewesen sein dürfte. Aufgrund der Inflation musste das Magazin sein Erscheinen im Oktober 1923 kurzfristig einstellen, wurde dann aber 1924 unter dem Namen Lachen links wieder aufgenommen und trug ab 1929 wieder den traditionellen Titel Wahrer Jacob. Obwohl das Themenspektrum der politischen Satiremagazine der Weimarer Republik weit gespannt war, blieb doch die innenpolitische Perspektive dominierend und der außenpolitische Blick vor allem auf die nationalen und internationalen Folgen des Ersten Weltkrieges gerichtet. Im Gegensatz zu Großbritannien war die deutsche Karikatur der Satiremagazine vor allem in der Zwischenkriegszeit ein Kampfbild, während die britische Pressekarikatur eher einen politischen Kommentar darstellte. Der Verlagerungsprozess der politischen Karikatur von den Satiremagazinen hin zur Tagespresse, der in Großbritannien verstärkt seit dem Ende des Ersten Weltkrieges eingesetzt hatte, machte sich in Deutschland vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bemerkbar. Da sich viele Zeitungen zunächst noch keinen ?Hauskarikaturisten? leisten konnten, schlossen sie Verträge mit anderen Zeitungen und erwarben Publikationsrechte für die Karikaturen eines Zeichners, so dass diese in verschiedenen Zeitungen parallel erschienen. Inzwischen gelten politische Karikaturen als ?Visitenkarte? eines Blattes und haben sich als Grundausstattung der meisten Tageszeitungen etabliert. Insgesamt weisen beide Länder also starke Traditionen der politischen Bildsatire auf, wobei die Hochzeit der klassischen britischen Satire eher im frühen 19. und die der deutschen eher im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu verorten ist. Wie schon im oben wiedergegebenen Zitat von David Low deutlich wurde, veränderten nicht nur politische Umbrüche wie die beiden Weltkriege die Bedingungen und Interessen der Bildsatire. Hinzu kam ein medienstruktureller Wandel, weswegen die Bedeutung der Pressekarikatur auch im Verhältnis wachsender Medienkonkurrenz gemessen werden muss. Als Stichprobe wurden dafür acht britische Zeitungen exemplarisch einmal im Juni 1950 und noch einmal im Dezember 1990 hinsichtlich von Text-Bild-Verhältnissen durchgesehen. Die Auswertung ergab, dass die Gestaltung der Zeitungen 1950 noch einen überwiegenden Textanteil aufwies: Vor allem die Qualitätszeitungen druckten nur vereinzelt Fotos, noch wenig graphische Werbung und, wenn überhaupt, einbis zweimal wöchentlich eine politische Karikatur. Die Zeitungen des ?middlemarket? widmeten dem graphischen und bildlichen Material zwar schon 1950 breiten Raum, allerdings nicht in dem omnipräsenten Maße wie im Vergleichsjahr 1990. Ob eine Karikatur die Aufmerksamkeit der Leser gewinnen kann, hängt zumindest auch davon ab, mit wie vielen anderen visuellen Eindrücken sie auf einer Seite konkurrieren muss. Während um 1950 eine politische Karikatur meist noch den einzigen graphischen Eindruck auf einer Seite bildete, musste sie sich 1990 häufig gegen graphischeWerbung, Fotos und Infographiken durchsetzen, ganz zu schweigen von anderen Leitmedien wie Fernsehen und Internet. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass politische Karikaturen in den 1950er Jahren ein tendenziell stärkeres visuelles Wirkungspotential entfalteten als 1990. Andererseits kann die generell zunehmende Präsenz von visuellen Medien langfristig dazu geführt haben, dass damit einhergehend auch eine stärkere Medienkompetenz ausgebildet wurde, die insbesondere in der Fähigkeit besteht, Bilder hinsichtlich ihrer abbildenden und symbolischen Qualitäten unterscheiden zu können.