Still Alice - Mein Leben ohne Gestern

von: Lisa Genova

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2009

ISBN: 9783838701172 , 323 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Still Alice - Mein Leben ohne Gestern


 

MÄRZ 2005 (S. 273-274)

Alice stand auf dem Podium, mit ihrer getippten Rede in der Hand, und sah auf die Leute, die im großen Ballsaal des Hotels versammelt saßen. Früher konnte sie ein Publikum mit dem Augenmaß abschätzen und mit fast übersinnlicher Genauigkeit sagen, wie viele Leute anwesend waren. Das war eine Fähigkeit, die sie inzwischen nicht mehr besaß. Es waren viele Leute da. Die Organisatorin der Konferenz, wie immer sie hieß, hatte ihr gesagt, über siebenhundert Leute hätten sich für die Konferenz angemeldet. Alice hatte schon oft vor so großen und noch größeren Gruppen gesprochen.

Zu den Zuhörern bei ihren Ansprachen gehörten hoch angesehene Professoren der Ivy-League-Universitäten, Nobelpreisträger und die führenden Denker der Welt auf dem Gebiet der Psychologie und Sprache. Heute saß John in der vordersten Reihe. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick über seine Schulter, während er sein Programmheft immer wieder zu einer festen Röhre zusammenrollte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sein Lucky-Gray-T-Shirt trug. Im Allgemeinen trug er es nur an den kritischsten Labortagen, an denen er mit einem entscheidenden Ergebnis rechnete. Sie lächelte über seine abergläubische Geste.

Anna, Charlie und Tom saßen neben ihm und unterhielten sich. Ein paar Plätze weiter saßen Mary, Cathy und Dan mit ihren Ehepartnern. Vorn in der Mitte saß Dr. Davis, Stift und Notizblock bereit. Hinter ihnen saß ein Meer von Fachleuten aus dem Gesundheitswesen, die sich der Pflege von Demenzkranken widmeten. Es war vielleicht nicht ihr größtes oder renommiertestes Publikum, aber von allen Vorträgen, die sie in ihrem Leben gehalten hatte, würde dieser, so hoffte sie, die nachhaltigste Wirkung haben. Sie glitt mit den Fingern immer wieder über die glatten, mit Edelsteinen besetzten Flügel ihrer Schmetterlingskette, die auf dem knubbeligen oberen Ende ihres Brustbeins lag. Sie räusperte sich. Sie nahm einen Schluck Wasser.

Sie berührte die Schmetterlingsflügel ein letztes Mal, als Glücksbringer. Heute ist ein besonderer Anlass, Mom. »Guten Morgen. Mein Name ist Dr. Alice Howland. Ich bin allerdings weder Neurologin noch Allgemeinärztin. Ich habe meinen Doktortitel in Psychologie. Ich war fünfundzwanzig Jahre lang Professorin an der Harvard-Universität. Ich habe kognitive Psychologie gelehrt, ich habe auf dem Gebiet der Linguistik geforscht, und ich habe auf der ganzen Welt Vorträge gehalten. Heute bin ich jedoch nicht hier, um als Expertin für Psychologie oder Sprache zu Ihnen zu sprechen.

Ich bin heute hier, um als Expertin für die Alzheimer-Krankheit zu Ihnen zu sprechen. Ich behandle keine Patienten, führe keine klinischen Versuche durch, untersuche keine DNA-Mutationen und berate keine Patienten mit ihren Familien. Ich bin eine Expertin zu diesem Thema, weil bei mir vor etwas über einem Jahr die früh einsetzende Alzheimer-Krankheit diagnostiziert wurde. Ich fühle mich geehrt, diese Gelegenheit zu haben, heute zu Ihnen zu sprechen und Ihnen, wie ich hoffe, einen Einblick davon zu vermitteln, wie es ist, mit Demenz zu leben. Bald, auch wenn ich dann immer noch wissen werde, wie es ist, werde ich nicht mehr imstande sein, es Ihnen gegenüber auszudrücken.