Heilung im Licht - Wie ich durch eine Nahtoderfahrung den Krebs besiegte und neu geboren wurde

von: Anita Moorjani

Arkana, 2012

ISBN: 9783641085421 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Heilung im Licht - Wie ich durch eine Nahtoderfahrung den Krebs besiegte und neu geboren wurde


 

Kapitel 1

Immer außen vor

Indien ist ein wunderbares Land, doch war es mir nicht bestimmt, dort zu leben. Obwohl meine Eltern ihrer ethnischen Herkunft nach Inder sind und ursprünglich aus Hyderabad in der Provinz Sindh stammen, wurde ich in Singapur geboren.

Mein Großvater väterlicherseits war Textilhändler. Er besaß auf Sri Lanka ein Familienunternehmen, importierte europäische, indische und chinesische Textilien und exportierte sie in alle Welt. Mein Vater musste aufgrund der Gegebenheiten unserer Firma viel herumreisen, bevor er sich schließlich in der damaligen britischen Kolonie Hongkong niederließ. Zu jenem Zeitpunkt war ich zwei Jahre alt.

Meine Anfänge betteten mich in drei Kulturen und Sprachen ein. Hongkong, eine pulsierende und umtriebige Metropole, ist überwiegend von Chinesen bevölkert, weshalb ich mit den ortsansässigen Leuten Kantonesisch sprechen lernte. Meine Eltern schickten mich und meinen Bruder Anoop auf britische Schulen, wo wir auf Englisch unterrichtet wurden, und die meisten meiner Schulkameradinnen und -kameraden waren Briten, die im Ausland lebten. Zuhause sprach unsere Familie jedoch Sindhi, unsere Muttersprache, und praktiziert wurde die traditionelle Lebensweise der Hindus.

Mein Vater war ein groß gewachsener, gut aussehender Mann, der von seiner Familie Respekt einforderte. Ich wusste, dass er uns liebte, aber er war streng und erwartete, dass wir uns seinen Regeln unterwarfen. Als Kind hatte ich Angst vor ihm und achtete darauf, ihm nicht in die Quere zu kommen. Meine Mutter hingegen ging immer liebevoll mit meinem Bruder und mir um, und ich hatte nie Angst, ihr meine Gefühle anzuvertrauen.

Anoop liebte ich geradezu abgöttisch, und wir stehen uns seit jeher sehr nahe, obwohl er fünf Jahre älter ist als ich. Im Kindesalter bedeutet das einen erheblichen Altersunterschied, weshalb wir selten miteinander spielten; aber wir stritten uns nie. Vielmehr sah ich zu ihm auf, und er nahm mir gegenüber die Rolle des starken Beschützers ein. Ich fühlte mich sehr sicher, wenn er da war, und konnte mit ihm über alles reden. Gemessen an meinem Vater war er der stärkere männliche Einfluss in meinem Leben.

Die Ehe meiner Eltern war nach traditioneller Art arrangiert worden, und sie hegten die Hoffnung, eines Tages auch für Anoop und mich, wenn wir alt genug wären, geeignete Ehepartner zu finden. Auch verlangte die Tradition, dass die Frau sich ihrem Mann und den männlichen Verwandten unterwarf.

Diese ungleiche Stellung der Geschlechter ist in meiner Kultur weit verbreitet. Als Kind stellte ich diese Wertvorstellungen nicht in Frage und nahm es als selbstverständlich hin, dass die Dinge so sein sollten. Meine erste unangenehme Erfahrung mit dieser Ungleichheit machte ich jedoch im zarten Alter von sechs Jahren, als ich eine, in unserer indischen Sprache geführte, Unterhaltung zwischen meiner Mutter und einer anderen Dame mit anhörte.

»Warst du enttäuscht, als dein zweites Kind geboren wurde und es ein Mädchen war?«, fragte diese Frau.

Ich horchte auf die Antwort und spürte Angst in mir aufsteigen.

»Nein, natürlich nicht. Ich liebe meine Tochter!«, erwiderte meine Mutter zu meiner großen Erleichterung.

»Aber Mädchen sind ein Problem, vor allem, wenn sie erwachsen werden«, sagte die Frau. »Bei Mädchen muss man sichergehen, dass sie nicht verzogen werden, sonst bekommen sie keinen guten Ehemann. Und die Mitgift, die verlangt wird, wenn man seine Tochter verheiraten will, wird auch jedes Jahr höher!«

»Man kann nicht in die Zukunft sehen. Jedes Kind, ob Junge oder Mädchen, bringt sein eigenes Schicksal mit«, gab meine Mutter weise zurück.

»Nun, ich bin glücklich, dass ich zwei Söhne habe!«, sagte die Frau voller Stolz. Selbst mein noch junger Geist konnte das Gefühl von Leistung wahrnehmen, das sie bei dieser Aussage empfand.

Als meine Mutter und ich dann später unter uns waren, fragte ich: »Mama, ist es wahr, dass Mädchen ein Problem sind?«

»Nein, natürlich nicht, Beta Liebling«, gab sie zur Antwort. (Beta ist in unserer Sprache ein Kosewort für »mein Kind«.)

Meine Mutter zog mich an sich und umarmte mich, und ich erinnere mich, in diesem Augenblick gedacht zu haben: Ich will nie ein Problem für meine Eltern sein, nur weil ich ein Mädchen bin. Ich will nicht, dass sie sich je wünschen, ich wäre als Junge zur Welt gekommen.

UNSER ERSTES ZUHAUSE in Hongkong war eine Wohnung in einem neunstöckigen Gebäude in Happy Valley. Sie befand sich im siebten Stock und bot Ausblick auf die Pferderennbahn. Ich pflegte stundenlang aus dem Fenster zu schauen und zu beobachten, wie die farbenprächtig gekleideten Jockeys ihre Pferde für die Rennen an den Wochenenden trainierten.

Meine Tagträumereien am Fenster wurden vom Lärm der Straßenbahn unterbrochen, die unten auf der an unserem Wohnblock vorbeiführenden Hauptstraße entlangratterte.

Morgens, wenn ich aufstand, schlug mir meist der vertraute Geruch von Sandelholz- und Rosenduft-Räucherstäbchen entgegen. Ein starker Duft, den ich immer geliebt habe, denn er vermittelte mir das Gefühl von Frieden und Heiterkeit. Meine Mutter war dann gewöhnlich dabei, sich vor unserem Hausaltar niederzulassen. Sie trug einen ihrer unzähligen farbenfrohen Salwaar Kamiz, (ein traditionelles indisches Gewand), das zumeist aus feiner indischer Seide oder französischem Chiffon gefertigt war.

Meine Eltern ließen sich jeden Morgen vor unserem Hausaltar nieder, auf dem die Gottheiten Krishna, Lakshmi, Shiva, Hanuman und Ganesha versammelt waren, um zu beten, zu meditieren und Mantras zu rezitieren. Das taten sie, um sich ihre innere Stärke ins Bewusstsein zu rufen, bevor sie sich dem neuen Tag stellten. Sie folgten den in den Veden enthaltenen Schriften sowie den Lehren des Guru Nanak und seines heiligen Buches Guru Granth Sahib.

Oft saß ich mit vor dem Altar und sah genau zu, wenn sie die Räucherstäbchen entzündeten, sie vor den kleinen Statuen und Bildern der verschiedenen Gottheiten im Kreis schwangen und ihre Pujas (Gebete) im Singsang rezitierten. Dann machte ich es ihnen nach.

Später schaute ich unserem chinesischen Kindermädchen Ah Fong zu, die ihren verschiedenen Aufgaben nachkam und dabei auf Kantonesisch mit mir schwatzte. Ihr winziger, in den traditionellen schwarz-weißen Samfoo (ein traditionelles chinesisches Gewand) gekleideter Körper führte kleine flinke Bewegungen aus, während sie in der Wohnung umherhuschte. Ich hing sehr an ihr. Ah Fong kam zu uns, als ich zwei Jahre alt war, und ich konnte mich an keine Zeit erinnern, in der sie nicht Teil unserer Familie gewesen war.

AN NORMALEN WOCHENTAGEN sah ich meine Eltern erst am frühen Abend wieder. Ah Fong holte mich von der Schule ab, und wir gingen nach Hause, um Mittag zu essen. Danach nahm sie mich oft mit zum Markt, wo sie frische Nahrungsmittel kaufte und andere Besorgungen machte. Wir fuhren mit der Straßenbahn, und diese Ausflüge machten mir große Freude.

Wir hüpften in die Tram, die direkt vor unserem Haus hielt. Für mich war das immer ein Abenteuer. Ich blickte aus dem Fenster, während die Straßenbahn sich ihren Weg durch die engen, überfüllten Straßen von Hongkong bahnte; durch Happy Valley, Causeway Bay und Wan Chai; dann stiegen wir beim Markt aus, und Ah Fong nahm mich fest an die Hand. Für mich gab es ungemein viel zu sehen, und ich genoss es, die Gerüche und Töne dieses Umfelds in mich aufzunehmen. Meine Eltern gingen mit mir nie an solch aufregende Orte! Sie fuhren nur mit dem Auto und kauften in großen Kaufhäusern ein, die mir im Vergleich zu diesem Kaleidoskop an Farben und Empfindungen langweilig vorkamen.

Auf dem Markt wurde alles feilgeboten, von frischem Obst und Gemüse oder Haushaltswaren bis hin zu Schnickschnack und Kinderspielzeug. Die Verkäufer priesen lauthals ihre Waren an, und die Stände waren nach keiner bestimmten Ordnung aufgestellt. Gemüsestände wechselten sich ab mit Verkaufsständen, die Schuhe, Blumen, Töpfe und Pfannen, billiges Plastikspielzeug, farbenprächtige Aufbauten von frischen Früchten, Kostümschmuck, Ballons, frischen Fisch, Fleisch, Socken und Strümpfe, farbenprächtige Servietten und Handtücher, Tischtücher und vieles mehr anboten, wobei die meisten Stände ihre Waren bis an die Straße ausbreiteten. Meine Faszination hielt Stunden an.

»Ah Fong, Ah Fong! Schau dir das an! Was macht der Mann mit der Schlange?«, rief ich aufgeregt.

»Das ist ein Schlangenverkäufer. Er bindet die Schlange zusammen, und die Familie dort nimmt sie mit nach Hause und kocht eine Schlangensuppe«, erwiderte Ah Fong.

Verwundert und mit großen Augen beobachtete ich, wie sich die Schlange in den geschickten Händen des Verkäufers hin und her wand und um ihre Freiheit kämpfte – vergebens. Die arme Kreatur tat mir leid, als sie fachmännisch mit Bambusstreifen zusammengebunden und in einen Maschendrahtkäfig verfrachtet wurde.

Aus all diesen Gründen liebte ich es, mit Ah Fong auf den Markt zu gehen. Bei diesen kleinen Ausflügen konnte ich meinen ausgeprägten Sinn für Abenteuer ein wenig ausleben.

OBWOHL SIE SCHON viele Jahre bei uns lebte, senkte Ah Fong nach wie...