In einer heißen Sommernacht - Roman

von: Sandra Brown

Blanvalet, 2013

ISBN: 9783641084899 , 288 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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In einer heißen Sommernacht - Roman


 

Prolog

»Ist Ihre Taschenuhr zufällig zu verkaufen?«

Der alte Mann hob den Kopf. Die Frau, die die Frage gestellt hatte, beugte sich über die Glasvitrine, die zwischen ihnen stand. In der Vitrine lagen Schnupftabakdosen, Hutnadeln, Rasiermesser mit Griffen aus Hirschhorn, Salzfässchen mit Löffeln aus fleckigem Sterlingsilber und diverse Schmuckstücke, die erst kürzlich aus einer Haushaltsauflösung eingetroffen waren.

Aber die Frau interessierte sich für seine Taschenuhr.

Er schätzte sie und ihren Begleiter auf Mitte vierzig. Wahrscheinlich machte die goldene Taschenuhr auf die beiden einen eleganten und altertümlich originellen Eindruck à la Rockwell. Das Paar war adrett gekleidet, im feinen Country-Club-Stil. Beide waren schlank und gebräunt und passten gut zusammen, als bildeten sie schon immer ein Doppelpack; der Mann und die Frau waren gleichermaßen attraktiv.

Sie waren in einem schnittigen Geländewagen gekommen, der auf dem staubigen Kiesparkplatz vor dem Antiquitätengeschäft fehl am Platze wirkte. In der halben Stunde, seit sie hier waren, hatten mehrere Objekte ihr Interesse geweckt. Die Sachen, die sie sich ausgesucht hatten, waren qualitativ hochwertig. Wie bereits ihre äußere Erscheinung vermuten ließ, besaßen sie einen anspruchsvollen Geschmack.

Der alte Mann hatte die ausgewählten Gegenstände gerade auf einer Quittung aufgelistet, als die Kundin ihn auf die Taschenuhr ansprach. Er legte beschützend die Hand auf seine Westentasche, aus der die Taschenuhr herauslugte, und lächelte. »Nein, Ma’am. Von meiner Uhr kann ich mich nicht trennen.«

Sie hatte das Selbstbewusstsein einer hübschen Frau, die es gewohnt war, andere mit ihrem Lächeln zu betören. »Auch nicht zu einem guten Preis? Solche Uhren findet man heutzutage selten. Die neuen Modelle sehen so … nun ja, neu aus. Durch den Glanz wirken sie unecht und billig, nicht wahr? Eine Patina, wie bei Ihrer Uhr, verleiht dagegen Charakter.«

Ihr Begleiter, der die Bücherregale durchstöbert hatte, gesellte sich zu ihnen an die Verkaufstheke. Wie seine Frau beugte er sich über die Glasvitrine, um die Taschenuhr genauer in Augenschein zu nehmen. »Vierundzwanzig Karat?«

»Ich glaube schon, obwohl ich sie nie habe schätzen lassen.«

»Ich würde sie auch ohne Gutachten nehmen«, erwiderte der Mann.

»Aber ich möchte sie nicht verkaufen. Tut mir leid.« Der Ladenbesitzer fuhr fort, die Quittung sorgfältig auszufüllen. An manchen Tagen machte die Arthritis in den Fingern ihm das Schreiben schwer, aber was hatte ein Computer in einem Antiquitätengeschäft zu suchen? Außerdem traute er der modernen Elektronik nicht.

Er rechnete die Beträge auf altmodische Art zusammen, übertrug die Zehner und kam schließlich auf die Gesamtsumme. »Inklusive Steuer macht das dreihundertsiebenundsechzig Dollar und einundvierzig Cent.«

»Das geht in Ordnung.« Der Mann zückte eine Kreditkarte aus einem kleinen Krokodillederportemonnaie und schob sie über die Vitrine. »Setzen Sie bitte noch zwei Flaschen Evian auf die Rechnung.« Er ging zu einem modernen Kühlschrank mit Glastür. Der hatte eigentlich auch nichts in einem Antiquitätengeschäft zu suchen, aber durstige Kunden blieben länger, wenn sie etwas zu trinken bekamen. Darum war der Kühlschrank das einzige kleine Zugeständnis des Ladenbesitzers an die Moderne.

»Die gehen aufs Haus«, entgegnete er seinem Kunden. »Bedienen Sie sich.«

»Das ist sehr nett von Ihnen.«

»Ich kann es mir leisten«, erwiderte er lächelnd. »Dies ist mein bestes Geschäft an diesem Wochenende.«

Der Mann nahm zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank und gab eine davon seiner Frau, dann unterschrieb er den Kreditkartenbeleg. »Gibt es viele Kunden, die sich hierher verirren, abseits der Interstate?«

Der Ladenbesitzer nickte. »Ja, meist Leute, die es nicht besonders eilig haben, an ihr Ziel zu kommen.«

»Wir haben Ihre Reklame an der Autobahn gesehen«, sagte die Frau. »Wir sind neugierig geworden und haben uns spontan entschieden, die Ausfahrt zu nehmen.«

»Die Werbung kostet mich einen Haufen Geld. Schön zu wissen, dass sie was bringt.« Er begann, die Ware in Seidenpapier einzuschlagen.

Der Mann ließ den Blick durch den Raum wandern, sah kurz hinaus auf den Parkplatz, der abgesehen von seinem eigenen Benzinschlucker leer war, und fragte mit zweifelndem Unterton: »Läuft das Geschäft denn gut?«

»Mittelprächtig. Der Laden ist für mich eine Art Hobby. Das hält meinen Körper und meinen Geist in Bewegung. So habe ich eine Beschäftigung im Ruhestand.«

»In was für einer Branche haben Sie früher gearbeitet?«

»In der Textilbranche.«

»Haben Sie sich schon immer für Antiquitäten interessiert?«, fragte die Frau.

»Nein«, antwortete der alte Mann verlegen. »Wie die meisten Dinge in meinem Leben kam auch das hier …«, er machte eine ausladende Bewegung mit den Händen, »… unerwartet.«

Die Frau zog einen hohen Hocker heran und setzte sich. »Das klingt nach einer spannenden Geschichte.«

Der alte Mann lächelte erfreut über ihr Interesse und die Gelegenheit zu einem Schwätzchen. »Die Möbel aus dem Haus meiner Mutter waren jahrelang eingelagert. Als ich in Rente ging und Zeit hatte, den ganzen Nachlass durchzusehen, stellte ich fest, dass ich für das meiste davon keine Verwendung hatte. Aber ich dachte mir, andere Leute könnten vielleicht Interesse daran haben. Also begann ich, zuerst das Porzellan und anderen Kleinkram zum Beispiel auf Wochenendflohmärkten zu verkaufen. Obwohl ich keinen besonderen Ehrgeiz hatte, stellte sich heraus, dass ich ein Verkaufstalent war.

Es dauerte nicht lange, da brachten Freunde und Bekannte mir ständig Sachen vorbei, um sie für sie zu verkaufen. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte ich keinen Platz mehr in meiner Garage und musste dieses Gebäude hier mieten.«

Er schüttelte den Kopf und lachte leise in sich hinein. »Ich bin in den Handel mit Antiquitäten einfach so hineingestolpert. Aber es gefällt mir.« Er grinste sie an. »Das hält mich auf Trab und das Geld in Umlauf, außerdem lerne ich nette Leute kennen wie Sie beide. Woher kommen Sie?«

Sie antworteten, dass sie in Tulsa lebten und ein langes Wochenende in San Antonio verbracht hatten, um mit Freunden Golf zu spielen. »Wir haben es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Als wir Ihr Schild sahen, haben wir spontan beschlossen, einen Zwischenstopp einzulegen und uns bei Ihnen umzuschauen. Wir sammeln für unser Haus am See Antiquitäten und Landhausmöbel.«

»Ich bin froh, dass Sie angehalten haben.« Er gab der Frau eine Visitenkarte mit seinem Geschäftslogo. »Falls Sie es sich mit der Suppenterrine von Spode, die Sie so lange betrachtet haben, noch anders überlegen sollten, rufen Sie mich an. Ich verschicke Waren auch per Post.«

»Vielleicht mache ich das.« Sie fuhr mit dem Finger über den aufgeprägten Namen auf der Visitenkarte und las ihn laut vor. »Solly. Das ist ein ungewöhnlicher Name. Vorname oder Zuname?«

»Vorname. Eine Abkürzung für Solomon, nach dem weisen König im Alten Testament.« Er lächelte wehmütig. »Ich habe mich oft gefragt, ob meine Mutter Hintergedanken hatte, als sie diesen Namen wählte.«

»Das ist das zweite Mal, dass Sie Ihre Mutter erwähnen.« Das Lächeln der Frau war wärmer, sogar hübscher, wenn sie es nicht einsetzte, um daraus einen Vorteil zu schlagen. »Sie müssen ihr wohl sehr nahe gestanden haben. Ich meine, ich nehme an, sie lebt nicht mehr.«

»Sie starb Ende der Sechziger.« Ihm kam der Gedanke, dass das für das Paar wie eine Ewigkeit klingen musste. Sie waren damals sicher erst geboren. »Mutter und ich hatten ein sehr enges Verhältnis. Ich vermisse sie heute noch. Sie war eine tolle Frau.«

»Stammen Sie aus Gilead?«

»Ich bin hier geboren, in einem großen gelben Haus, das früher meinen Großeltern mütterlicherseits gehörte.«

»Haben Sie Familie?«

»Meine Frau ist vor acht Jahren gestorben. Ich habe zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Beide leben in Austin und haben mich mit insgesamt sechs Enkelkindern beglückt. Das älteste wird bald heiraten.«

»Wir haben zwei Söhne«, sagte die Frau. »Sie studieren an der Oklahoma State.«

»Kinder sind eine Freude.«

Die Frau lachte. »Aber auch eine Herausforderung.«

Ihr Mann hatte die Unterhaltung verfolgt, während er nebenbei den Bücherschrank inspizierte. »Das sind Erstausgaben.«

»Alle signiert und in hervorragendem Zustand«, erwiderte der Ladenbesitzer. »Ich habe sie neulich bei einer Haushaltsauflösung erstanden.«

»Beeindruckende Sammlung.« Der Mann strich mit dem Finger über die Buchrücken. »Kaltblütig...