Suchen und Finden
Perfer et obdura (S. 71-72)
Ertrage und halte aus … na ja, was auch sonst, außer man gibt sich das Erfrischungsstäbchen
Heute möchte ich mich mal über gute französische Restaurants in Deutschland und platonische Freundschaften zwischen Männern und Frauen auslassen. Beides gehört ja angeblich ins Reich der Fantasie. Nun, bei mir um die Ecke gibt es ein her vorragendes französisches Restaurant, und wenn ich mir nicht gerade vor dem PC mein Geld verdiene oder bei meinem Stammkneipier Gerd mein Kilkenny kippe, dann sitze ich wie festgeleimt auf meinem Stammplatz im Le Parigo, krümele wie eine Weltmeisterin auf die Papiertischdecke – auf der ich nur so viel Platz lasse, dass Henri hinterher die Rechnung darauf ad dieren kann – und stippe mein Baguette in die Weinberg schneckensoße. Schon am Zucken meiner linken Augenbraue erkennt Henri, wann Nachschub des köstlichen hauseigenen Beerentropfens angesagt ist.
Wobei »Henri« nur sein kellnern der Künstlername ist, in Wirklichkeit heißt er Uwambajimana und kommt aus den »Kolonien«, wie er selbst sagt. Und am allerliebsten gehe ich natürlich mit einem echten Franzosen zum »Franzosen«. Schon deshalb, weil ich kein Französisch und Henri kein Deutsch kann, da braucht’s einen Dolmetscher, wenn ich kein »Zitteraalgratin« oder Ähnliches auf dem Teller vorfi nden will. Der Haken an der Sache: Zeigen Sie mir mal einen in Deutschland lebenden Franzosen, der gern französisch essen geht. Wenn ein Franzose gern französisch es sen geht, dann bleibt er in Nuit-sur- Bonne oder in Paris oder wo immer er herkommen mag. Zu uns nach Stuttgart ziehen nur die magenmutierten Heimatfl üchtigen, die lieber indisch essen und – Frechheit – mit den Jahren lernen, ohne diesen zückenden accent zu zu sprechen.
So ist es bei Jacques auch. Jacques ist ein ganz lieber Kerl und – wir kommen jetzt zum platonischen Teil der Geschichte – mein bester Kumpel. Er ist »Kulturschaffender«, was in seinem konkreten Fall heißt, dass er für so gut wie kein Geld in einem Kleintheater als Mädchen für alles arbeitet. Ich zwinge ihn nicht, die von mir übersetzten Bücher zu lesen, und er verlangt nicht von mir, eine der experimentellen Aufführungen seiner Bühne zu besuchen.
So kommen wir bestens miteinander aus. Ansonsten läuft nix zwischen uns. Mir ist Jacques viel zu knuddelig – mit seinen roten Wallelocken und dem Rausche bart erinnert er mich an meinen alten Teddy. Wer will schon Sex mit seinem alten Teddy? Außerdem liebt Jacques Sylvie. Dum merweise liebt Sylvie alles andere mehr als den guten Jacques, weswegen seine gletscherblauen Johnny-Halliday-Augen im mer ein wenig melancholisch dreinblicken. Aber das ist ja für einen Kulturschaffenden gar nicht so schlecht. »Du musst mir einen Gefallen tun.«
Jacques geht grundsätzlich nur dann mit mir ins Le Parigo, wenn ich ihm einen Gefallen tun soll. »Wir haben morgen Abend eine Krimilesung – Kristiane Plön. Sie hat darum gebeten, dass man sie vom Flughafen ab holt.« Ich hätte mich beinahe an meiner Zwiebelsuppe verschluckt. »Seit wann könnt ihr es euch leisten, jemand einfl iegen zu las sen?« »Sie kommt direkt aus dem Urlaub zu uns. Wir bezahlen dann nur die Bahnfahrt zurück nach Köln.« Jacques rührte in seiner Consommé. »Eigentlich wollte Uschi das machen, aber sie ist gestern Abend mitten in Warten auf Godot von der Bühne gefallen und hat sich den Knöchel gebrochen.« Er klang, als hätte Uschi das mit Absicht getan. Und seit wann gibt es in Warten auf Godot eine Frauenrolle? Na, besser nicht nachha ken. »Ich hätte es ja gern selbst übernommen«, fuhr Jacques fort, aber ich muss mich um den Ton kümmern. Da stimmt irgend was nicht mit unseren Mikros, und ohne Mikro kann sie natür lich nicht lesen. Und das Licht spinnt auch.« Jacques’ Bart zitterte. Dieses Zittern kannte ich: Jacques stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. In jedem Kultur schaffenden steckt eine Diva. Ich sagte also zu.
Alle Preise verstehen sich inklusive der gesetzlichen MwSt.