Magisches Spiel - Der Bund der Schattengänger 7 - Roman

von: Christine Feehan

Heyne, 2012

ISBN: 9783641087692 , 608 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Magisches Spiel - Der Bund der Schattengänger 7 - Roman


 

1


DER PUMA WÜRDE sich umdrehen. Tansy Meadows biss sich auf die Unterlippe. Ihr Herz schlug heftig. Sie konnte die vertraute Trockenheit in ihrem Mund spüren und die Feuchtigkeit auf ihren Handflächen. Der Adrenalinstoß erschwerte es ihr, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken, und dabei musste sie jetzt unbedingt stillhalten.

Dreh dich um, meine Süße, flüsterte sie in Gedanken und setzte ihre Willenskraft ein, damit das Tier tat, was sie wollte. Wenn du dich umdrehst, mache ich dich sehr, sehr berühmt.

Die Großkatze streckte sich träge, und unter dem weichen gelbbraunen Fell bewegten sich die Muskeln ihres geschmeidigen Körpers. Die Spitze ihres langen Schwanzes zuckte.

Tansys Herzschlag setzte beinah aus, und dann schlug ihr Herz doppelt so schnell. Komm schon, kleine Mama, sagte sie einschmeichelnd, dreh dich für mich um.

Sie hatte längst kein Gefühl mehr in den Beinen; sie waren so taub von der Regungslosigkeit, dass Tansy nicht sicher war, ob sie überhaupt in der Lage sein würde, den kleinen Felsvorsprung zu verlassen, auf dem sie schon vor einigen Monaten ihren gut getarnten Unterstand errichtet hatte. Aber das spielte keine Rolle; das Einzige, was zählte, war, an dieses Foto zu kommen.

Die Berglöwin war groß, fast zweieinhalb Meter lang, und sie war hochschwanger; es konnte jetzt täglich so weit sein, dass sie ihre Jungen gebären würde. Die schiefergraue Schwanzspitze zuckte immer wieder, und Tansy hielt vollkommen still und wartete auf ihren großen Augenblick. Fünf lange Stunden schmerzhaft verkrampfter Muskeln, von den monatelangen Vorbereitungen ganz zu schweigen.

Mach schon, meine Süße, nur noch ein klein wenig mehr. Du schaffst das. Dreh dein wunderschönes Gesicht in diese Richtung.

Das Pumaweibchen machte gemächlich einen Buckel, und Tansys Anspannung wuchs. Dann drehte die Berglöwin ihren geschmeidigen Kopf, und ihre grünen Augen mit den goldenen Sprenkeln funkelten wie glitzernde Edelsteine. Tansy atmete langsam aus und begann, eine Aufnahme nach der anderen zu machen. Als wüsste sie, dass sie bewundernde Blicke auf sich zog, putzte sich die Berglöwin und leckte mit ihrer langen Zunge ihr gelbbraunes Fell. Sie verzog das Gesicht und zeigte ihre schimmernden gelben Lefzen, die blendend zur Geltung kamen. Sie brachte sogar etwas zustande, was in Tansys Augen einem Lächeln ähnelte, und gleich darauf stieß sie einen leisen, pfeifenden Ruf aus.

Berglöwen jagten vorwiegend bei Nacht. Tansy arbeitete sowohl digital als auch mit Film, wenn sie wild lebende Tiere in ihrer natürlichen Umgebung aufnahm. Genau diese Wildkatze hatte sie vor drei Wochen in einer wunderbaren Fotoserie dabei festgehalten, wie sie ein Elchkalb erlegte, aber das jetzt war seitdem ihr erster wirklicher Durchbruch. Pumas waren scheu und in ihrer natürlichen Umgebung schwer zu fotografieren. Wo es möglich war, bezogen sie mit Vorliebe hoch gelegene Aussichtspunkte, und ihr überlegenes Sehvermögen erlaubte es ihnen, Menschen auf große Entfernung zu entdecken  – lange, bevor sie von den Menschen entdeckt wurden. Tansy hatte sich eingehend mit Pumaweibchen befasst und die Großkatze, eines der am schwersten zu fassenden Tiere Nordamerikas, über einen langen Zeitraum beobachtet, da sie hoffte, eine Pumageburt auf Film einzufangen. Es war ihr Glück, dass sie eine solche Affinität zu Tieren hatte; selbst wilde Tiere schienen sich nicht allzu sehr an ihrer Gegenwart zu stören.

Sie machte weiterhin so viele Aufnahmen wie möglich, denn sie wusste, dass sich jeder Blickwinkel und jede Einstellung teuer verkaufen lassen würden. Einen besseren Hintergrund hätte sie sich gar nicht wünschen können. Der Nachthimmel, der Mond und die Sterne, die leichte Brise, die das Laub ein klein wenig in Bewegung versetzte und über das Fell mit den silbernen Spitzen strich. Ihr Motiv erwies sich als äußerst kooperativ – die Berglöwin streckte sich, sie putzte sich und zeigte ihren langen, geschmeidigen Körper aus jedem Blickwinkel.

Tansy hatte es insbesondere auf eine Fotoserie abgesehen, die das Fell in Nahaufnahmen in unterschiedlichem Licht zeigte. Die Farbe ließ sich schwer bestimmen, vor allem, da jede einzelne Haarspitze dieses Silbergrau aufwies, das es der Großkatze ermöglichte, im Halbdunkel zu verschwinden, sich nahtlos in ihre natürliche Umgebung einzufügen und sich dort während der Nachtstunden fast überall unentdeckt zu bewegen. Sie wollte eine Ahnung von dieser Tarnung, der Verstohlenheit und der Kraft der Jägerin auf den Bildern festhalten, im Gegensatz zu der verspielten und mütterlichen Persönlichkeit.

In der Ferne durchbrach das dumpfe Knattern eines Hubschraubers die Stille der Nacht; die Rotorblätter drehten sich schnell, als er im ersten Morgengrauen am Himmel näher kam. Die Berglöwin erstarrte und duckte sich, so dass die wenigen Sträucher und Grashalme, die auf dem Felsen wuchsen, sie verbargen. Sie entblößte die Zähne zu einem leisen Fauchen, als sie den Blick nach oben richtete. Tansy ließ langsam ihre Kamera sinken und verhielt sich genauso still wie die Katze. Das unerklärliche Gefühl, gejagt zu werden, sandte ihr einen Schauer über den Rücken. Ihr stockte der Atem, und im ersten Moment war sie irritiert, ein verängstigtes Wesen auf diesem schmalen Felsvorsprung mit einem wilden Puma dicht vor sich, nur wenige Schritte entfernt.

Sie wandte ihr Gesicht zum Himmel, als der Hubschrauber direkt über sie flog. Allein schon der Anblick und der Klang beunruhigten sie, und sie biss sich fest auf die volle Unterlippe, als sie aufblickte, um den Hubschrauber zu identifizieren. Sie machte sich Sorgen, ihre Eltern hätten jemanden hinter ihr hergeschickt, obwohl sie darauf beharrt hatte, dass sie genau da war, wo sie sein wollte. Sie hatte diese Wildnis gewählt, um vollständig von jedem Kontakt mit Menschen abgeschnitten zu sein, und der Hubschrauber über ihr gehörte eindeutig dem Militär und nicht dem Forstamt – und einer der Hubschrauber ihres Vaters war es erst recht nicht.

Am Rumpf des Hubschraubers schimmerten grüne Lichter, als er sich schnell über ihr bewegte, ein großer Raubvogel, der auf die hohen Bäume herabstieß und dann plötzlich außer Sicht sank, wobei die Geräusche rasch verklangen. Sie lag ganz still auf dem schmalen Vorsprung und hörte ihren Herzschlag laut in ihren Ohren. Sie zwang sich, zu atmen, als die Lichter verschwanden. Ihre Fantasie war nicht zu bremsen – vielleicht war sie doch zu lange allein gewesen.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, und ihre Aufmerksamkeit richtete sich sofort wieder auf die Katze, die mit der Zunge ein letztes Mal nahezu verächtlich das Fell an ihrem muskulösen gelbbraunen Bein leckte und dann mit einem einzigen Satz auf den Felsen über ihrem Ruhebereich sprang. Tansy wusste, dass dort ihr Bau war. Die Berglöwin hatte sich eine kleine Höhle ausgesucht, um dort ihre Jungen zu gebären.

Tansy war es gelungen, sich in zwei Höhlen einzuschleichen, die der Großkatze schon früher als Bau gedient hatten, und dort in der Hoffnung, das Ereignis auf irgendeine Weise filmen zu können, ihre Ausrüstung aufzustellen. Zu ihrer Enttäuschung war die Höhle, die die Berglöwin gewählt hatte, vollkommen unzugänglich, und das bedeutete, Tansy würde ein oder zwei weitere Jahre damit verbringen müssen, die Gattung zu beobachten und den nächsten Wurf abzuwarten, wenn diese Jungen aufgezogen waren. Bis dahin waren die Bilder der heutigen Nacht ein Vermögen wert und würden ihr das notwendige Geld einbringen, um ihre Arbeit fortzusetzen.

Tansy hatte sich ein ausgedehntes Bad in dem von der Natur geschaffenen Becken und ein noch längeres Nickerchen in der Nachmittagssonne verdient. Mit großer Behutsamkeit streckte sie ihre müden, schmerzenden Muskeln. Wo vorher nur Taubheit geherrscht hatte, setzte jetzt ein heftiges Kribbeln ein. Demnächst würden die Krämpfe folgen und ihre Waden und Oberschenkel befallen, ein Aufbegehren gegen die langen Stunden der Bewegungslosigkeit. Da der Felsvorsprung so schmal war, konnte sie sich dort kaum rühren. Sie setzte dem Kribbeln und den Krämpfen tiefe, gleichmäßige Atemzüge entgegen und machte sorgfältige Dehn- und Streckübungen, bis sie sicher war, dass sie die steile Felswand bewältigen konnte, wie sie es an den meisten Tagen tat.

Es gab winzige Felsspalten, in die sie ihre Finger und Zehen zwängen konnte. Schon vor langer Zeit hatte sie eine Sicherheitsleine gespannt. Oft kostete es sie Mühe, an den Gebrauch des Seils zu denken, denn sie hatte sich längst an die Klettertour gewöhnt. Heute dagegen war sie dankbar für das Vorhandensein der Leine. Sie war viel müder als sonst. Sie freute sich enorm auf das Schwimmen in dem natürlichen Becken, und nichts würde sie von ihrem mühsam verdienten Nickerchen abhalten.

Tansy verstaute ihre kostbare Kamera und die Speichermedien in der robustesten Metallkiste in ihrem Lager, gemeinsam mit dem Tagebuch, in dem sie den Tagesablauf der Katze festhielt. Sie verschloss sie mit nicht nur einem, sondern gleich zwei schweren Schlössern und bewahrte sie in einiger Entfernung von ihren Lebensmittelvorräten auf, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein umherstreunender Bär neugierig wurde.

Sie war tatsächlich glücklich. Tansy streckte sich wieder. Sie konnte es kaum erwarten, ihrer Mutter und ihrem Vater zu sagen, wie gut es ihr ging. Nach ihrem Zusammenbruch hatten sich die beiden solche Sorgen um sie gemacht, und sie hatten sich furchtbar geängstigt, als sie begonnen hatte, für Monate an die abgelegensten Orte zu verschwinden, die sie finden konnte. Sie war mit ihrer Ausrüstung von einem Hubschrauber abgesetzt worden und nahm täglich einmal...