Das Buch der Schatten - Dunkle Zeichen

von: Cate Tiernan

cbt Jugendbücher, 2012

ISBN: 9783641073602 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Das Buch der Schatten - Dunkle Zeichen


 

1

Schwelende Glut

Sie sind heute Nacht geflohen, alle miteinander. Selene Belltower, Cal Blair, Alicia Woodwind, Edwitha von Cair Dal und andere sie sind mir alle durch die Lappen gegangen. Sie haben gewusst, dass wir kurz davor waren, ihnen die Schlinge um den Hals zu legen. Es ist meine Schuld. Ich war zu vorsichtig, war zu sehr darauf bedacht, die Vorwürfe gegen sie zweifelsfrei zu beweisen, und habe es zu lange hinausgezögert. Ich habe versagt und zwar gewaltig. Und obendrein wäre Morgan beinahe gestorben, weil ich ihnen nicht das Handwerk gelegt habe.

Ich muss die Abwehrsprüche aufbrechen, um in Selenes Haus zu gelangen. Sie hatte unmöglich genug Zeit, um all ihre Sachen zu packen. Vielleicht finde ich im Haus einen Hinweis, irgendetwas, was mir verrät, wo sie hin ist und was sie mit ihren Leuten vorhat.

Verdammt, verdammt, verdammt!

– Gìomanach

Ich stand mit Bree und Robbie, meinen beiden ältesten Freunden, auf dem Rasen hinter Cals Haus, und wir starrten in die Flammen, die hungrig vom Poolhaus aufstiegen und eine Rauchwolke über den Novembervollmond schoben. Irgendwo in dem Inferno krachte es gewaltig und ein Teil des Daches stürzte ein. Weiß glühende Funken stoben in einer Fontäne gen Himmel.

»Mein Gott«, sagte Bree.

Robbie schüttelte den Kopf. »Du bist gerade noch rechtzeitig da rausgekommen.«

In der Ferne heulten Sirenen. Obwohl es der letzte Tag im November war und zentimeterhoher Schnee den Boden bedeckte, war die Nachtluft heiß und trocken, als ich tief einatmete und schluckte. »Ihr habt mir das Leben gerettet«, brachte ich mit erstickter Stimme heraus. Mein Hals war rau, die Brust tat mir weh und sämtliche Zellen in meinem Körper verlangten nach Sauerstoff.

»Grade so«, murmelte Robbie, schob mir einen Arm unter den Ellbogen und stützte mich.

Mir schauderte. Robbie musste mir nicht sagen, wie knapp es gewesen war, dass ich beinahe gestorben wäre in dem winzigen, in magische Sprüche eingehüllten geheimen Raum im Poolhaus. Dort eingesperrt von Cal, meinem Freund. Meine Augen, die vom Rauch eh schon brannten, füllten sich erneut mit Tränen.

Charismatisch, selbstbewusst und übermenschlich schön – Cal hatte etwas in mir geweckt, was sechzehn Jahre lang geschlummert hatte. Cal hatte mich geliebt, wie mich noch nie zuvor ein Junge geliebt hatte. Cal hatte mir geholfen zu erkennen, dass ich eine Bluthexe war, dass ich magische Kräfte besaß, wo ich nicht mal gewusst hatte, dass es so etwas überhaupt gab. Cal hatte mir gezeigt, wie Liebe und Magie ineinanderfließen konnten, bis mir schien, als würde mich die Energie des Universums umhüllen und durchströmen – nur dazu da, damit ich danach greife.

Doch Cal hatte mich auch angelogen und benutzt. Und vor noch nicht mal einer Stunde hatte er versucht, mich umzubringen, indem er das Poolhaus in Brand setzte.

Die heulenden Sirenen der Feuerwehrwagen kamen näher, und ich konnte den Widerschein ihrer kreisenden roten Lichter durch die dichten Rauchwolken sehen, wie ein höllisches Glühen vor dem wallenden Grau. Ich wandte mich um, um zu schauen, wo die Löschwagen waren, und schnappte nach Luft, als zwei dunkle, gesichtslose Silhouetten vor mir aufragten.

Es waren Hunter und seine Cousine Sky, zwei englische Hexen, die vor ein paar Wochen in unsere Kleinstadt gekommen waren. Oh, richtig, dachte ich benommen. Ich habe ihnen auch eine magische Botschaft geschickt und sie gebeten, mir zu helfen. Das hatte ich schon wieder vergessen.

»Morgan, geht es dir gut?«, fragte Hunter mit seiner klaren Stimme und dem englischen Akzent. »Brauchst du einen Arzt?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, mir geht’s gut.« Jetzt, da ich atmen konnte, strömte Adrenalin durch meinen ganzen Körper, und ich fühlte mich seltsam losgelöst.

»Mit den Löschzügen kommt auch ein Krankenwagen«, erklärte Bree. »Du solltest dich untersuchen lassen, Morgan. Du hast große Mengen Rauch eingeatmet.«

»Also, wenn Morgan sich dem gewachsen fühlt, wäre es besser, wenn wir jetzt verschwinden würden.« Hunter warf einen Blick über die Schulter. Der erste Feuerwehrwagen bog gerade in die geschwungene, gekieste Einfahrt vor dem großen Haus, in dem Cal und seine Mutter Selene Belltower lebten. »Ich glaube nicht, dass wir mit einem Beamten reden möchten. Zu viele unangenehme Fragen. Sky, wenn du so nett wärst, sie einen Augenblick aufzuhalten, damit wir hier abhauen können …«

Sky nickte und machte sich mit weichen, beschwingten Schritten über den Rasen davon. Ein paar Meter vor dem Haus blieb sie stehen und hob die Hände. Ich sah verblüfft zu, wie ihre Finger in einem komplizierten Tanz durch die Luft fuhren.

»Was macht sie da?«, fragte Robbie.

»Sie wirft einen Zauber«, erklärte Hunter. »Sie lässt die Feuerwehrleute glauben, das Feuer sei auf das Haus übergesprungen. Die Illusion währt nicht länger als einige Augenblicke, aber sie lenkt sie von unseren Autos ab, während wir wegfahren.« Als Sky zu uns zurückkam, nickte er ihr anerkennend zu. »Machen wir uns auf den Weg. Wir haben keine Zeit. Robbie, wenn du Morgans Auto fährst, können wir uns alle unten am Ende der Straße treffen.«

Ich staunte benommen, wie schnell er die Kontrolle über die Situation übernahm. Kein großes Geschrei um das, was passiert war. Kein Ausdruck von Schock oder Entsetzen. Nur reine Geschäftigkeit. Normalerweise hätte mich das auf die Palme gebracht, doch im Augenblick beruhigte es mich, und ich fühlte mich fast sicher.

Robbie eilte zu meinem Wagen. Ich wollte ihm nach, doch Bree fasste mich am Arm. »Komm, du kannst mit mir fahren.«

Ich begegnete ihrem Blick. Selbst hier, an einer Brandstätte, war ihr glänzendes, schulterlanges Haar perfekt. Doch der Schock über das, was passiert war, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Wir hatten uns mal so nah gestanden, dass die eine die Sätze der anderen zu Ende sprechen konnte. Das war, bevor sie sich in Cal verliebt, er sich aber für mich entschieden hatte. Heute Morgen waren Bree und ich noch Feindinnen gewesen. Doch heute Abend hatte ich sie gerufen, in meiner tiefsten Not hatte ich ihr mittels Gedankenkraft eine magische Botschaft geschickt. Ich hatte sie gerufen. Und sie hatte mich gehört und war mir zu Hilfe geeilt. Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung für uns.

»Komm«, wiederholte Bree und führte mich zu ihrem BMW. Sie half mir auf den Beifahrersitz und ging dann rüber zur Fahrerseite. Wir folgten dem schmalen, kurvenreichen Weg, der von der Rückseite des Grundstücks wegführte und sie warf immer mal wieder einen ängstlichen Blick in den Rückspiegel.

»Sie laufen immer noch ums Wohnhaus herum. Noch ist niemand in den Garten gekommen«, sagte sie. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Sieht so aus, als hätte Skys magischer Spruch funktioniert. Dieses ganze Hexenzeug haut mich echt von den Socken.«

Sie warf mir von der Seite einen Blick zu. »Es war total irre, deine Stimme so deutlich in meinem Kopf zu hören«, fügte sie nach einem Augenblick hinzu. »Ich dachte echt, ich spinne. Aber dann wurde mir klar, dass in letzter Zeit so viele abgedrehte Sachen passiert sind, dass ich es wohl ernst nehmen sollte.«

»Ich bin froh, dass du das getan hast. Du hast mich gerettet«, wiederholte ich. Meine Stimme war heiser und das Sprechen löste einen weiteren Hustenanfall aus.

»Bist du dir ganz sicher, dass es dir gut geht?«, fragte Bree, als ich mich wieder aufrichtete. »Keine Verbrennungen oder so?«

Nein, äußerlich nicht, dachte ich niedergeschlagen. Ich schüttelte den Kopf. »Ich lebe«, sagte ich. »Und das habe ich dir zu verdanken.« Es war nicht unbedingt ein Versöhnungsangebot, aber mehr brachte ich im Augenblick nicht zustande.

Am Ende der dunklen, ruhigen Straße fuhren wir hinter Skys grünem Ford an den Straßenrand. Robbie war schon dort, lehnte an der Tür meines Wagens, liebevoll Das Boot genannt. Beim Anblick des ramponierten Valiant Baujahr ’71 zuckte ich zusammen. Von einem kleineren Unfall vor einer Woche war er vorn schon ein wenig ramponiert und ein Scheinwerfer fehlte. Vor ein paar Minuten hatte Robbie dann die Wand des Poolhauses mit meinem Auto eingedrückt. Jetzt war auch die Motorhaube total verbeult.

»Also gut«, sagte Hunter, als wir alle ausgestiegen waren. Er sprach forsch, doch ich hatte das Gefühl, ihn wie durch eine dicke Stoffschicht zu hören. Irgendwie konnte ich mich nicht recht konzentrieren. »Man wird einen Haufen Fragen stellen, was hier heute Abend passiert ist, wie es zu dem Feuer kam und so weiter. Wir müssen uns abstimmen. Robbie, Bree, ich glaube, es ist das Beste, wenn ihr einfach so tut, als wärt ihr gar nicht hier gewesen. Dann wird euch auch niemand Fragen stellen.«

Robbie verschränkte die Arme. »Unseren Freunden von Cirrus werde ich die Wahrheit sagen«, erwiderte er. »Sie haben ein Recht darauf, es zu erfahren.« Cirrus war der Hexenzirkel, den Cal gegründet hatte und dem neben Robbie und mir noch vier andere Mitglieder angehörten.

»Cirrus«, sagte Hunter und rieb sich nachdenklich das Kinn....